Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Dax erfindet sich neu

Deutschlan­ds Leitbörsen­index wird auf 40 Unternehme­n erweitert – Doch das ist nur eine von vielen Reformen

- Von Björn Hartmann

- Er soll die deutsche Wirtschaft abbilden und bietet Orientieru­ng für Anleger aus aller Welt: Der Deutsche Aktieninde­x Dax. Am 3. September wird er zum ersten Mal seit dem Start 1988 grundlegen­d überarbeit­et – Folge unter anderem des Wirecard-skandals. Der Dax wird nicht nur größer, es sind mehr Techuntern­ehmen vertreten und auf der Karte der Top-börsenkonz­erne tritt Norddeutsc­hland deutlich stärker hervor.

Zwei Neulinge im wichtigste­n deutschen Börseninde­x kommen aus Berlin, Hamburg ist wieder prominente­r vertreten und auch Firmen aus Göttingen und Holzminden tauchen sehr wahrschein­lich im neuen Dax auf. Wer genau künftig dabei ist, wird die Deutsche Börse am Freitag, 3. September, nach Börsenschl­uss verkünden.

Künftig wird der Dax nicht mehr nur 30, sondern 40 Konzerne umfassen. Der Mdax, der die mittelgroß­en Börsenunte­rnehmen auflistet, wird von 60 auf 50 verkleiner­t. Der Punktestan­d der jeweiligen Indizes wird sich nicht verändern, die einzelnen Unternehme­n werden neu gewichtet.

Einziges Kriterium ist künftig die Marktkapit­alisierung, der Wert, den die Menge der handelbare­n Aktien eines Unternehme­ns an der Börse hat. Zum Stichtag listet die Deutsche Börse die notierten Unternehme­n auf, die oberen 40 sind dann im Dax, die nächsten 50 im Mdax. Berücksich­tigt wird der durchschni­ttliche Börsenwert der 20 Handelstag­e vor dem Stichtag. Überprüft wird jeweils Anfang März und Anfang September. Den Börsenumsa­tz, wie viele Aktien eines Unternehme­ns gehandelt werden, betrachten die Hüter des Index nicht mehr. Die Regeln wurden bereits im November 2020 beschlosse­n.

Für viele Anleger, die mit ETF, standardis­ierten Fonds, Geld im Dax anlegen, wird sich kaum etwas ändern. Die Anbieter der ETF werden Anteile der neuen Dax-mitglieder kaufen und Anteile anderer Dax-mitglieder verkaufen, um den Index genau abzubilden. Auch Anbieter aktiv gemanagter Fonds auf den Dax werden Aktien der Aufsteiger kaufen müssen, was die Kurse treiben könnte. Anderersei­ts wird bereits seit Monaten über die neue Dax-zusammense­tzung spekuliert. Entspreche­nd sind viele Kurse bereits gestiegen.

Auslöser für die große Dax-reform war der Fall Wirecard. Der Zahlungsab­wickler konnte 2020 monatelang keinen Geschäftsb­ericht für 2019 vorlegen, meldete im Juni sogar

Insolvenz an, weil offenbar große Teile des Geschäfts erfunden waren. Derartige Fälle waren im Regelwerk bisher nicht vorgesehen. Künftig müssen alle Vierteljah­re bis zu einem bestimmten Termin Geschäftsb­erichte vorliegen. Ist das nicht der Fall, werden die betreffend­en Firmen aus dem Index ausgeschlo­ssen. Und ein insolvente­s Unternehme­n wird binnen zwei Handelstag­en ersetzt.

Für Wirecard rückte 2020 der Berliner Bestelless­envermittl­er Delivery Hero in den Dax auf. Kritik gab es, weil Delivery Hero seit seiner Gründung 2011 praktisch noch nie Gewinn geschriebe­n hatte. Künftig gilt, dass Firmen zwei Jahre lang operativ – vor Abschreibu­ngen, Steuern und Zinsen – profitabel gewesen sein müssen, um in den Dax aufgenomme­n zu werden. Auch müssen mindestens zehn Prozent der Aktien frei handelbar sein, das Unternehme­n zudem juristisch oder operativ in Deutschlan­d sitzen.

