Schwäbische Zeitung (Wangen)

Haiti kommt nicht zur Ruhe

Nach Erdstoß mit mehr als 1200 Toten droht jetzt auch noch ein Tropenstur­m

- Von Martina Farmbauer und Nick Kaiser

(dpa) - Inmitten der Rettungsei­nsätze in Haiti nach dem verheerend­en Erdbeben vom Samstag hat sich ein Tropenstur­m dem Karibiksta­at genähert. Das Tiefdruckg­ebiet „Grace“zog am Montag laut Us-hurrikanze­ntrum mit anhaltende­n Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 55 Kilometern pro Stunde südlich an der Insel Hispaniola entlang, die sich Haiti mit der Dominikani­schen Republik teilt. Ab Montagaben­d (Ortszeit) wurde das Zentrum des Sturms mit schweren Regenfälle­n an Haitis Südküste erwartet. Dort kamen nach den jüngsten Angaben des haitianisc­hen Zivilschut­zes bei dem Beben mindestens 1297 Menschen ums Leben. Es wurde erwartet, dass die Zahl noch steigt.

Der Regen könnte nicht nur die Rettungsar­beiten behindern, sondern noch mehr Leid bei den Überlebend­en verursache­n. Viele von ihnen verbrachte­n die Nächte seit dem Beben im Freien vor ihren beschädigt­en Häusern, mit Decken und den wenigen Möbeln, die sie retten konnten. Das betroffene Gebiet im Süden und Südwesten Haitis um die Städte Les Cayes und Jérémie war mit Trümmern übersäht; überall waren auf Bildern Häuser zu sehen, deren Dächer wie Pappe eingestürz­t waren. Bewohner warteten auf Hilfe oder wanderten unter Schock ziellos umher.

Das Beben hatte sich am Samstagmor­gen (Ortszeit) rund zwölf Kilometer von der Gemeinde Saint-louisdu-sud entfernt in einer Tiefe von rund zehn Kilometern ereignet. Mindestens 13 700 Häuser wurden nach Angaben der Zivilschut­zbehörde zerstört und ebenso viele beschädigt. Mehr als 30 000 Familien seien betroffen. „Grace“drohe, die Situation in Gebieten zu verschlimm­ern, die bereits in großen Schwierigk­eiten seien, hieß es von der Behörde. Sie rief die Bevölkerun­g auf, sich vorzuberei­ten. Für die vielen Menschen, die alles verloren hatten, gab es allerdings wenig, was sie machen konnten, um sich zu wappnen. Das Us-hurrikanze­ntrum warnte vor Überschwem­mungen und Erdrutsche­n.

Hilfe aus dem Ausland lief inzwischen an, auch deutsche Organisati­onen machten Zusagen. Ein Such- und Rettungste­am der Us-behörde für Entwicklun­gszusammen­arbeit (USAID) mit 65 Menschen, 4 Hunden und rund 24 000 Kilogramm Ausrüstung erreichte den Karibiksta­at in der Nacht zum Montag. Es wurde nach Menschen in den Trümmern gesucht, die medizinisc­he Versorgung der verletzten Überlebend­en wurde organisier­t, Straßen nach Erdrutsche­n mit Baggern wieder passierbar gemacht.

Nach Angaben von Caritas Internatio­nal werden vor allem Nahrung, Trinkwasse­r, Zelte und medizinisc­he Erstversor­gung benötigt. Die Lage vor Ort sei weiterhin chaotisch, das Ausmaß der Katastroph­e noch nicht absehbar, teilte die Organisati­on am Montag mit.

Das neue Desaster erwischte ein Land, das auch nach dem verheerend­en Erdbeben von 2010 mit mehr als 220 000 Toten denkbar schlecht auf ein solches Ereignis vorbereite­t war. Es gebe kaum Möglichkei­ten zur medizinisc­hen Versorgung der Verletzten, teilte Barbara Küpper mit, Länderrefe­rentin

für Haiti bei der Organisati­on Misereor. Die Situation in den Krankenhäu­sern und Gesundheit­sstationen sei „aufgrund der katastroph­alen sozialen und politische­n Lage bereits vor dem Erdbeben völlig unzureiche­nd“gewesen.

Von dem vielen Geld, das nach dem Beben von 2010 für den Wiederaufb­au aus dem Ausland zugesagt worden war, sahen durchschni­ttliche Haitianer nur wenig. Ein großer Teil ging durch Verschwend­ung und Korruption drauf. Wegen fehlender Mittel und Korruption wurden neue Häuser nicht unbedingt erdbebensi­cher gebaut.

Das ohnehin schwer unterfinan­zierte Gesundheit­ssystem ist durch die Pandemie überstrapa­ziert. Hinzu kommt eine tiefe politische Krise nach der Ermordung des Staatspräs­identen Jovenel Moïse durch eine Kommandotr­uppe in seiner Residenz am 7. Juli. Gewalt durch brutale Banden, die um Kontrolle über Gebiete kämpfen, hat laut UN Tausende Menschen in die Flucht getrieben und wegen Straßenblo­ckaden zu Versorgung­sengpässen geführt. Letzteres könnte auch Hilfseinsä­tze nach dem Beben erschweren.

 ?? FOTO: MATIAS DELACROIX/DPA ?? Die Lage auf Haiti ist weiterhin chaotisch. Viele Häuser sind nach dem Erdbeben am 14. August zusammenge­stürzt. Unser Bild zeigt einen Mann vor seinem einstigen Geschäft in Saint-louis-du-sud.
FOTO: MATIAS DELACROIX/DPA Die Lage auf Haiti ist weiterhin chaotisch. Viele Häuser sind nach dem Erdbeben am 14. August zusammenge­stürzt. Unser Bild zeigt einen Mann vor seinem einstigen Geschäft in Saint-louis-du-sud.
 ?? FOTO: JOSEPH ODELYN/DPA ?? Eine Ärztin gibt einem Mädchen, das bei dem Erdbeben verletzt wurde, eine Spritze, bevor sie es in einen Hubschraub­er der Us-küstenwach­e in Les Cayes bringt.
FOTO: JOSEPH ODELYN/DPA Eine Ärztin gibt einem Mädchen, das bei dem Erdbeben verletzt wurde, eine Spritze, bevor sie es in einen Hubschraub­er der Us-küstenwach­e in Les Cayes bringt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany