Die Geisterhäuser von Lech
Weil die Reichen der Welt ihr Geld anlegen, wird der österreichische Skiort leer gekauft. Nun leistet die Gemeinde Widerstand.
- Morgens, mittags, abends, nachts – egal wann Annette Moosbrugger aus dem Fenster schaut, sieht sie vor allem diese Häuser mit ihrer dunklen Holzverkleidung und sonst nichts und niemanden. „Da ist es immer leer“, sagt die Zimmervermieterin, „und die Fensterläden sind zu.“Fünf neu gebaute Geisterhäuser stehen in Lech, dem bekannten Skiort im österreichischen Vorarlberg. Direkt vor der Nase von Frau Moosbrugger – kein Schriftzug ist dran, kein Name an der Klingel, kein Fahrrad oder Auto in der Einfahrt. Und bei Dunkelheit brennt nicht das kleinste Licht.
Solche Häuser gibt es mehr und mehr, nicht nur in Lech am Arlberg, sondern in vielen Orten der Alpen. „Investoren haben Lech entdeckt, um hier Grund und Boden zu kaufen“, sagt der Bürgermeister Stefan Jochum. „Betongold“nennen sie das. Österreich steht für Werthaltigkeit, die Immobilienpreise steigen, also kaufen sich die Superreichen aus der ganzen Welt ein – nur um ihr Geld anzulegen. „Es geht um ein gutes Investment mit Wertsteigerungen“, meint Jochum. In den Häusern allerdings lebt niemand, da sind sich die Dorfbewohner einig. „Als Feriendomizile bucht die auch keiner“, so Jochum, „das sind kalte Betten.“
Lech geht nun dagegen vor. Kürzlich hat die Gemeindevertretung einstimmig beschlossen, sogenannte Investorenmodelle für zwei Jahre zu verbieten. Es gibt einen Baustopp. „Die Infrastruktur des Ortes ist in Gefahr“, sagt die Gemeinderätin Brigitte Finner, „wir werden sonst zum Geisterdorf.“2003 kostete ein Quadratmeter Baugrund noch 800 Euro, jetzt sind es 6000 bis 7000 – und davon darf nur die Hälfte bebaut werden. „Junge Leute ziehen aus Lech weg, weil sie sich das Wohnen nicht mehr leisten können“, meint Finner.
Der Baustopp gilt von jetzt an. Alle in Lech eingereichten Projekte sollen geprüft werden, ob sie den Zielen „Wirtschaften, Arbeiten, Wohnen“entsprechen. Totes Immobilienkapital macht das nicht. Mit dem Investorenstopp ist der Ort auch ein Vorreiter und hofft, dass andere Gemeinden mit den gleichen Problemen folgen.
„Es kamen die Investoren und dann der große Ausverkauf“, erklärt der Gastronom Stefan Muxel seine Sicht der Dinge. Bisher lief das System auf diese Weise: Sogenannte Immobilienentwickler würden frei werdende Häuser – etwa Hotels, deren Besitzer in Rente gehen – zu horrenden Preisen aufkaufen. Dann entstehen Luxuswohnungen oder Chalets im alpenländischen Stil. Die finanzstarken Käufer müssen aber einen Umweg gehen, denn Immobilien rein als Wertanlage oder als Feriendomizil für sich zu kaufen, ist nicht erlaubt. Denn es soll nichts über längere Zeit leer stehen.
Wenn die „Reichsten der Reichen“, wie Muxel sie nennt, ein Haus in Lech haben wollen, müssen sie es gewerblich als Hotel oder als Vermieter von Ferienwohnungen betreiben. Um das nachzuweisen, werden diese Objekte auf Homepages und Portalen zu absurd überhöhten Mietpreisen als Urlaubsdomizile angeboten – für mehrere Tausend oder gar zehntausend Euro pro Nacht. Die Folge: Niemand bucht, der Besitzer behält sein Haus alleine und leer. Mit gewerblichem Betrieb habe das nichts mehr zu tun, meint Muxel. Viele in Lech sagen, man müsse die Familien schützen, damit sie nicht vom Geld übernommen werden.
