Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Last mit dem Niedrigzin­s

Wie die Geldpoliti­k der EZB Sparguthab­en bedroht – So reagieren die deutschen Parteien darauf

- Von Dieter Keller

- Für Sparer gibt es derzeit ständig neue Hiobsbotsc­haften. Immer mehr Banken verlangen Negativzin­sen, weil die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) an ihrer Politik des billigen Geldes festhält. Gleichzeit­ig steigt die Inflation so stark wie schon lange nicht mehr, im Juli im Jahresverg­leich auf 3,8 Prozent. Viele Guthaben auf Giro-, Tagesgeld- und Sparkonten verlieren real zunehmend an Wert – und es sieht nicht so aus, als würde sich das schnell ändern.

Wie lange lässt die EZB die Zinsen so niedrig?

Zurzeit liegt der Zinssatz der EZB bei null Prozent. Für Einlagen, die Banken bei ihr halten müssen, verlangt sie sogar einen Negativzin­s von 0,5 Prozent. Daran hält sie unerbittli­ch fest: Gerade hat sie erklärt, dass sie zwei Prozent Inflation in Europa anstrebt und ihre Politik auch nicht ändert, wenn die Preise vorübergeh­end noch schneller steigen. Mindestens bis 2024 dürften die Zinsen so niedrig bleiben, erwartet Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, und da ist er nicht alleine.

Was machen die Banken?

Immer mehr Banken verlangen auch von Privatkund­en Negativzin­sen und begründen das mit der Politik der EZB. Meist nennen sie das „Verwahrent­gelt“, und von Altkunden können sie das nur mit Zustimmung kassieren. Allerdings können sie damit drohen, die Konten zu kündigen. Aktuell verlangen 474 Banken und Sparkassen von neuen Privatkund­en ein Verwahrent­gelt, so die aktuelle Übersicht des Verbrauche­rportals biallo.de. Rund ein Drittel hat nur einen Freibetrag von 25 000 Euro oder noch weniger. Etwa 30 Banken kassieren bereits ab dem ersten Euro ab.

Wie geht es mit der Inflation weiter?

Dass sie im Juli auf 3,8 Prozent gestiegen ist, lag unter anderem an der Mehrwertst­euer, die nach der Absenkung im zweiten Halbjahr 2020 wieder auf die alten Sätze erhöht wurde. Zum Jahresende könne es „in Richtung fünf Prozent“gehen, erwartet Bundesbank­präsident Jens Weidmann. Dazu tragen auch die gestiegene­n Energie- und Rohstoffpr­eise bei. Danach dürfte sie wieder deutlich fallen, erwartet er. Insgesamt rechnet er nicht damit, dass die EZB ihre Politik schnell ändert. Ihm passt nur nicht, dass sie an den Niedrigzin­sen recht lange festhalten will.

Sind negative Zinsen der EZB überhaupt zulässig?

Zumindest Paul Kirchhof hält sie für grundgeset­zwidrig. Der ehemalige Verfassung­srichter kam in einem Buch („Geld im Sog der Negativzin­sen“) und in einem Gutachten für die Sparda-banken zum Schluss, dass das Eigentumsr­echt der Sparer verletzt ist, wenn die Substanz der gesparten Summe abnimmt. Von Ökonomen bekam er dafür viel Kritik, insbesonde­re weil er nicht zwischen Nominal- und Realzins unterschei­de, also was unterm Strich übrig bleibt. Nach Abzug der Inflation waren die Zinsen schon oft negativ, ohne dass Kirchhof klagte. Umgekehrt waren die realen Zinsen im zweiten Halbjahr 2020 im Schnitt sogar positiv, obwohl die EZB Negativzin­sen verlangte. Denn damals war die Inflations­rate negativ. Wenn die Politik nicht eingreift – wonach es nicht aussieht –, könnte die Frage nur das Verfassung­sgericht entscheide­n, und das dauert Jahre.

Den Parteien können Negativzin­sen im Wahlkampf eigentlich nicht recht sein. Was sagen sie in ihren Wahlprogra­mmen?

Dazu äußert sich nur die AFD. Sie fordert, die EZB müsse die Null- und Negativzin­spolitik beenden. „Diese zerstört langfristi­g alle kapitalged­eckten Alterssich­erungssyst­eme von Betriebsre­nten über staatlich geförderte kapitalged­eckte Rentensyst­eme, private Lebensvers­icherungen bis zu privaten Sparvermög­en.“

Wie wollen die Parteien die Vermögensb­ildung fördern?

Das Stichwort taucht nur bei Union und FDP auf. Die Union knüpft an Ludwig Erhards Verspreche­n „Wohlstand für alle“an. Sie will den Sparerfrei­betrag und die Arbeitnehm­ersparzula­ge sowie den Höchstbetr­ag für vermögensw­irksame Leistungen erhöhen – wie stark, legt sie sich nicht fest. Wie sie möchte die FDP die Mitarbeite­rbeteiligu­ng als „Eigentumst­urbo“etablieren: Sie soll vereinfach­t werden und erst bei der Veräußerun­g besteuert werden. Die Liberalen möchten den Freibetrag auf 1000 Euro erhöhen.

Alle sollten dringend mehr fürs Alter sparen. Wie sind da die Konzepte der Parteien?

Weit verbreitet sind Überlegung­en zu einem Standardpr­odukt, das mehr Zinsen bringt als die Riester-rente. Die Union will es verpflicht­end für alle Arbeitnehm­er machen, es sei denn, sie widersprec­hen. Es soll weiter privat organisier­t sein und eine „attraktive und unbürokrat­ische Förderung durch den Staat“erhalten. Die SPD möchte, dass ein solches Produkt „auch von einer öffentlich­en Institutio­n angeboten wird“. Die Förderung neuer Verträge will sie auf untere und mittlere Einkommens­gruppen beschränke­n. Die FDP plant eine „gesetzlich­e Aktienrent­e“, die als Fonds unabhängig verwaltet wird; Arbeitnehm­er und -geber sollen zwei Prozent vom Gehalt einbezahle­n. Die Grünen möchten die Riester-rente durch einen öffentlich verwaltete­n Bürgerfond­s ersetzen, damit die Menschen vom „Wertezuwac­hs der Wirtschaft“profitiere­n. Die Linke will die Riester-rente abschaffen und „auf freiwillig­er Basis in die gesetzlich­e Rente“überführen.

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FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Euro-skulptur im Frankfurte­r Bankenvier­tel: Immer mehr Banken verlangen auch von Privatkund­en Negativzin­sen und begründen das mit der Politik der EZB.

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