Wenn nur Corona nicht gewesen wäre
Die Olympischen Spiele von Tokio sind beendet – Was bleibt sind hohe Kosten und ein bitterer Beigeschmack
(dpa) - Für Thomas Bach ist die Sache klar. „Wir können selbstbewusst sagen, diese Olympischen Spiele kamen zur richtigen Zeit“, behauptete der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees am Sonntag in seiner leuchtenden Schlussbilanz der Sommerspiele von Tokio. Die dunkle Maske aber, die der 67-Jährige bei seiner Rede im Fünfsterne-hotel Okura trägt, dürfte für nicht wenige als Widerspruch zu Bachs Worten wirken. Die stetig steigenden Corona-infektionen in der Olympia-stadt und die trostlos leeren Arenen belasten das Bild von den Notspielen in Japan.
Für den IOC-CHEF waren es dennoch „sehr erfolgreiche Olympische Spiele“. Die schmerzhafte Verschiebung um ein Jahr, die Sorgen der Organisatoren, die enormen Ausgaben, der Widerstand im Gastgeberland – all das löst sich für Bach am Schlusstag in Erleichterung auf. „Einige hatten vorher bereits von Geisterspielen gesprochen. Wir haben das Gegenteil gesehen. Die Athleten haben diesen Spielen Seele gegeben“, sagte der Würzburger. Bei der Schlussfeier nannte Bach die Tokio-ausgabe „Spiele der Hoffnung, der Solidarität und des Friedens“, für die eine „beispiellose Anstrengung“nötig gewesen sei. Für die Sportlerinnen und Sportler sei man das Wagnis von Spielen inmitten der Pandemie eingegangen. Und diese hätten den riskanten Entschluss für richtig befunden. „So eine Atmosphäre von Freundschaft und Zusammenhalt habe ich so wie hier noch nie erfahren“, schwärmte der Fecht-olympiasieger von 1976.
Um 22.14 Uhr Ortszeit erlosch am Sonntag im Olympiastadion das olympische Feuer nach 16 Tagen und 339 Entscheidungen. Vor fast leeren Rängen kamen Sportlerinnen und Sportler noch einmal zu einer über zwei Stunden langen Schlussfeier im Beisein von Kronprinz Akishino zusammen. Zum Schluss der Feier leuchtete der Schriftzug „Arigato“(Danke) durch das Stadion.
Auch der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes sagte Danke – zu den Gastgebern und den Sportlern. Alfons Hörmann will die Tokio-spiele als „wichtiges Signal an die Weltgemeinschaft“verstanden wissen. „Olympia ist kein Superspreader-ereignis geworden.“Internationale Begegnungen seien wieder möglich, stellte der 60-Jährige fest, und leitete daraus mit Blick auf den deutschen Vereinssport auch eine Forderung an die Politik ab: „Flächendeckende Schließungen können keine
Option für die Zukunft sein.“Dass am Schlusstag die Fünfkampf-sportdirektorin Susanne Wiedemann zum zweiten Corona-fall des deutschen Teams wurde, stärkt Hörmanns Argumente indes nicht. Auch das schwache Abschneiden der deutschen Mannschaft mit 37 Medaillen und Rang neun in der Nationenwertung, dürfte ihn noch länger beschäftigen.
Stärkste Nation ist zum dritten Mal in Serie die USA knapp vor den Chinesen. Auf Platz drei folgen schon Japans Athleten, die 27 Olympiasiege bejubeln konnten – so viele wie nie zuvor. Dass die Gastgeber sowohl im ehrwürdigen Nippon Budokan beim Judo abräumten als auch beim hippen
Sportarten-neuling Skateboard, erschien als bemerkenswerte Verknüpfung olympischer Tradition und Moderne. Allein: Feiern konnten die Japaner dies nur vor dem Fernseher.
Für große Tv-unterhaltung sorgten auch Essa Mutaz Barshim aus Katar und der Italiener Gianmarco Tamberi, die sich auf geteiltes Hochsprung-gold verständigten und dies innig feierten. Der Norweger Karsten Warholm zerriss im Ziel nach 400 Metern Hürden sein Shirt und wurde zum Sinnbild für die Rekordserie auf der schnellen Bahn im sündteuren Olympiastadion. Max Kruses Heiratsantrag vor laufender Kamera, der strickende Wasserspringer Tom Daley und der vor Glück heulende Tennisstar Alexander Zverev – auch diese so schwierigen Spiele hatten Momente fürs Langzeitgedächtnis.
Nachdenklich machte Us-turnstar Simone Biles, die mentale Probleme offenbarte. Statt mit einer Goldserie wie in Rio zur erfolgreichsten Olympionikin aufzusteigen, verzichtete die 24-Jährige auf fast alle Starts. Japan erlebte mit dem frühen Tennisaus von Naomi Osaka, die zu Beginn noch das olympische Feuer entzündet hatte, sein eigenes Drama. Osaka hatte vor kurzem öffentlich gemacht, dass sie unter depressiven Phasen leidet. Die Sorge um die mentale Gesundheit von Topathleten war in Tokio
ein ähnlich großes Debattenthema wie die Bemühungen des IOC um größere Geschlechtergerechtigkeit.
Die Freundlichkeit der vielen Helfer, die hocheffiziente Organisation und die teils herausragenden Arenen ließen viele Beteiligte dieser Spiele vermuten, dass es ein herausragendes Olympia hätte werden können – wenn nur nicht Corona gewesen wäre. So blieb Organisationschefin Seiko Hashimoto nur die ziemlich nüchterne Feststellung, es habe „keine großen Probleme“und keinen einzigen ernsten Corona-fall gegeben. Die Hoffnung bleibt, dass die nächsten Spiele in Paris 2024 ohne Pandemiesorgen stattfinden können.