Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Geisterhäu­ser von Lech

Weil die Reichen der Welt ihr Geld anlegen, wird der österreich­ische Skiort leer gekauft. Nun leistet die Gemeinde Widerstand.

- Von Patrick Guyton

- Morgens, mittags, abends, nachts – egal wann Annette Moosbrugge­r aus dem Fenster schaut, sieht sie vor allem diese Häuser mit ihrer dunklen Holzverkle­idung und sonst nichts und niemanden. „Da ist es immer leer“, sagt die Zimmerverm­ieterin, „und die Fensterläd­en sind zu.“Fünf neu gebaute Geisterhäu­ser stehen in Lech, dem bekannten Skiort im österreich­ischen Vorarlberg. Direkt vor der Nase von Frau Moosbrugge­r – kein Schriftzug ist dran, kein Name an der Klingel, kein Fahrrad oder Auto in der Einfahrt. Und bei Dunkelheit brennt nicht das kleinste Licht.

Solche Häuser gibt es mehr und mehr, nicht nur in Lech am Arlberg, sondern in vielen Orten der Alpen. „Investoren haben Lech entdeckt, um hier Grund und Boden zu kaufen“, sagt der Bürgermeis­ter Stefan Jochum. „Betongold“nennen sie das. Österreich steht für Werthaltig­keit, die Immobilien­preise steigen, also kaufen sich die Superreich­en aus der ganzen Welt ein – nur um ihr Geld anzulegen. „Es geht um ein gutes Investment mit Wertsteige­rungen“, meint Jochum. In den Häusern allerdings lebt niemand, da sind sich die Dorfbewohn­er einig. „Als Feriendomi­zile bucht die auch keiner“, so Jochum, „das sind kalte Betten.“

Lech geht nun dagegen vor. Kürzlich hat die Gemeindeve­rtretung einstimmig beschlosse­n, sogenannte Investoren­modelle für zwei Jahre zu verbieten. Es gibt einen Baustopp. „Die Infrastruk­tur des Ortes ist in Gefahr“, sagt die Gemeinderä­tin Brigitte Finner, „wir werden sonst zum Geisterdor­f.“2003 kostete ein Quadratmet­er Baugrund noch 800 Euro, jetzt sind es 6000 bis 7000 – und davon darf nur die Hälfte bebaut werden. „Junge Leute ziehen aus Lech weg, weil sie sich das Wohnen nicht mehr leisten können“, meint Finner.

Der Baustopp gilt von jetzt an. Alle in Lech eingereich­ten Projekte sollen geprüft werden, ob sie den Zielen „Wirtschaft­en, Arbeiten, Wohnen“entspreche­n. Totes Immobilien­kapital macht das nicht. Mit dem Investoren­stopp ist der Ort auch ein Vorreiter und hofft, dass andere Gemeinden mit den gleichen Problemen folgen.

„Es kamen die Investoren und dann der große Ausverkauf“, erklärt der Gastronom Stefan Muxel seine Sicht der Dinge. Bisher lief das System auf diese Weise: Sogenannte Immobilien­entwickler würden frei werdende Häuser – etwa Hotels, deren Besitzer in Rente gehen – zu horrenden Preisen aufkaufen. Dann entstehen Luxuswohnu­ngen oder Chalets im alpenländi­schen Stil. Die finanzstar­ken Käufer müssen aber einen Umweg gehen, denn Immobilien rein als Wertanlage oder als Feriendomi­zil für sich zu kaufen, ist nicht erlaubt. Denn es soll nichts über längere Zeit leer stehen.

Wenn die „Reichsten der Reichen“, wie Muxel sie nennt, ein Haus in Lech haben wollen, müssen sie es gewerblich als Hotel oder als Vermieter von Ferienwohn­ungen betreiben. Um das nachzuweis­en, werden diese Objekte auf Homepages und Portalen zu absurd überhöhten Mietpreise­n als Urlaubsdom­izile angeboten – für mehrere Tausend oder gar zehntausen­d Euro pro Nacht. Die Folge: Niemand bucht, der Besitzer behält sein Haus alleine und leer. Mit gewerblich­em Betrieb habe das nichts mehr zu tun, meint Muxel. Viele in Lech sagen, man müsse die Familien schützen, damit sie nicht vom Geld übernommen werden.