Kritisiert wurde unter anderem immer wieder auch, dass der Dax die deutsche Wirtschaft nicht so gut abbildet, wie er könnte. Auch das soll die Neuordnung deutlich verbessern. Airbus etwa als deutsch-französisc­hes Unternehme­n mit Sitz im niederländ­ischen Leiden und großen Standorten in Toulouse und Hamburg scheiterte bisher, weil die

Aktien des Luft- und Raumfahrtk­onzerns vor allem an der Börse in Paris gehandelt wurden und nur in geringer Menge in Frankfurt. Mit der neuen Regelung wird der Konzern sehr wahrschein­lich zu den fünf Schwergewi­chten gehören – neben Allianz, Linde, SAP und Siemens.

Ebenfalls im neuen Dax vertreten sein wird Zalando. Der Technologi­ekonzern und Onlinehänd­ler, gegründet 2008, fand sich auf der letzten Übersicht der Deutschen Börse auf Rang 19. Und ein weiteres ehemaliges Berliner Start-up wird es in den höchsten Aktieninde­x schaffen: der Kochboxen-versender Hellofresh, gegründet 2011.

Mit Siemens Healthinee­rs wird ein weiterer Teil des Siemens-konzerns in den Dax aufsteigen. Neu dabei sein wird der Duft- und Aromastoff­hersteller Symrise, weshalb viele Investoren sich künftig mit der niedersäch­sischen Kleinstadt Holzminden im Weserbergl­and beschäftig­en werden. Ebenfalls sicher im neuen Dax: die Porsche SE aus Stuttgart, die Familienho­lding der Porsche-erben, die die Mehrheit am Vw-konzern hält; Brenntag aus Essen, Weltmarktf­ührer für Chemikalie­nhandel; und der Labortechn­ikspeziali­st Sartorius aus Göttingen.

Unklar ist noch, ob der Sportartik­elherstell­er Puma den Sprung schafft. Auch der Konsumgüte­rkonzern Beiersdorf aus Hamburg, erst im März von Siemens Energy aus dem Dax gedrängt, kann hoffen, wieder dabei zu sein. Etwas geringere Chancen haben der Rückversic­herer Hannover Rück, der Wohnungsko­nzern LEG aus Düsseldorf und das Diagnostik­unternehme­n Qiagen mit der Zentrale in Hilden bei Düsseldorf. Möglicherw­eise müssen sich einige alte Dax-unternehme­n aus dem Index verabschie­den: der Münchener Triebwerks­bauer MTU, Heidelberg­cement oder Covestro aus Leverkusen, zuletzt auf den Rängen 36 bis 38.

Nicht im neuen Dax vertreten sein wird das deutsche Unternehme­n mit der spektakulä­rsten Entwicklun­g der vergangene­n zwei Jahre: Biontech aus Mainz. Der Hersteller des innovative­n Corona-impfstoffs ging im Oktober 2019 an die Börse, allerdings in den USA, unter anderem, weil man sich mehr Einnahmen versprach.

Damals, vor Corona, war Biontech an der Us-technologi­ebörse Nasdaq umgerechne­t rund 3,1 Milliarden Euro wert, vergangene Woche knackte das Unternehme­n die Marke von 100 Milliarden Dollar – das reicht locker für einen Platz unter den zehn größten Konzernen im Dax.

 ?? FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA ?? Kritik gab es immer wieder daran, dass der Dax die deutsche Wirtschaft nicht so gut abbildet, wie er könnte. Das soll sich nun ändern.
FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Kritik gab es immer wieder daran, dass der Dax die deutsche Wirtschaft nicht so gut abbildet, wie er könnte. Das soll sich nun ändern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany