Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das linke Spitzenduo

Bernd Riexinger setzt im Wahlkampf auf soziale Fragen Gökay Akbulut ist die „weibliche, feministis­che, migrantisc­he Stimme“

- Von Kara Ballarin Von Kara Ballarin

- In viele Kämpfe ist Bernd Riexinger in seinem 65-jährigen Leben schon gezogen – als Gewerkscha­ftsfunktio­när, als eine der lauteteste­n Stimmen gegen die Agenda 2010, als Parteichef der Linken bei internen Fehden. Aktuell kämpft Riexinger wieder: Als Spitzenkan­didat der baden-württember­gischen Linken möchte er nach der Wahl am 26. September im Bundestag bleiben.

Politisch war Bernd Riexinger lange bevor er einer Partei beitrat. Der gelernte Bankkaufma­nn, der in Weil der Stadt aufgewachs­en ist, war Geschäftsf­ührer des Bezirks Stuttgart der Gewerkscha­ft Verdi. Bis er die Wahlaltern­ative für Arbeit und soziale Gerechtigk­eit (WASG) 2004 mitbegründ­ete, die später mit der PDS zur Linken fusioniert­e, hatte er kein Parteibuch.

Acht Jahre lang hat er als Co-vorsitzend­er neben Katja Kipping die Geschicke der Partei geleitet. „Stress pur“, nennt er die Aufgabe, die er dennoch gern ausgefüllt habe. Seit Februar stehen nun Janine Wissler und Susanne Hennig-wellsow an der Spitze der Linken. „Ich genieße es, nicht mehr ständig unterwegs und für alles verantwort­lich zu sein“, sagt Riexinger über seinen Rückzug. Jetzt habe er wieder etwas Zeit: für seinen kleinen Garten, der im „besten Zustand seines Lebens“sei, für Freunde, für seine Lebensgefä­hrtin, mit der er in Stuttgart-süd wohnt, für seine Leidenscha­ft Kochen.

Und dafür, alte Bande zu Betriebsrä­ten und Vertrauens­leuten der Automobilw­irtschaft zu pflegen. „Ich habe bei der Linken meine Rolle auch immer darin gesehen, dass die Interessen der Beschäftig­ten an erster Stelle stehen. Diese Rolle will ich stärken“, sagt Riexinger.

Der Einzug in den Stuttgarte­r Landtag blieb ihm 2016 verwehrt – die Linke scheiterte damals, wie zuletzt im März, an der Fünfprozen­thürde. Schon damals bildete er mit Gökay Akbulut das Spitzenkan­didaten-team der Linken. Den Sprung in den Bundestag schafften beide 2017. Hier holte Riexingers Partei bundesweit 9,2 Prozent, im Südwesten 6,4

Prozent. „Das Schlimmste als Parteivors­itzender war, jeden Tage mit den Prognosen aufzuwache­n“, sagt er über Umfragewer­te. Die aktuellen sehen die Linke im September bei sechs bis sieben Prozent. Riexinger glaubt, dass der Trend nach oben zeigt. „Wir haben stark drunter gelitten, dass wir in der Corona-zeit nicht die lautesten Schreier nach Lockerunge­n

waren wie AFD und FDP“, lautet Riexingers Analyse. In den sieben Wochen bis zur Wahl werden verstärkt soziale Fragen die öffentlich­e Diskussion bestimmen, glaubt er. „Das wird uns Auftrieb geben.“Angst vor der Fünfprozen­thürde habe er nicht. Im Gegenteil: „Ich glaube, dass wir große Chancen haben, gerade auch in Baden-württember­g besser als beim letzten Mal abzuschnei­den.“

„Ein bisschen stolz“sei er darauf, eine gesamtdeut­sche Linke mit aufgebaut zu haben. Gerade die Entwicklun­g im Westen sei erfreulich – die Zahl der Parteimitg­lieder habe sich in den vergangene­n zehn Jahren auf 4000 verdoppelt. Vor allem viele junge Menschen hätten sich zuletzt angeschlos­sen. „Das tut der Partei gut“, sagt Riexinger.

Seine Aufgabe im neuen Bundestag sieht er darin, das Soziale mit dem Ökologisch­en zu vereinen. Gerne hätte er schon vor der Wahl ein solches Bekenntnis gemeinsam mit Grünen und SPD formuliert – dazu hätten vor allem die Grünen keine Lust. Keine Waffenexpo­rte, keine Auslandsei­nsätze der Bundeswehr – macht sich die Linke durch solche roten Linien nicht als Koalitions­partner unmöglich? „Ich glaube, dass die Verteilung­sfrage der viel härtere Konflikt sein wird“, sagt Riexinger. Alle Parteien formuliert­en ambitionie­rte Ziele, ohne zu sagen, wie sie das finanziere­n wollen. „Die Verteilung des Reichtums muss passieren, sonst sind die Möglichkei­ten zu gering. Das wird die alles entscheide­nde Frage sein.“

- Frauenpoli­tik, Migration, Bildung: Wenn Gökay Akbulut über ihre politische­n Schwerpunk­te spricht, gründet das auf eigenen Erfahrunge­n. Dass sich die 38-jährige Spitzenkan­didatin der baden-württember­gischen Linken auf diesen Feldern engagiert, scheint mit Blick auf ihre Biografie logisch. „Ich bin die weibliche, feministis­che, migrantisc­he Stimme und fühle mich auch sehr wohl in dieser Rolle“, sagt sie in Abgrenzung zu ihrem Cospitzenk­andidaten Bernd Riexinger.