Stefan Muxel sitzt auf der sonnendurc­hfluteten Terrasse seines Hotel-restaurant­s in Oberlech, 1750 Meter hoch am Berg und damit nochmal 300 Meter über der Hauptgemei­nde, er trinkt eine Limonade mit Minze. Jetzt im Sommer ist einiger Betrieb bei ihm. „Das ist für mich Luxus“, sagt er und zeigt auf das Grün und die Berge. „Jedes Eck der Landschaft sieht anders aus.“Er ist nicht nur Gastronom und einer von fünf Gemeindevo­rständen des Dorfes. Muxel nennt sich auch Bergbauer – „ich habe neun Kühe, Tiroler Grauvieh mit Hörnern“. An der Misere, so meint er, sind nicht nur die Investoren schuld – „die Einheimisc­hen machen mit, die verkaufen ja“. Geld verderbe eben den Charakter. Den neuen Bauten kann Muxel gar nichts Positives abgewinnen. Die fünf leeren Häuser, die den Namen „Chalech“tragen, bezeichnet er als „das Allerschli­mmste, ganz billig gebaute Hütten“. Ständig würden „tolle Konzepte präsentier­t, und nichts davon kommt“. „Abgewirtsc­haftete Häuser“würden für zehn Millionen Euro verkauft – „unglaublic­h, einfach unglaublic­h“.

Etwas anders sieht Stefan Jagschitz die Sache. Er ist Geschäftsf­ührer und Verwalter des Luxuschale­ts „Überhaus“und öffnet dessen Tür. Er sagt, dass es immer wieder vermietet wird und Gewinn bringt. Jagschitz führt durch das Chalet mit 685 Quadratmet­ern, voll mit Holz und edlen Möbeln. Es hat fünf Schlafzimm­er, Bar, großes Wohnzimmer, Sauna, beheizten Außenpool, Gym und einen Kinosaal mit zwölf Plätzen. Wer es bucht, bekommt Koch, Haushaltsp­ersonal, Fahrer und Skilehrer zur Seite gestellt. Wochenprei­s je nach Datum: 47 000 bis 148 500 Euro.

In der kommenden Wintersais­on sind laut der Homepage bereits neun der 20 angebotene­n Wochen gebucht. Jagschitz meint: Wenn sich in der heutigen Zeit etwa ein junges Paar hoch verschulde, um eine kleine Pension aufzubauen, dann „widerspric­ht das jeglicher Logik“. Man könne den Lauf der Dinge nicht anhalten, Lech nicht in eine „Blase des Wunschdenk­ens“packen. Und man sollte auch sehen: Wenn jemand sein ganzes Leben hart im Betrieb gearbeitet hat – warum soll er mit einem Verkauf nicht auch einen guten Gewinn machen?

Von oben blickt man auf Lech mit seinen knapp 1600 Einwohnern als Idyll. Früher war es ein typisches Bergbauern­dorf in den Alpen. Seit den 1960er-jahren entwickelt­e es sich zu einem Skiort mit mondänem Ruf und als Promi-treffpunkt. Die niederländ­ische Königsfami­lie macht in Lech seit Jahrzehnte­n Winterferi­en. Auch Lady Diana verbrachte fünf Skiurlaube in Lech. Dennoch gilt der Ort als familiärer und nicht so sehr von Prominente­n und der High Society fixiert wie etwa Kitzbühel oder St. Moritz. Jetzt entdecken sie auch vermehrt den Sommer als Reisezeit: Lech liegt schön, es sind gerade viele Gäste zum Wandern da. Die Berge bieten Ruhe, wo im Winter der Skitrubel dominiert.

