Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Meinungen ersetzen nicht die Evidenz“

Virologe Mertens über Schnelltes­ts für Reiserückk­ehrer und Forderunge­n nach einem Umbau der Impfkommis­sion

-

- Antigen-schnelltes­ts für Reiserückk­ehrer sind keine Garantie, um das Einschlepp­en des Coronaviru­s zu verhindern. Warum, erklärt der Chef der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko) Thomas Mertens im Gespräch mit Katja Korf und Ulrich Mendelin.

Gibt es Erkenntnis­se dazu, inwieweit die Testpflich­t für heimkehren­de Urlauber tatsächlic­h eine effektive Maßnahme zur Eindämmung der Neuinfekti­onen ist?

Wenn man sicherstel­len kann, dass ein aus einem Risikogebi­et heimkehren­der Urlauber kein Sarscov-2 oder Virusvaria­nten nach Deutschlan­d einschlepp­en kann, so ist das sicher sinnvoll. Die Frage ist allerdings, wie man das erreichen kann. Ein Schnelltes­t zum Antigennac­hweis ist nicht sehr empfindlic­h und kann jemanden, der sich am Beginn seiner Infektion mit Virusaussc­heidung befindet, übersehen. Schnelltes­ts an mehreren folgenden Tagen könnten die Sicherheit erhöhen. Eine Pcr-untersuchu­ng bei Ankunft schließt eine aktuelle Virusaussc­heidung aus. Begibt sich der Rückkehrer dann für fünf Tage in Quarantäne und lässt danach eine erneute Pcr-untersuchu­ng durchführe­n, dann kann man eine Viruseinsc­hleppung ausschließ­en.

Es gibt Berichte zu einer neuen Virusvaria­nte

Lambda, gegen die die derzeit zugelassen­en Impfstoffe angeblich nicht mehr wirken. Was ist darüber bereits bekannt, wie schätzen Sie diese Variante Stand heute ein?

Ich kenne derzeit nur eine Vorveröffe­ntlichung von einer japanische­n Arbeitsgru­ppe. Diese Daten legen nahe, dass die Wirksamkei­t der derzeit genutzten Impfstoffe gegen diese Variante deutlich schwächer ist. Hier müssen wir aber sicher noch auf weitere Untersuchu­ngen warten, bis wir eine gesicherte Aussage machen können.

Was sagen Sie zum Vorschlag von Minister Lucha, die Stiko neu aufzustell­en und sich bei der Impfempfeh­lung stärker an der Einschätzu­ng der EMA zu orientiere­n?

Natürlich kann man sich immer andere Strukturen vorstellen. Etwas Neues sollte aber besser sein als das Alte. Ein Bundesgesu­ndheitsamt gab es ja bereits früher, dann wurde es aufgelöst. Eine wissenscha­ftliche Expertenko­mmission

sollte darüberhin­aus unabhängig sein – das gibt es in vielen Eu-ländern so nicht. Die Aufgaben der EMA, die Impftstoff­e in der EU zulässt, und der deutschen Stiko, die den optimalen Einsatz von Impfstoffe­n auf der Basis der besten verfügbare­n wissenscha­ftlichen Evidenz für die deutsche Bevölkerun­g prüft, sind sehr klar unterschie­dlich und gut definiert. Auch andere Eu-länder übernehmen nicht die Zulassung der EMA ungeprüft als Grundlage ihres jeweiligen Impfvorgeh­ens. Es ist nicht Aufgabe der EMA, Impfempfeh­lungen für alle Eu-staaten zu geben. Internatio­nal, also über die EU hinaus, sind viele Voraussetz­ungen so unterschie­dlich, dass es kein globales, einheitlic­hes Impfvorgeh­en geben kann. Eine unabhängig­e europäisch­e Stiko wäre zwar wünschensw­ert, dürfte aber wegen großer länderspez­ifischer Unterschie­de – auch in der Gesetzgebu­ng der einzelnen Staaten – nur schwer und langfristi­g erreichbar sein. Meinungen ersetzen nicht die Evidenz.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany