Beinahe-rendezvous an der Venus
Doppeltes Bremsmanöver der Esa – Sonden passieren erdnächsten Planeten fast gleichzeitig
(dpa) - Was angesichts der Satellitendichte in der Erdumlauflaufbahn idyllisch anmutet, ist an der Venus fast schon hohes Verkehrsaufkommen. Binnen weniger Stunden werden an diesem Montag und am Dienstag die Esa-sonden „Solar Orbiter“und „Bepicolombo“an der Venus vorbeifliegen, um auf dem Weg zu ihren Missionszielen abzubremsen. Mit dem japanischen Venus-orbiter „Akatsuki“sind dann gleich drei Forschungssonden am erdnächsten Planeten. „Das war nicht aktiv geplant. Jetzt sind die Wissenschaftler ganz froh, weil sie bekommen drei Datensätze von der Venus aus unterschiedlichen Blickwinkeln, was für sie ein Novum ist“, sagt der Leiter des Esa-missionsbetriebs im Kontrollzentrum in Darmstadt, Simon Plum. „Dass man die Venus aus drei verschiedenen Winkeln beobachten kann, ist einmalig.“
Datensätze, die auch Aufschluss für künftige Missionen bringen können, ja – ein gegenseitiges Fotoshooting, nein. „Das hatten wir untersucht, aber das funktioniert nicht, dafür kommen sie sich nicht nah genug.“Dass es dennoch fast zum Rendezvous kommt, liegt an Verzögerungen bei den Missionen.
„Solar Orbiter“wird an diesem Montag um 6.42 Uhr (MESZ) in einer Entfernung von 7995 Kilometern an der Venus vorbeifliegen. Am Folgetag wird an der gegenüberliegenden Planetenseite „Bepicolombo“um 15.48 Uhr in nur 550 Kilometern Höhe die geringste Distanz erreichen, das ist nur wenig mehr als der Abstand der Internationalen Raumstation ISS zur Erde.
Die Atmosphäre der Venus besteht nach Angaben des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) hauptsächlich aus Kohlendioxid,
was zu einem erheblichen Treibhauseffekt führt. Die Temperaturen auf dem inneren Nachbarplaneten im Sonnensystem liegen demnach Tag und Nacht bei etwa 470 Grad Celsius. Die Zusammensetzung der Atmosphäre sei Gegenstand der Untersuchungen der japanischen Sonde „Akatsuki“. Laut Max-planckinstitut für Sonnensystemforschung sammeln auch „Bepicolombo“und „Solar Orbiter“wertvolle Daten.
Bange ist Plum und seinem Team in Darmstadt nicht. „Wir versuchen jetzt das Beste aus diesem glücklichen Zufall zu machen.“Man habe für die Steuerung der Sonden Teams mit Spezialisten. „Das ist nicht mehr
Aufwand, aber auch nicht weniger.“Noch immer könnten im Kontrollzentrum wegen der Corona-pandemie die Teams nicht in voller Stärke arbeiten. Bei beiden Missionen gebe es im Vorfeld noch kleine Kurskorrekturen. Beim Vorbeiflug habe man dann ohnehin keine Eingriffsmöglichkeiten mehr. Zur Venus gebe es immerhin zehn Minuten Datenverzögerung. Aber: „Wir sind gut vorbereitet. Etwas Unvorhergesehenes kann immer passieren, aber das ist das normale Risiko“, sagt Plum. Einen Zusammenstoß könne man mit Sicherheit ausschließen.
Die europäische Raumfahrtagentur steuert nach eigenen Angaben derzeit 25 Satelliten, 22 vom Kontrollzentrum in Darmstadt aus. Die Raumsonde „Bepicolombo“startete im Oktober 2018 ihre sieben Jahre dauernde Reise zum sonnennächsten Planeten Merkur. Mit zwei Satelliten an Deck soll sie ab Dezember 2025 die Oberfläche und das Magnetfeld des Himmelskörpers untersuchen. Das europäisch-japanische Gemeinschaftsprojekt mit Gesamtkosten von rund zwei Milliarden Euro soll dazu beitragen, die Ursprünge des Sonnensystems zu verstehen.
Die rund 1,5 Milliarden Euro teure Sonde „Solar Orbiter“der Esa und der Us-raumfahrtbehörde Nasa war im Februar 2020 von Cape Canaveral im Us-bundesstaat Florida gestartet. An Bord des 1,8 Tonnen schweren Orbiters sind zehn wissenschaftliche Instrumente. Forscher erhoffen sich neue Erkenntnisse über die Sonne und das Magnetfeld. „Solar Orbiter“soll bis auf 42 Millionen Kilometer an die Sonne heranfliegen.
Die Sonde hat bereits erste Filme von Partikeleruptionen aus der Sonnenatmosphäre aufgenommen. Solche starken Sonnenwinde können das sogenannte Weltraumwetter beeinflussen. Bei Planeten mit Atmosphäre können die Teilchen Polarlichter auslösen. Sie können aber auch zu technischen Problemen führen, wie dem Ausfall von Navigationssystemen.
Beide Sonden fliegen auf der Reise mehrfach und geplant an Planeten vorbei und werden abgebremst. Der „Solar Orbiter“wird im November zum letzten Mal die Erde passieren. Ohne diese Manöver würden die Sonden in Richtung Sonne durch die Anziehungskraft immer weiter beschleunigt und höchstwahrscheinlich an dem Stern vorbeischießen, sagt Plum. „Wir müssen sie abbremsen, damit sie in die entsprechenden Orbits einschwenken können.“