Debatte um dritte Corona-impfung
Hilfsorganisationen fordern vorläufigen Stopp – Vakzine sollen an ärmere Länder gehen
- Die Weltgesundheitsorganisation WHO erhält für ihre Kritik an geplanten Drittimpfungen in den Industrieländern Unterstützung aus Deutschland. Dass hierzulande Auffrischungsimpfungen gegen das Coronavirus vorbereitet würden, sei „nicht fair“gegenüber den Menschen in ärmeren Ländern, sagte die Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission, Gisela Schneider, der „Schwäbischen Zeitung“. In Afrika betrage die Impfquote gerade einmal 1,56 Prozent. „Da wird der Impfstoff dringender benötigt als in den Industriestaaten, wo wir über Auffrischimpfungen nachdenken und mehr Impfstoff zur Verfügung haben, als gebraucht wird“, betonte die Chefin des Tübinger Instituts.
Zuvor hatte sich die WHO für einen vorübergehenden Stopp bei der Verabreichung dritter Impfdosen ausgesprochen. Stattdessen müssten zunächst ärmere Länder mehr Impfstoff für Erst- und Zweitimpfungen erhalten, forderte WHO-CHEF Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Schneider wies darauf hin, dass das Virus weltweit grassiere und erst dann verschwinde, wenn es im letzten Winkel der Welt besiegt sei. „Solange wir diesen Zusammenhang ignorieren, wird das Virus immer wieder zurückschlagen“, betonte sie. Statt vor allem an die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu denken, hätte man besser von Beginn an den Impfstoff an alle vom Virus betroffenen Länder verteilt. Dass nun hierzulande Impfmittel sogar weggeworfen werden, sei nicht in Ordnung. Schneider forderte das Bundesgesundheitsministerium auf, pragmatische Wege zu finden, damit überzählige Vakzine direkt in die betroffenen Länder geschickt werden könnten. Dafür müsse das Ministerium auch Genehmigungen erstellen.
Laut einer Umfrage von WDR und NDR unter Landesregierungen wurden in der Bundesrepublik bereits Zehntausende Impfdosen vernichtet, weil die Nachfrage in der Bevölkerung nachlässt. In den meisten Fällen handelt es sich um das Vakzin von Astrazeneca. Entsorgt wurden aber auch Impfdosen von Johnson&johnson.
Das Gesundheitsministerium kündigte an, „im Laufe des Augusts“dazu überzugehen, den Bundesländern keine festen Quoten an Impfmitteln mehr zuzuteilen. Sie sollen dann jeweils eine konkrete Menge bestellen müssen. Außerdem will man künftig mehr Impfdosen an die Un-initiative Covax zur Versorgung ärmerer Länder geben. Das Ministerium
verteidigte den Plan, Drittimpfungen anzubieten. Damit solle sichergestellt werden, dass „diejenigen ausreichend geschützt sind, die besonders gefährdet sind: Immungeschwächte, Hochbetagte und Pflegeheimbewohner“. In Israel rechtfertigte Ministerpräsident Naftali Bennett das Vorgehen. Sein Land gehe mit dem Drittimpfungstest voran und leiste damit „einen grundlegenden Beitrag zum globalen Wissen“.