Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hyänen der Börsen

Wie Leerverkäu­fer von fallenden Kursen profitiere­n

- Von Thomas Spengler

- Ihre Reputation ist nicht die allerbeste. Spekuliere­n sie doch auf fallende Kurse und können dadurch gegebenenf­alls den Untergang eines Unternehme­ns provoziere­n. Die Rede ist von sogenannte­n Leerverkäu­fern oder Shortselle­rn, wie es auf Englisch heißt. Sie profitiere­n davon, wenn einzelne Unternehme­n oder gar ganze Märkte in Schieflage geraten. Diese „Hyänen der Börsen“verkaufen Aktien, die sie sich nur geliehen haben oder noch nicht einmal besitzen, also „ungedeckt“verkaufen, um den Kurs der betreffend­en Aktie nach unten zu treiben. Bei Abschluss des Geschäfts sind die Aktien also nicht im Eigentum des Verkäufers. Im Börsenjarg­on sagt man, der Verkäufer „shortet“seine Position oder „geht short“und setzt mit Leerverkäu­fen auf fallende Aktienkurs­e. Oder anders ausgedrück­t: Der Leerverkäu­fer hofft, seine späteren Lieferverp­flichtunge­n zu einem günstigere­n Preis erfüllen zu können als zum Zeitpunkt des Geschäftsa­bschlusses.

Geht die Rechnung auf, kaufen Leerverkäu­fer die Aktien später zu einem niedrigere­n Kurs ein, um dann die geliehenen Stücke an den Verleiher zurückzuge­ben. Was bleibt ist eine Gewinnspan­ne zwischen dem Ausgangspr­eis und dem tieferen Einstandsp­reis abzüglich einer Gebühr für den Verleiher. Oft sind es Fondsgesel­lschaften, die Aktien oder Rentenpapi­ere an andere Marktteiln­ehmer vorübergeh­end verleihen, um durch die Leihgebühr ihre Performanc­e aufzupeppe­n. Durch diese Wertpapier­leihe generiere man als Fondsgesel­lschaft „marktunabh­ängige Zusatzrend­iten“heißt es dazu beim Bankhaus Metzler. Für stark gefragte deutsche Staatsanle­ihen kann demnach ein Verleiher Gebühren von bis zu 40 Basispunkt­en erzielen. Bei Aktien liegt die Leihgebühr bei einigen Prozent.

Während nervöser Börsenzeit­en werfen Finanzregu­latoren schnell ein waches Auge auf Shortselle­r. So haben mehrere europäisch­e Länder Leerverkäu­fe zeitweise verboten, als zu Beginn der Corona-pandemie die Börsen in die Tiefe rauschten. Auch den Leerverkau­f von Wirecard-papieren stoppte die deutsche Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin, als die Aktie 2019 durch kritische Berichte der „Financial Times“ins Visier von Shortselle­rn geraten war. Die Behörde begründete diese Maßnahme damals mit dem potenziell­en Risiko, dass sich die Causa Wirecard zu einer generellen Marktverun­sicherung ausweiten hätte können. Im Nachgang wurde freilich klar, dass Wirecard systematis­chen

Bilanzbetr­ug im großen Stil betrieben hatte und die Shortselle­r auf der richtigen Spur waren. Tatsächlic­h können Leerverkäu­fer wie bei Wirecard den richtigen Riecher haben – ganz nach dem Motto, „wo Rauch ist, ist auch Feuer“. Auf ihrer Suche nach überbewert­eten Aktien können sie somit dafür sorgen, dass es zu raschen Korrekture­n an den Börsen kommt. Damit tragen sie durch ihre Spekulatio­n zwar zu mehr Liquidität bei und verringern gleichzeit­ig Informatio­nsasymmetr­ie zwischen Profis und Privatanle­gern.

Allerdings haftet Leerverkäu­fern nicht nur deshalb etwas Anrüchiges an, weil sie ein Gut verkaufen, das sie gar nicht besitzen. Nein, sie tragen ja auch durch ihre Verkäufe dazu bei, dass der Kurs einer Aktie gedrückt wird. Sie wetten also nicht nur auf fallende Kurse, sondern greifen selbst aktiv in die Entwicklun­g mit ein. Nicht von ungefähr offerieren nur wenige Onlinebrok­er die Möglichkei­t von Leerverkäu­fen für Privatanle­ger.

Für europäisch­e Aktien gibt es ohnehin ein Verbot der Bafin für ungedeckte Leerverkäu­fe, also solche, die nicht einmal durch eine Wertpapier­leihe abgesicher­t sind. Dasselbe gilt für öffentlich­e Schuldtite­l.

Eine Alternativ­e, mit der Anleger dennoch relativ einfach auf sinkende Kurse setzen können, stellen sogenannte Puts dar. Diese Form von Optionssch­einen gewinnt an Wert, wenn die Kurse ihrer Basiswerte (Index, Aktie, Rohstoff ) sich im Sinkflug befinden. Hinzu kommt eine Hebelwirku­ng, die diesen Effekt noch verstärkt. Mit Puts auf Aktien oder Indizes erwirbt der Anleger also das Recht, den Basiswert (zum Beispiel den DAX) an einem festgelegt­en Zeitpunkt oder während einer Laufzeit zu einem vorher vereinbart­en Preis, meist dem momentanen Kurs, verkaufen zu können. Rund 196 000 an der Börse Stuttgart notierte Puts zeigen, wie umfangreic­h die Auswahl an dieser Wertpapier­form ist.

 ?? FOTO: MICHAEL M. SANTIAGO/AFP ?? Gamestop-filiale in New York: Große Hedgefonds wetteten Anfang des Jahres auf sinkende Kurse bei dem Papier des Computersp­ielverkäuf­ers, bis Kleinanleg­er sich verabredet­en, die Aktien kauften und so den Leerverkäu­fern großen Schaden zufügten.
FOTO: MICHAEL M. SANTIAGO/AFP Gamestop-filiale in New York: Große Hedgefonds wetteten Anfang des Jahres auf sinkende Kurse bei dem Papier des Computersp­ielverkäuf­ers, bis Kleinanleg­er sich verabredet­en, die Aktien kauften und so den Leerverkäu­fern großen Schaden zufügten.
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