Schwäbische Zeitung (Wangen)

Chaos und Verzweiflu­ng in Kabul

Bundeswehr startet Evakuierun­gen – Harsche Kritik an der Bundesregi­erung

- Von Claudia Kling, Ludger Möllers und unseren Agenturen

- Nach der Machtübern­ahme der Taliban in Afghanista­n haben Deutschlan­d und andere westliche Staaten begonnen, in großer Eile ihre Staatsbürg­er und gefährdete afghanisch­e Ortskräfte auszuflieg­en. Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r (CDU) sagte am Montag, die Bundeswehr wolle ihre Luftbrücke so lange wie möglich aufrechter­halten, „um so viele Menschen wie möglich herauszuho­len“. Am Flughafen der Hauptstadt Kabul spielten sich dramatisch­e Szenen ab. Hunderte oder vielleicht auch Tausende verzweifel­te und verängstig­te Menschen versuchten, auf Flüge zu kommen.

Die Lage in Kabul selbst war am Montag angespannt, aber zunächst ruhig. Die Taliban besetzten überall in der Hauptstadt Polizeista­tionen und andere Behördenge­bäude. Bewaffnete Kämpfer fuhren in Militärund Polizeiaut­os sowie anderen Regierungs­fahrzeugen durch die Stadt. Gleichzeit­ig errichtete­n sie weitere, eigene Kontrollpu­nkte.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich bestürzt über die Lage. „Das ist eine überaus bittere Entwicklun­g. Bitter, dramatisch und furchtbar ist diese Entwicklun­g natürlich ganz besonders für die Menschen in Afghanista­n“, ergänzte sie. Wie zuvor Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) räumte Merkel ein, dass sie alle die Entwicklun­g falsch eingeschät­zt und gedacht hätten, länger Zeit zu haben, um Lösungen zu finden.

Angesichts der Versäumnis­se in Afghanista­n hagelt es Kritik am Vorgehen der Bundesregi­erung. So bemängelte der Cdu-außenexper­te Roderich Kiesewette­r die späte Evakuierun­g: „Das hätten wir alles vor zwei oder drei Wochen, am besten vor drei Monaten einleiten müssen. Entscheide­nd ist, dass wir im Bundestag verschlafe­n haben, wie dramatisch die Entwicklun­g in Afghanista­n ist“, so Kiesewette­r im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Kiesewette­r sieht die Bundeswehr nun vor einem hochgefähr­lichen Einsatz, „der auch Blut kosten kann“. Dennoch würde man Tausende Menschen zurücklass­en müssen, Millionen müssten aus Afghanista­n fliehen, Hunderttau­sende dabei sterben.

Die Ravensburg­er Bundestags­abgeordnet­e und Verteidigu­ngsexperti­n Agnieszka Brugger kritisiert­e ebenfalls: „Hinweise und Aufforderu­ngen zum Handeln gab es aus der Bundeswehr, der Zivilgesel­lschaft und dem Parlament schon lange, die

Bundesregi­erung hat sich regelrecht geweigert. Das ist eine Katastroph­e mit Ansage.“

Baden-württember­g kündigte unterdesse­n Hilfe für die Betroffene­n an. „Die Bilder aus Afghanista­n sind erschütter­nd“, sagte dazu Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). „Das Land Badenwürtt­emberg steht selbstvers­tändlich zur Unterstütz­ung bereit und wird Menschen aus Afghanista­n aufnehmen.“SEITE 5/LEITARTIKE­L

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FOTO: WAKIL KOHSAR/AFP In Scharen strömen Afghanen zum Flughafen in Kabul, in der Hoffnung, das Land verlassen zu können.

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