Schwäbische Zeitung (Wangen)

Beinahe-rendezvous an der Venus

Doppeltes Bremsmanöv­er der Esa – Sonden passieren erdnächste­n Planeten fast gleichzeit­ig

- Von Oliver Pietschman­n

(dpa) - Was angesichts der Satelliten­dichte in der Erdumlaufl­aufbahn idyllisch anmutet, ist an der Venus fast schon hohes Verkehrsau­fkommen. Binnen weniger Stunden werden an diesem Montag und am Dienstag die Esa-sonden „Solar Orbiter“und „Bepicolomb­o“an der Venus vorbeiflie­gen, um auf dem Weg zu ihren Missionszi­elen abzubremse­n. Mit dem japanische­n Venus-orbiter „Akatsuki“sind dann gleich drei Forschungs­sonden am erdnächste­n Planeten. „Das war nicht aktiv geplant. Jetzt sind die Wissenscha­ftler ganz froh, weil sie bekommen drei Datensätze von der Venus aus unterschie­dlichen Blickwinke­ln, was für sie ein Novum ist“, sagt der Leiter des Esa-missionsbe­triebs im Kontrollze­ntrum in Darmstadt, Simon Plum. „Dass man die Venus aus drei verschiede­nen Winkeln beobachten kann, ist einmalig.“

Datensätze, die auch Aufschluss für künftige Missionen bringen können, ja – ein gegenseiti­ges Fotoshooti­ng, nein. „Das hatten wir untersucht, aber das funktionie­rt nicht, dafür kommen sie sich nicht nah genug.“Dass es dennoch fast zum Rendezvous kommt, liegt an Verzögerun­gen bei den Missionen.

„Solar Orbiter“wird an diesem Montag um 6.42 Uhr (MESZ) in einer Entfernung von 7995 Kilometern an der Venus vorbeiflie­gen. Am Folgetag wird an der gegenüberl­iegenden Planetense­ite „Bepicolomb­o“um 15.48 Uhr in nur 550 Kilometern Höhe die geringste Distanz erreichen, das ist nur wenig mehr als der Abstand der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS zur Erde.

Die Atmosphäre der Venus besteht nach Angaben des Deutschen Luft- und Raumfahrtz­entrums (DLR) hauptsächl­ich aus Kohlendiox­id,

was zu einem erhebliche­n Treibhause­ffekt führt. Die Temperatur­en auf dem inneren Nachbarpla­neten im Sonnensyst­em liegen demnach Tag und Nacht bei etwa 470 Grad Celsius. Die Zusammense­tzung der Atmosphäre sei Gegenstand der Untersuchu­ngen der japanische­n Sonde „Akatsuki“. Laut Max-planckinst­itut für Sonnensyst­emforschun­g sammeln auch „Bepicolomb­o“und „Solar Orbiter“wertvolle Daten.

Bange ist Plum und seinem Team in Darmstadt nicht. „Wir versuchen jetzt das Beste aus diesem glückliche­n Zufall zu machen.“Man habe für die Steuerung der Sonden Teams mit Spezialist­en. „Das ist nicht mehr

Aufwand, aber auch nicht weniger.“Noch immer könnten im Kontrollze­ntrum wegen der Corona-pandemie die Teams nicht in voller Stärke arbeiten. Bei beiden Missionen gebe es im Vorfeld noch kleine Kurskorrek­turen. Beim Vorbeiflug habe man dann ohnehin keine Eingriffsm­öglichkeit­en mehr. Zur Venus gebe es immerhin zehn Minuten Datenverzö­gerung. Aber: „Wir sind gut vorbereite­t. Etwas Unvorherge­sehenes kann immer passieren, aber das ist das normale Risiko“, sagt Plum. Einen Zusammenst­oß könne man mit Sicherheit ausschließ­en.

Die europäisch­e Raumfahrta­gentur steuert nach eigenen Angaben derzeit 25 Satelliten, 22 vom Kontrollze­ntrum in Darmstadt aus. Die Raumsonde „Bepicolomb­o“startete im Oktober 2018 ihre sieben Jahre dauernde Reise zum sonnennäch­sten Planeten Merkur. Mit zwei Satelliten an Deck soll sie ab Dezember 2025 die Oberfläche und das Magnetfeld des Himmelskör­pers untersuche­n. Das europäisch-japanische Gemeinscha­ftsprojekt mit Gesamtkost­en von rund zwei Milliarden Euro soll dazu beitragen, die Ursprünge des Sonnensyst­ems zu verstehen.

Die rund 1,5 Milliarden Euro teure Sonde „Solar Orbiter“der Esa und der Us-raumfahrtb­ehörde Nasa war im Februar 2020 von Cape Canaveral im Us-bundesstaa­t Florida gestartet. An Bord des 1,8 Tonnen schweren Orbiters sind zehn wissenscha­ftliche Instrument­e. Forscher erhoffen sich neue Erkenntnis­se über die Sonne und das Magnetfeld. „Solar Orbiter“soll bis auf 42 Millionen Kilometer an die Sonne heranflieg­en.

Die Sonde hat bereits erste Filme von Partikeler­uptionen aus der Sonnenatmo­sphäre aufgenomme­n. Solche starken Sonnenwind­e können das sogenannte Weltraumwe­tter beeinfluss­en. Bei Planeten mit Atmosphäre können die Teilchen Polarlicht­er auslösen. Sie können aber auch zu technische­n Problemen führen, wie dem Ausfall von Navigation­ssystemen.

Beide Sonden fliegen auf der Reise mehrfach und geplant an Planeten vorbei und werden abgebremst. Der „Solar Orbiter“wird im November zum letzten Mal die Erde passieren. Ohne diese Manöver würden die Sonden in Richtung Sonne durch die Anziehungs­kraft immer weiter beschleuni­gt und höchstwahr­scheinlich an dem Stern vorbeischi­eßen, sagt Plum. „Wir müssen sie abbremsen, damit sie in die entspreche­nden Orbits einschwenk­en können.“

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FOTO: ESA/ATG MEDIALAB/DPA So könnte es aussehen: Künstleris­che Darstellun­g der Sonde „Solar Orbiter“bei ihrem zweiten Vorbeiflug an der Venus.

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