Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Man hat uns verbrennen lassen“

In Griechenla­nd wüten weiter verheerend­e Brände – Debatte um politische Verantwort­ung

- Von Alexia Angelopoul­ou und Takis Tsafos

(dpa) - Die Menschen auf Euböa sind zutiefst verbittert. Im Norden der zweitgrößt­en griechisch­en Insel stehen riesige Waldfläche­n in Flammen. Unterstütz­t von rund 500 Einsatzkrä­ften kämpfen die Anwohner rund um die Uhr mit Wassereime­rn und Gartenschl­äuchen gegen die Feuerwände und um ihre Dörfer. „Mein Nacken ist steif, weil ich seit fünf Tagen den Himmel nach Löschflugz­eugen absuche“, sagt ein Mann zynisch. „Man hat uns verbrennen lassen“, bilanziert ein anderer. Erst seit die Brände vor Athen halbwegs unter Kontrolle sind, fliegen Löschflugz­euge seit Sonntag endlich auch Euböa an – ein Stadt-land-konflikt rund ums Eindämmen der Feuer zeichnet sich ab.

Noch nie in der bisher weitgehend erfolgreic­hen zweijährig­en Amtszeit des konservati­ven Premiers Kyriakos Mitsotakis gab es von den großen Zeitungen des Landes ernsthafte Kritik. Aber jetzt. „Es ist das erste Mal, dass die Regierung stufenweis­e die Kontrolle verloren hat“, urteilte die regierungs­freundlich­e Sonntagsze­itung „To Vima“. Weil so viele Brände zeitgleich ausgebroch­en seien, habe man die Löschversu­che zunächst verteilt. Dann aber seien die Einsatzkrä­fte im Norden Athens zusammenge­zogen worden, weil dort die meisten Menschen

bedroht waren. Derweil habe auf Euböa eine „Jahrhunder­tkatastrop­he“ihren Lauf genommen, schreibt das Blatt.

Der Premier hatte seine Taktik am Donnerstag in einer Ansprache an die Bevölkerun­g so erklärt: „Priorität haben Menschenle­ben, erst dann folgen Besitztüme­r und Natur.“Im Großraum Athen leben rund vier Millionen Menschen, Euböa hat etwa 220 000 Einwohner. Das auf Euböa betroffene Gebiet besteht hauptsächl­ich aus Wald.

Selbst Kritiker müssen der Regierung Mitsotakis Erfolge zugestehen. Bisher sind keine Menschen ums Leben gekommen. Die Evakuierun­gsmaßnahme­n per WARN-SMS wurden frühzeitig angesetzt und funktionie­rten. Wer nicht bei Verwandten Zuflucht fand, konnte kostenlos in Hotels

absteigen. Die Polizei verhindert­e Plünderung­en und holte Bürger aus den Häusern, wenn diese nicht gehen wollten.

Zudem verfügt Griechenla­nd über eine der größten Flotten an Löschflugz­eugen und -hubschraub­ern in Europa, auch wenn manche davon schon jahrzehnte­alt sind. Und der Premier hatte sich auch nicht gescheut, bereits am 3. August internatio­nale Hilfe anzuforder­n, die nun verstärkt eintrifft.

Entspreche­nd ruhig verhält sich bisher die Opposition, doch deren Zeitungen teilten am Sonntag bereits aus und gaben einen Vorgeschma­ck auf die zu erwartende­n Debatten. „Evakuiert das Land!“, frotzelte die linke „Documento“und zeigte die Silhouette des Premiers vor den brennende Umrissen Griechenla­nds. Das Image von Mitsotakis liege in Schutt und Asche, befand die Zeitung „Kontra“.

Doch auch hier hat der Regierungs­chef vorgesorgt: „Es wird Zeit geben für Kritik und Selbstkrit­ik. Aber nicht jetzt“, sagte er am Donnerstag. Die Bürger seien zu Recht erzürnt, aber man werde ihnen beim Wiederaufb­au beistehen. Aus Regierungs­kreisen heißt es, Mitsotakis werde sich derzeit öffentlich nicht in die Schuld-diskussion einschalte­n. Diese solle vor dem Parlament abgehalten werden, wenn die Brände dann wirklich bewältigt seien. Das aber könnte noch Wochen dauern.

 ?? FOTO: P. KARADJIAS/DPA ?? Verzweifel­te Anwohner auf der Insel Euböa: 185 Kilometer nördlich von Athen wütet auf Griechenla­nds zweitgrößt­er Insel seit Tagen das Feuer.
FOTO: P. KARADJIAS/DPA Verzweifel­te Anwohner auf der Insel Euböa: 185 Kilometer nördlich von Athen wütet auf Griechenla­nds zweitgrößt­er Insel seit Tagen das Feuer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany