Chaos und Verzweiflung in Kabul
Bundeswehr startet Evakuierungen – Harsche Kritik an der Bundesregierung
- Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan haben Deutschland und andere westliche Staaten begonnen, in großer Eile ihre Staatsbürger und gefährdete afghanische Ortskräfte auszufliegen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-karrenbauer (CDU) sagte am Montag, die Bundeswehr wolle ihre Luftbrücke so lange wie möglich aufrechterhalten, „um so viele Menschen wie möglich herauszuholen“. Am Flughafen der Hauptstadt Kabul spielten sich dramatische Szenen ab. Hunderte oder vielleicht auch Tausende verzweifelte und verängstigte Menschen versuchten, auf Flüge zu kommen.
Die Lage in Kabul selbst war am Montag angespannt, aber zunächst ruhig. Die Taliban besetzten überall in der Hauptstadt Polizeistationen und andere Behördengebäude. Bewaffnete Kämpfer fuhren in Militärund Polizeiautos sowie anderen Regierungsfahrzeugen durch die Stadt. Gleichzeitig errichteten sie weitere, eigene Kontrollpunkte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich bestürzt über die Lage. „Das ist eine überaus bittere Entwicklung. Bitter, dramatisch und furchtbar ist diese Entwicklung natürlich ganz besonders für die Menschen in Afghanistan“, ergänzte sie. Wie zuvor Außenminister Heiko Maas (SPD) räumte Merkel ein, dass sie alle die Entwicklung falsch eingeschätzt und gedacht hätten, länger Zeit zu haben, um Lösungen zu finden.
Angesichts der Versäumnisse in Afghanistan hagelt es Kritik am Vorgehen der Bundesregierung. So bemängelte der Cdu-außenexperte Roderich Kiesewetter die späte Evakuierung: „Das hätten wir alles vor zwei oder drei Wochen, am besten vor drei Monaten einleiten müssen. Entscheidend ist, dass wir im Bundestag verschlafen haben, wie dramatisch die Entwicklung in Afghanistan ist“, so Kiesewetter im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Kiesewetter sieht die Bundeswehr nun vor einem hochgefährlichen Einsatz, „der auch Blut kosten kann“. Dennoch würde man Tausende Menschen zurücklassen müssen, Millionen müssten aus Afghanistan fliehen, Hunderttausende dabei sterben.
Die Ravensburger Bundestagsabgeordnete und Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger kritisierte ebenfalls: „Hinweise und Aufforderungen zum Handeln gab es aus der Bundeswehr, der Zivilgesellschaft und dem Parlament schon lange, die
Bundesregierung hat sich regelrecht geweigert. Das ist eine Katastrophe mit Ansage.“
Baden-württemberg kündigte unterdessen Hilfe für die Betroffenen an. „Die Bilder aus Afghanistan sind erschütternd“, sagte dazu Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). „Das Land Badenwürttemberg steht selbstverständlich zur Unterstützung bereit und wird Menschen aus Afghanistan aufnehmen.“SEITE 5/LEITARTIKEL