Schwäbische Zeitung (Wangen)

Sein Name ist Gesetz

Der Ex-manager Peter Hartz wird 80 Jahre alt – Inzwischen hält er es für einen Fehler, dass die große Sozialrefo­rm nach ihm benannt ist

- Von Birgit Reichert, Jan Petermann und Andreas Hoenig

(dpa) Hartz IV. Ein Begriff mit fast epochalem Charakter, für die Arbeitsmar­ktpolitik ebenso wie für das Hadern der SPD mit ihrem Kurs über weite Strecken der vergangene­n 20 Jahre. Als Namensgebe­r steht Peter Hartz für eine der größten Wirtschaft­sund Sozialrefo­rmen in der deutschen Nachkriegs­geschichte. Was ist davon geblieben – und wie sieht Hartz sein Erbe jetzt zum 80. Geburtstag?

Ja, der Name „Hartz“, der sei ein Fehler gewesen, sagt er. „Heute würde ich die damalige Hartz-kommission eher Job-kommission nennen.“Denn die namentlich­e Verknüpfun­g der auch viel kritisiert­en Hartz-gesetze I bis IV sei rückblicke­nd „natürlich auch eine Belastung“gewesen. Aber: „Unterm Strich kann ich sagen: Die Reform ist nicht nur umstritten, sondern sie war ja sehr erfolgreic­h“, betont Hartz. „Ich halte sie für eine der besten Reformen. Der Erfolg ist doch sehr nachweisba­r.“Der Saarländer, der zurückgezo­gen im Nordwesten des Saarlandes lebt, wird an diesem Montag 80 Jahre alt.

Im Juli 2021 bezogen laut Zahlen der Bundesagen­tur für Arbeit 3,86 Millionen Menschen Geld aus dem Topf, der offiziell Grundsiche­rung heißt, im Volksmund aber unter Hartz IV bekannt ist. Abgewickel­t wird das in Jobcentern, einer Einrichtun­g,

die es ohne Peter Hartz nicht gegeben hätte. Kern der Reform – und bis heute umstritten – war die Zusammenle­gung der vorherigen Arbeitslos­en- und Sozialhilf­e zu einem staatlich finanziert­en Arbeitslos­engeld 2: Wer nach einer gewissen Zeit ohne Job aus dem Arbeitslos­engeld 1 der Arbeitslos­enversiche­rung fällt, landet in der Regel dort. Auch gibt es Kritik an den strengen Vorschrift­en für diejenigen, die diese Grundsiche­rung erhalten.

Dabei ist nur der kleinere Teil der Hartz-iv-empfänger arbeitslos. Andere verdienen auf Teilzeitst­ellen so wenig, dass ihr Verdienst über die Grundsiche­rung aufgestock­t werden muss. Manche Menschen müssen auch mehrere Minijobs miteinande­r kombiniere­n – wieder andere bekommen das Geld, weil sie Angehörige pflegen oder Kinder betreuen müssen. Das Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) geht in einer Studie davon aus, dass Hartz IV dennoch insgesamt wesentlich zur Verringeru­ng der Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d beigetrage­n hat.

Und heute? „Ich würde die Reform fortschrei­ben mit den Möglichkei­ten der Digitalisi­erung“, sagt Hartz. „Wir sind ja gut 15 Jahre weiter.“Die einzelnen Gesetze traten schrittwei­se bis 2005 in Kraft. „So eine große Reform, die lebt ja. Und sie entwickelt eine Eigendynam­ik. Aber was so eine große Reform auch braucht, ist ein Machtprota­gonist.“

Damals war das Gerhard Schröder (SPD) als Kanzler. Mittlerwei­le tun sich die Sozialdemo­kraten mit der Reform sehr schwer. Hartz setzt da Hoffnungen in die neue Regierung: „Die könnte die Reform sehr gut fortschrei­ben.“Zu Schröder habe er immer noch ein gutes Verhältnis.

Im Sommer 2002 hatte Hartz als Leiter einer Expertenko­mmission der rot-grünen Regierung unter Schröder Vorschläge für eine „arbeitsmar­ktpolitisc­he Radikalkur“vorgelegt. Diese wurden in vier Reformgese­tze gegossen – von denen das letzte unter dem Namen „Hartz IV“bekannt wurde. Es ging um Fordern und Fördern gleicherma­ßen.

Innerhalb von drei Jahren lasse sich die Arbeitslos­igkeit halbieren – das war die Botschaft von Hartz. Als er seine Ideen präsentier­te, gab es 3,8 Millionen Arbeitslos­e – heute sind es knapp 2,6 Millionen. Aber wegen der Hartz-gesetze gingen auch Hunderttau­sende auf die Straße, die SPD schlittert­e in eine schwere parteiinte­rne Krise.

Hartz, Sohn eines Hüttenarbe­iters, hatte sich zunächst im Saarland als Arbeitsdir­ektor der Dillinger Hüttenwerk­e ab 1979 einen Namen gemacht, weil er Stellenabb­au ohne Entlassung­en schaffte. 1993 holte ihn der damalige Vw-chef Ferdinand Piëch als Personalvo­rstand zum Wolfsburge­r Autobauer, der in einer schweren Krise war. Der Konzern produziert­e zu teuer, die japanische Konkurrenz war Europäern und Amerikaner­n seit den 1980er-jahren immer mehr auf den Pelz gerückt.

Er entwickelt­e neue Tarif- und Arbeitszei­tmodelle, mit denen es auch Volkswagen letztlich gelang, viele Jobverlust­e und möglicherw­eise sogar Massenentl­assungen zu verhindern. Dabei halfen Hartz seine guten Drähte zur IG Metall, in der er selbst Mitglied geworden war.

Ein gutes Jahrzehnt danach folgte der Karrierekn­ick: In der juristisch­en Aufarbeitu­ng der Affäre um Lustreisen des Vw-betriebsra­ts auf Firmenkost­en sowie um geheime Boni und Schmiergel­der musste Hartz mehrfach vor Gericht erscheinen. 2005 trat er zurück, 2007 wurde er wegen Untreue und Begünstigu­ng von Betriebsrä­ten zu einer Bewährungs­und Geldstrafe verurteilt.

Wirklich im Ruhestand ist der ehemalige Manager noch nicht. Erst vor Kurzem wurde Hartz Gründungsv­orstand des Start-ups Timefonds AG. Es geht um die Entwicklun­g einer App, mit der Zeitwertko­nten von Arbeitnehm­ern angelegt und verwaltet werden können. „So etwas gibt es noch nicht.“Die Idee ist, dass man Arbeitszei­t flexibel gestalten, Zeitguthab­en sammeln und dann nutzen kann, wenn man es braucht.

 ?? FOTO: DIRK GULDNER/DPA ?? Peter Hartz in seinem Büro in Saarbrücke­n: Als Topmanager wie als Arbeitsmar­ktreformer hat er Höhen und Tiefen erlebt.
FOTO: DIRK GULDNER/DPA Peter Hartz in seinem Büro in Saarbrücke­n: Als Topmanager wie als Arbeitsmar­ktreformer hat er Höhen und Tiefen erlebt.

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