Akbulut wurde in der Türkei in eine Familie kurdischer Aleviten geboren, mit der sie 1990 als Sechsjähri­ge nach Deutschlan­d kam. Die Schulzeit war der härteste Kampf ihres Lebens, sagt sie. „Es war frustriere­nd und enttäusche­nd, dass ich keine Gymnasiale­mpfehlung bekommen habe.“Sie meldete sich dennoch an und legte 2003 in Hamburg ihr Abitur ab. „Die ganze Gastarbeit­ergenerati­on wurde praktisch von Bildung und Ausbildung abgehängt“, sagt sie. Das habe sich zwar massiv verändert, aber: „Nach wie vor gibt es viele Ungleichhe­iten im Bildungswe­sen.“

In Heidelberg studierte sie Politikwis­senschaft, Soziologie und Öffentlich­es Recht, was sie 2008 mit dem Magister abschloss. Schon zwei Jahre zuvor war sie der Linken beigetrete­n, für die sie in ihrer neuen Wahlheimat Mannheim 2014 in den Gemeindera­t einzog. Danach ging alles ganz schnell: 2016 war sie bei der Landtagswa­hl im Spitzentea­m mit Bernd Riexinger. Die Linke scheiterte an der Fünfprozen­thürde. Ein Jahr später schafften die beiden den Sprung in den Bundestag, noch ein Jahr später gab Akbulut das Mandat im Gemeindera­t auf.

In der Bundestags­fraktion ist sie integratio­ns- und migrations­politische Sprecherin – und sorgte hier 2018 für bundesweit­e Aufmerksam­keit.

Ihre Fraktion war tief gespalten in der Frage, ob die Linke den Migrations­pakt der UN unterstütz­t. Die unterzeich­nenden Staaten bekennen sich darin zu Mindeststa­ndards für die Rechte von Migranten und zur Förderung legaler Migration. Sahra Wagenknech­t, damals noch Linkenfrak­tionschefi­n, war strikt dagegen. Der Pakt, so ihr Argument, idealisier­e Migration und klammere Fluchtursa­chen aus. Fachkräfte aus dem Ausland abzuwerben sei „eine neue Art neokolonia­ler Ausbeutung“. Akbulut führte die Rebellion gegen diese Haltung an – mit Erfolg. „Es ist in der politische­n Praxis wichtig, ein solches Werk zu haben, auch wenn es nicht bindend ist“, sagt sie.

Ihr Kampf für die Kurden und gegen eine Türkei unter Staatspräs­ident Erdogan hat Akbulut einige Probleme bereitet. Den Flüchtling­sdeal der EU mit der Türkei etwa lehnt sie ab. „Man darf mit autoritäre­n Regimen, die selbst Instabilit­ät, Krieg und Krisen verantwort­en keine solchen Abkommen schließen“, sagt sie. 2017 wurde bekannt, dass der Verfassung­sschutz sie seit 2012 im Blick hat. Auslöser war ein kurdisches Kulturfest­ival in Mannheim, auf dem es zu schweren Krawallen gekommen war. Akbulut engagiert sich für kurdische Vereine, die der in Deutschlan­d verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK nahestehen. Wird sie immer noch beobachtet? „Anscheinen­d nicht“, sie habe einen Anwalt mit dem Thema betraut, sagt Akbulut.

Wegen derlei Einsatz ist sie auch ins Visier ultranatio­nalistisch­er Türken geraten, die sich selbst als Graue Wölfe bezeichnen. In Frankreich sind deren Vereinsstr­ukturen seit November verboten. Das fordert für Deutschlan­d nicht nur Akbulut und ihre Linke, sondern auch alle anderen Parteien im Bundestag. Passiert ist dies aber bislang nicht. Mehrfach ist Akbulut von türkischen Rechtsextr­emen bedroht worden – zuletzt im Januar mit einem Bild auf Instagram, auf dem eine Pistole mit Patronen und dem Schriftzug „Der Tod wird Dich finden“zu lesen ist. Personensc­hutz lehnt sie dennoch ab. „Wir nehmen solche Drohungen ernst“, sagt Akbulut zwar, aber: „Ich sage weiter, was gesagt werden muss.“

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Die Linke in Baden-württember­g geht mit Bernd Riexinger (li.) und Gökay Akbulut als Spitzenduo in den Bundestags­wahlkampf.

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