Stefan Muxel sitzt auf der sonnendurchfluteten Terrasse seines Hotel-restaurants in Oberlech, 1750 Meter hoch am Berg und damit nochmal 300 Meter über der Hauptgemeinde, er trinkt eine Limonade mit Minze. Jetzt im Sommer ist einiger Betrieb bei ihm. „Das ist für mich Luxus“, sagt er und zeigt auf das Grün und die Berge. „Jedes Eck der Landschaft sieht anders aus.“Er ist nicht nur Gastronom und einer von fünf Gemeindevorständen des Dorfes. Muxel nennt sich auch Bergbauer – „ich habe neun Kühe, Tiroler Grauvieh mit Hörnern“. An der Misere, so meint er, sind nicht nur die Investoren schuld – „die Einheimischen machen mit, die verkaufen ja“. Geld verderbe eben den Charakter. Den neuen Bauten kann Muxel gar nichts Positives abgewinnen. Die fünf leeren Häuser, die den Namen „Chalech“tragen, bezeichnet er als „das Allerschlimmste, ganz billig gebaute Hütten“. Ständig würden „tolle Konzepte präsentiert, und nichts davon kommt“. „Abgewirtschaftete Häuser“würden für zehn Millionen Euro verkauft – „unglaublich, einfach unglaublich“.
Etwas anders sieht Stefan Jagschitz die Sache. Er ist Geschäftsführer und Verwalter des Luxuschalets „Überhaus“und öffnet dessen Tür. Er sagt, dass es immer wieder vermietet wird und Gewinn bringt. Jagschitz führt durch das Chalet mit 685 Quadratmetern, voll mit Holz und edlen Möbeln. Es hat fünf Schlafzimmer, Bar, großes Wohnzimmer, Sauna, beheizten Außenpool, Gym und einen Kinosaal mit zwölf Plätzen. Wer es bucht, bekommt Koch, Haushaltspersonal, Fahrer und Skilehrer zur Seite gestellt. Wochenpreis je nach Datum: 47 000 bis 148 500 Euro.
In der kommenden Wintersaison sind laut der Homepage bereits neun der 20 angebotenen Wochen gebucht. Jagschitz meint: Wenn sich in der heutigen Zeit etwa ein junges Paar hoch verschulde, um eine kleine Pension aufzubauen, dann „widerspricht das jeglicher Logik“. Man könne den Lauf der Dinge nicht anhalten, Lech nicht in eine „Blase des Wunschdenkens“packen. Und man sollte auch sehen: Wenn jemand sein ganzes Leben hart im Betrieb gearbeitet hat – warum soll er mit einem Verkauf nicht auch einen guten Gewinn machen?
Von oben blickt man auf Lech mit seinen knapp 1600 Einwohnern als Idyll. Früher war es ein typisches Bergbauerndorf in den Alpen. Seit den 1960er-jahren entwickelte es sich zu einem Skiort mit mondänem Ruf und als Promi-treffpunkt. Die niederländische Königsfamilie macht in Lech seit Jahrzehnten Winterferien. Auch Lady Diana verbrachte fünf Skiurlaube in Lech. Dennoch gilt der Ort als familiärer und nicht so sehr von Prominenten und der High Society fixiert wie etwa Kitzbühel oder St. Moritz. Jetzt entdecken sie auch vermehrt den Sommer als Reisezeit: Lech liegt schön, es sind gerade viele Gäste zum Wandern da. Die Berge bieten Ruhe, wo im Winter der Skitrubel dominiert.
