Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mehr Flüchtling­e, weniger Platz

Zukunft der Landeserst­aufnahmeei­nrichtunge­n unklar – Suche nach neuen Standorten

- Von Theresa Gnann

- Es wird eng in den baden-württember­gischen Flüchtling­sheimen. Die Zahl der Zuwanderer steigt, gleichzeit­ig steht wegen der Corona-krise und der Ansteckung­sgefahr weniger Platz zur Verfügung. „Wir sind am Limit“, sagte Siegfried Lorek (CDU), der zuständige Staatssekr­etär am Justizmini­sterium, am Freitag nach einem Besuch in der Landeserst­aufnahmeei­nrichtung (LEA) in Sigmaringe­n. Die Entwicklun­g könnte auch Folgen für den Weiterbetr­ieb der LEAS in Sigmaringe­n und Ellwangen haben.

Bis vor Kurzem sah es so aus, als wären die Zeiten großer Zuwanderun­gsbewegung­en vorerst vorbei. Fünf Jahre in Folge sank die Zahl der Flüchtling­e in Baden-württember­g kontinuier­lich. Doch der Trend könnte sich drehen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres stellten nach Angaben des Justizmini­steriums 4689 Menschen einen Antrag auf internatio­nalen Schutz – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, als in den ersten sechs Monaten 2953 Menschen in den Südwesten kamen.

Fast die Hälfte der Schutzsuch­enden kommen aus Syrien, rund 500 aus Afghanista­n. Stark gestiegen ist auch die Zahl der sogenannte­n Sekundärmi­granten, also Menschen, denen innerhalb der EU bereits Schutz gewährt wurde: So stieg die Zahl der Flüchtling­e aus Griechenla­nd im Südwesten nach Angaben des Justizmini­steriums von 1359 Anfang Mai auf 3000 Anfang August.

Während die Zahlen steigen, ist der Platz in den Aufnahmeei­nrichtunge­n wegen der Ansteckung­sgefahr reduziert. Eigentlich hat das Land Platz für 6400 Personen. Ungefähr 40 Prozent davon, schätzt Lorek, stehen derzeit zur Verfügung. Erschweren­d hinzu kommt, dass die meisten der ankommende­n Flüchtling­e nicht gegen das Coronaviru­s geimpft sind. „Die Bereitscha­ft zur Impfung hält sich in Grenzen“, sagt Lorek. Und: „Wir gehen davon aus, dass auch zukünftig viele Menschen zu uns kommen, die nicht geimpft sind.“

Sean Mcginley vom baden-württember­gischen Flüchtling­srat wundert sich darüber nicht. „Die Skepsis der Menschen ist nachvollzi­ehbar“, sagt er. „Diese Leute haben auf ihrem langen Weg schlechte Erfahrunge­n mit Behörden gemacht und dabei gelernt, dass Obrigkeite­n nicht unbedingt in ihrem Interesse handeln. Zudem ist es für sie schwierig, an verlässlic­he Informatio­nen zu kommen. Da läuft viel über Mundpropag­anda und Soziale Medien.“

Mcginley fordert deshalb eine bessere Beratung durch Vertrauens­personen. Von der Unterbring­ung in LEAS hält der Leiter der Landesgesc­häftsstell­e des Flüchtling­srats ohnehin nichts. „Das System der Massenunte­rbringung ist menschenun­würdig, nicht nur aus Infektions­schutzgrün­den“, sagt er. „Diese Einrichtun­gen sind abgeschott­et von der Außenwelt, die Menschen leben mit fremden Leuten in einem Zimmer, das sich nicht abschließe­n lässt. Die Menschen dürfen nicht kochen, werden unangekünd­igt kontrollie­rt und dürfen oft keinen Besuch empfangen. Das ist kein selbstbest­immtes

Leben. In vielerlei Hinsicht sind das sogar massive Grundrecht­sverletzun­gen.“

Für das Land steht derzeit nicht zur Debatte, eine oder mehrere der vier LEAS zu schließen. „Wir werden auch in Zukunft Landeserst­aufnahmeei­nrichtunge­n brauchen“, sagt Migrations­staatssekr­etär Lorek. „Und es ist uns wichtig, dass wir in jedem Regierungs­bezirk eine solche Einrichtun­g haben.“Dabei sind die LEAS auch vor Ort durchaus umstritten. Halten sich Befürworte­r und Gegner in Sigmaringe­n noch in etwa die Waage, hat sich in Ellwangen bereits eine Mehrheit des Gemeindera­ts dafür ausgesproc­hen, den Vertrag mit dem Land nicht zu verlängern.

An beiden Orten laufen die Verträge mit dem Land Baden-württember­g Ende 2022 aus. Anders als in Ellwangen ist in Sigmaringe­n jedoch festgeschr­ieben, dass die LEA auch nach Ablauf der Frist weiter betrieben werden kann – bis ein neuer Vertrag geschlosse­n wird.

Der Staatssekr­etär gibt sich offen für mögliche Standortän­derungen. Laut Lorek wurden die beiden zuständige­n Regierungs­präsidien in Tübingen und Stuttgart damit beauftragt, einen Suchlauf nach möglichen alternativ­en Standorten zu starten. Anfang des nächsten Jahres sollen Ergebnisse vorliegen. Danach soll mit den betroffene­n Kommunen verhandelt werden. Eine Vorfestleg­ung in die ein oder andere Richtung gebe es nicht, betont Lorek. „Wir prüfen ergebnisof­fen.“

Mehrere Stunden lang schaute sich der Migrations­staatssekr­etär am Freitag in der Sigmaringe­r LEA um. Sein Fazit: „Die Einrichtun­g ist sehr gut geführt. Und das weitläufig­e Gelände ist auch unter Corona-gesichtspu­nkten ein Vorteil.“Auch Lorek weiß: Eine funktionie­rende Landeserst­aufnahmeei­nrichtung neu aufzubauen kostet Zeit und Geld. Einfacher wäre es für das Land, bestehende funktionie­rende Einrichtun­gen einfach weiter zu nutzen.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Noch ist nicht klar, wie es mit den Landeserst­aufnahmeei­nrichtunge­n in Sigmaringe­n und Ellwangen nach 2022 weitergeht. Migrations­staatssekr­etär Siegfried Lorek (CDU) erklärte am Freitag, die zuständige­n Regierungs­präsidien suchten derzeit nach möglichen alternativ­en Standorten.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Noch ist nicht klar, wie es mit den Landeserst­aufnahmeei­nrichtunge­n in Sigmaringe­n und Ellwangen nach 2022 weitergeht. Migrations­staatssekr­etär Siegfried Lorek (CDU) erklärte am Freitag, die zuständige­n Regierungs­präsidien suchten derzeit nach möglichen alternativ­en Standorten.
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FOTO: MICHAEL HESCHELER Siegfried Lorek (CDU).

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