Unfassbare Szenen am Flughafen von Kabul
Islamisten kontrollieren die Hauptstadt – Erste Gespräche mit ehemaligen Regierungsvertretern
(dpa/afp) - Nach der Übernahme Kabuls durch die militantislamistischen Taliban haben sich am Flughafen der afghanischen Hauptstadt dramatische Szenen abgespielt. Verzweifelte Menschen versuchten, Flüge zu bekommen, wie in sozialen Medien geteilte Videos und Bilder zeigten. Sie kletterten etwa über Drehleitern, um in ein Flugzeug zu gelangen. Auch Afghanen ohne Reisepässe versuchten ihr Glück, berichteten Bewohner.
Die Menschenmenge hilfesuchender Afghanen erreichte auch das Rollfeld des Flughafens. „Ich habe sehr viel Angst. Sie feuern viele Schüsse in die Luft“, sagte ein Zeuge der Nachrichtenagentur AFP. „Ich habe gesehen, wie ein junges Mädchen überfahren und getötet wurde“, berichtete er weiter.
Viele der Menschen wurden durch Gerüchte oder Falschmeldungen im Netz angezogen. „Ich habe auf Facebook gelesen, dass Kanada Asylanträge aus Afghanistan annimmt“, sagte ein Mann, der laut eigenen Angaben Soldat in der afghanischen Armee war. Er sei deshalb in Gefahr: „Die Taliban haben es definitiv auf mich abgesehen“, sagte er.
Die Flughafenverwaltung stellte unterdessen den kommerziellen Flugverkehr ein. „Es wird keine kommerziellen Flüge vom Hamid-karsai-flughafen geben, um Plünderungen und Verwüstungen zu verhindern. Bitte begeben Sie sich nicht zum Flughafen“, hieß es in einer Mitteilung. Auch die Us-botschaft in Kabul forderte auf Twitter Usstaatsangehörige
und Afghanen auf, „nicht zum Flughafen zu reisen“.
Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen nach dem Abzug der ausländischen Truppen, darunter der Bundeswehr, in rasantem Tempo die Provinzhauptstädte eingenommen – viele kampflos. Am Sonntag rückten sie auch in Kabul ein. Am Montag waren Kämpfer mit Gewehren über den Schultern zu sehen, die durch die Straßen der Grünen Zone liefen – dem ehemals stark befestigten Viertel, in dem die meisten Botschaften und internationalen Organisationen untergebracht sind.
Nach der faktischen Machtübernahme durch die Taliban sollen Gespräche zwischen Politikern und Vertretern der Islamisten laufen. Das teilte ein Sprecher des ehemaligen Präsidenten Hamid Karsai am Montag mit. In einem ersten Schritt habe man betont, dass das Leben und das Vermögen der Bevölkerung sowie die öffentliche Infrastruktur geschützt werden müssten, sagte der Sprecher weiter. 67 Länder, darunter auch Deutschland, forderten die Taliban in einer Erklärung auf, alle ausreisewilligen Afghanen und Ausländer ausreisen zu lassen.
Us-präsident Joe Biden sah sich im verbalen Kreuzfeuer führender Republikaner. Der „verpfuschte Abzug“aus Afghanistan und die „hektische Evakuierung“von Amerikanern und afghanischen Helfern sei ein „beschämendes Versagen der amerikanischen Führung“, sagte der Minderheitsführer der Republikaner im Us-senat, Mitch Mcconnell.