Dass in Lech auch einträgliche Hotelerie auf Spitzenniveau möglich ist, die zur Belebung des Ortes beiträgt, zeigt Axel Pfefferkorn mit seinem „Aurelio“. Vor 15 Jahren hatte er den Hotel-chalet-restaurant-komplex aufgebaut, finanziert von dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska. Dieser will, so sagt Pfefferkorn, ordentliche Zahlen sehen und lässt ihm freie Hand. 45 Mitarbeiter beschäftigt der gebürtige Lecher fast über das ganze Jahr. Das Restaurant ist für alle geöffnet, am Sonntag werden Hendl vom Grill verkauft. Pfefferkorn sagt:
„Ich möchte weiterhin jedem Lecher in die Augen schauen können.“
Doch es gibt eben auch vermehrt jene Objekte, über die alle sagen, dass sie „tot“sind. Die Chalechhäuser zählen dazu, eines von ihnen wird etwa für zwölf Personen im Internet im Winter für 50 000 bis 80 000 Euro in der Woche angeboten. In einem anderen Anwesen soll die Penthouse-wohnung mit 210 Quadratmetern knapp 30 000 kosten. Und ein weiteres Apartment würde mit 11 500 bis 16 500 Euro zu Buche schlagen. Gibt es so viele Leute, die das zahlen können und wollen? Ja, meint der Vermarkter der Objekte. Er teilt auf Anfrage mit, dass die Auslastung vor Corona gut gewesen sei und der kommende Winter wohl auch ordentlich werde. Nur eben jetzt nicht, in dieser ganzen Zeit. Axel
Pfefferkorn vom „Aurelio“sagt hingegen: „Manche Nobel-chalets sind einfach Fakes.“Seines jedenfalls offenkundig nicht, es wird an diesem Tag gerade bezugsfertig gemacht – eine Filmcrew hat es gemietet, die für Aufnahmen in Lech ist. Einige der Mitglieder sitzen schon draußen in der Sonne.
Im Fall des „Brunnenhofs“, der von Investoren gekauft, saniert und parzelliert wieder verkauft wurde, reagieren die Zuständigen auf eine Anfrage dieser Zeitung. Das Haus steht nun schon längere Zeit leer und gilt in Lech als großes Ärgernis. Marc de Vocht vom Immobilienentwickler „Mountain Residences“in den Niederlanden ist dafür ebenso verantwortlich wie der Innsbrucker Rechtsanwalt Harald Vill. Sie sehen sich zu Unrecht in der Kritik, ein größerer Brand und dann Corona habe zu Verzögerungen geführt. In der Wintersaison lege man los, es gebe schon viele Buchungen. Vill stellt im Gespräch auch klar: „Die Bausperre in Lech ist verfassungs- und Eu-rechtswidrig.“Das werde sich so nicht halten lassen. Wenn die Gemeinde gegen ein neues Projekt von ihm vorgeht, werde er klagen.
Machen Investoren ihre Arbeit richtig, sei das ein „Segen für die Tourismusindustrie“, meint de Vocht. Denn bei Hotels gebe es ein „großes Nachfolgeproblem“. Eltern hätten die Betriebe groß gemacht, doch die Kinder wollten nicht übernehmen. Gemeinden würden auf sie zukommen und fragen, ob sie nicht in Betriebe investieren möchten. Die Hotelerie vor Ort sei „häufig am Ende“. Und was ist mit den Geisterhäusern? Der Anwalt sagt: „Es gibt auch schwarze Schafe.“
Im Dorf kennt jeder jeden. „Früher wurde in Lech nichts verkauft, das war Grundsatz“, erinnert sich die Vermieterin Annette Moosbrugger. Allein in diesem Jahr aber wechselten zwölf Anwesen die Besitzer. Wer hat da an wen etwas gegeben? Das weiß man nicht so genau. Doch das Geld treibt auch die Familien auseinander. Eine Frau erzählt, dass die Schwester heimlich ein geerbtes Haus an einen Investor verkauft habe. „Das gab einen großen Familienkrach.“Die Folge: „Wir haben kein Verhältnis mehr miteinander.“