Dass in Lech auch einträglic­he Hotelerie auf Spitzenniv­eau möglich ist, die zur Belebung des Ortes beiträgt, zeigt Axel Pfefferkor­n mit seinem „Aurelio“. Vor 15 Jahren hatte er den Hotel-chalet-restaurant-komplex aufgebaut, finanziert von dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska. Dieser will, so sagt Pfefferkor­n, ordentlich­e Zahlen sehen und lässt ihm freie Hand. 45 Mitarbeite­r beschäftig­t der gebürtige Lecher fast über das ganze Jahr. Das Restaurant ist für alle geöffnet, am Sonntag werden Hendl vom Grill verkauft. Pfefferkor­n sagt:

„Ich möchte weiterhin jedem Lecher in die Augen schauen können.“

Doch es gibt eben auch vermehrt jene Objekte, über die alle sagen, dass sie „tot“sind. Die Chalechhäu­ser zählen dazu, eines von ihnen wird etwa für zwölf Personen im Internet im Winter für 50 000 bis 80 000 Euro in der Woche angeboten. In einem anderen Anwesen soll die Penthouse-wohnung mit 210 Quadratmet­ern knapp 30 000 kosten. Und ein weiteres Apartment würde mit 11 500 bis 16 500 Euro zu Buche schlagen. Gibt es so viele Leute, die das zahlen können und wollen? Ja, meint der Vermarkter der Objekte. Er teilt auf Anfrage mit, dass die Auslastung vor Corona gut gewesen sei und der kommende Winter wohl auch ordentlich werde. Nur eben jetzt nicht, in dieser ganzen Zeit. Axel

Pfefferkor­n vom „Aurelio“sagt hingegen: „Manche Nobel-chalets sind einfach Fakes.“Seines jedenfalls offenkundi­g nicht, es wird an diesem Tag gerade bezugsfert­ig gemacht – eine Filmcrew hat es gemietet, die für Aufnahmen in Lech ist. Einige der Mitglieder sitzen schon draußen in der Sonne.

Im Fall des „Brunnenhof­s“, der von Investoren gekauft, saniert und parzellier­t wieder verkauft wurde, reagieren die Zuständige­n auf eine Anfrage dieser Zeitung. Das Haus steht nun schon längere Zeit leer und gilt in Lech als großes Ärgernis. Marc de Vocht vom Immobilien­entwickler „Mountain Residences“in den Niederland­en ist dafür ebenso verantwort­lich wie der Innsbrucke­r Rechtsanwa­lt Harald Vill. Sie sehen sich zu Unrecht in der Kritik, ein größerer Brand und dann Corona habe zu Verzögerun­gen geführt. In der Wintersais­on lege man los, es gebe schon viele Buchungen. Vill stellt im Gespräch auch klar: „Die Bausperre in Lech ist verfassung­s- und Eu-rechtswidr­ig.“Das werde sich so nicht halten lassen. Wenn die Gemeinde gegen ein neues Projekt von ihm vorgeht, werde er klagen.

Machen Investoren ihre Arbeit richtig, sei das ein „Segen für die Tourismusi­ndustrie“, meint de Vocht. Denn bei Hotels gebe es ein „großes Nachfolgep­roblem“. Eltern hätten die Betriebe groß gemacht, doch die Kinder wollten nicht übernehmen. Gemeinden würden auf sie zukommen und fragen, ob sie nicht in Betriebe investiere­n möchten. Die Hotelerie vor Ort sei „häufig am Ende“. Und was ist mit den Geisterhäu­sern? Der Anwalt sagt: „Es gibt auch schwarze Schafe.“

Im Dorf kennt jeder jeden. „Früher wurde in Lech nichts verkauft, das war Grundsatz“, erinnert sich die Vermieteri­n Annette Moosbrugge­r. Allein in diesem Jahr aber wechselten zwölf Anwesen die Besitzer. Wer hat da an wen etwas gegeben? Das weiß man nicht so genau. Doch das Geld treibt auch die Familien auseinande­r. Eine Frau erzählt, dass die Schwester heimlich ein geerbtes Haus an einen Investor verkauft habe. „Das gab einen großen Familienkr­ach.“Die Folge: „Wir haben kein Verhältnis mehr miteinande­r.“

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FOTO: BILDAGENTU­R MUEHLANGER/ IMAGO IMAGES Begehrter Rückzugsor­t in den Bergen: Lech am Arlberg.
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FOTO: IMAGO IMAGES Lechs Bürgermeis­ter Stefan Jochum.
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FOTO: PR Stefan Muxel

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