Unterirdisches Schaudern
Im Kalten Krieg gab es mehr als 30 Bunker am ehemaligen Fliegerhorst Memmingerberg
- Der Trampelpfad neben dem größten Bunker, Gebäudenummer 89, auf dem Memminger Flughafen führt zu einer massiven Stahltür. Dicke Spinnweben hängen an den Außenwänden des tarnfarbenen Gebäudes. Hier kommt normalerweise niemand rein. Außer Klaus Neukamm.
Der Leiter der Flughafenfeuerwehr zückt den Schlüssel. „Na, dann mal hereinspaziert“, sagt er und öffnet erstmals für ein Reporterteam den Zugang zu einem der gespenstischsten Orte im Allgäu: Einem Schutzbunker des Kalten Krieges, der vor 30 Jahren mit der Auflösung des Warschauer Pakts endete. Erbaut Mitte der 1980er-jahre, als die militärische Bedrohung durch den Ostblock noch allgegenwärtig war. Mehrere Turnhallen groß. Vorwiegend unterirdisch. Mit meterdicken Wänden.
Hier sollten 150 Soldaten des Jagdbombergeschwaders 34 Memmingen im Falle eines sowjetischen Raketenangriffs Schutz finden, um im Schichtbetrieb Nato-kampfflugzeuge wie Tornados oder Starfighter zu reparieren. Neukamm knipst den Lichtschalter an und macht im kühlen Neonlicht eine ausholende Handbewegung. „Der Raum da, gleich neben dem Eingang, war einmal die Schleuse, in der Soldaten auf chemische und atomare Verseuchung untersucht wurden“, erklärt er.
Dann deutet er auf die grau melierte Tür eines Fahrstuhls, der in das Innere des längst verlassenen Kolosses führt. „Die ganz Mutigen“, sagt er mit einem sarkastischen Lächeln, „können gerne den Aufzug nehmen.“Wir bevorzugen dann doch lieber die Treppe. In den großen, fensterlosen Hallen unter der Erde stehen noch Relikte technischer Gerätschaften, Schaltpulte und ein faradayscher Käfig aus Metall – zur Abschirmung vor elektromagnetischen Spannungsfeldern. Für Außenstehende wirkt die düstere Szenerie wie die Kulisse eines Horrorfilms.
Für zusätzliches Schaudern sorgt die Vorstellung, dass in diesem wohl größten Bunker im Allgäu nicht etwa Platz für Zivilisten oder Kinder gewesen wäre. „In diesen Räumen sollte hochsensible Technik wie Radarund Navigationsgeräte der Kampfflugzeuge kontrolliert und repariert werden, damit sie wieder Einsätze fliegen hätten können.
Daneben gab es Luftschutzbunker unter den Kasernengebäuden“, erläutert Heinrich Schneider. Der heute 72-Jährige war früher Kommodore am damaligen Fliegerhorst Memmingerberg. 2400 Soldaten und Zivilbedienstete waren dort zu Hochzeiten stationiert. Dazu gehörte von 1966 bis 1996 eine Einheit der Us-luftwaffe mit 400 Soldaten.
Aus heutiger Sicht unvorstellbar: Diese lagerten eine nicht näher genannte Zahl von Atomwaffen auf einem von den Amerikanern bewachten Hochsicherheits-areal. Jeder Eindringling wäre dort sofort erschossen worden. Die Us-offiziere hatten die Schlüsselgewalt und verfügten zudem über die Codes zur Schärfung der Bomben. Bei einer Alarmierung hätten auch deutsche Piloten Einsätze fliegen müssen. In versiegelten Umschlägen befanden sich die anzufliegenden Zielkoordinaten. Beim Abzug der Us-luftstreitkräfte in den frühen 1990er-jahren wurden die Nuklearsprengköpfe zurück in die Vereinigten Staaten geflogen und dort vermutlich verschrottet. Trotz des ständigen Bedrohungsszenarios durch die Ostblockstaaten habe auf dem Fliegerhorst eine „normale, teils sogar lockere Stimmung“geherrscht, erinnert sich Schneider. „Man hat die gesamte Tätigkeit vor allem als notwendige Drohgeste gegenüber der damaligen Sowjetunion gesehen.“Als Teil des „Gleichgewichts des Schreckens“, wie es Historiker heute nennen.
Über 30 Bunkeranlagen gab es am Fliegerhorst, 26 davon – wie große Garagen – dienten dem Schutz von Flugzeugen und Piloten. Heute, 17 Jahre nach der endgültigen Stilllegung der militärischen Anlagen, haben dort Gewerbetreibende und Firmen Einzug gehalten, sagt Ralf Schmid, Geschäftsführer am Memminger Flughafen. Sie nutzen die Gebäude als Lager oder zur Fertigung. Und über ihnen heben in friedlicher Mission die Flugzeuge des Allgäu Airports ab.
Zu ihren über 40 Zielen zählte – zumindest bis zum Beginn der Corona-krise – auch eine ferne Stadt im Osten: Moskau. „Dass der Flughafen in Memmingen heute Menschen aus West und Ost zusammenführt, davon hätten wir damals nicht zu träumen gewagt“, sagt Heinrich Schneider.