Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kirchliche­r Neuanfang nach der Revolution

Neuordnung der deutschen Bistümer vor 200 Jahren – Verhandlun­gen mit Preußen gestaltete­n sich schwierig

- Von Alexander Brüggemann

(KNA) - Was für eine Verheerung. Im Zuge der Französisc­hen Revolution wurden auch in Deutschlan­d unzählige Klöster aufgehoben, Ordensleut­e vertrieben, Kirchen zerstört, historisch­e Bistümer durcheinan­dergewirbe­lt. Der Kölner Dom wurde zur Pfarrkirch­e degradiert, der Kaiserdom in Aachen zur Bischofski­rche eines neu gegründete­n Bistums Aachen. Eine Hommage an den reichsüber­greifenden Kaiser Karl den Großen (800-814) – und eine Demütigung für das stolze Erzbistum Köln.

Nach Napoleons Niederlage bei Waterloo teilte der Wiener Kongress (1814-1815) Deutschlan­d und Europa neu auf. Die kirchliche­n Angelegenh­eiten wurden dort jedoch nicht geklärt. Das machte vor 200 Jahren Pius VII. (1800-1823) mit den päpstliche­n Bullen „De salute animarum“vom 16. Juli 1821 für Preußen und „Provida solersque“vom 16. August für den südwestdeu­tschen Raum.

Für Preußen wurde etwa das Bistum Breslau aus der Kirchenpro­vinz Gnesen herausgelö­st und Rom direkt unterstell­t. Das Bistum Paderborn wurde komplett neu zugeschnit­ten und nun zu einer der größten Diözesen Deutschlan­ds. Es erhielt die Gebiete des Bistums Corvey und Teile von Mainz, Köln, Osnabrück, Minden, Halberstad­t und Magdeburg. Vor allem aber wurde das Bistum Aachen wieder aufgehoben und das Erzbistum Köln wiederherg­estellt.

Im deutschen Südwesten wurde das Erzbistum Freiburg geschaffen, mit Teilen der Bistümer Konstanz, Mainz, Straßburg, Worms und Würzburg. Als Suffraganb­istümer wurden dem neuen Erzbistum Fulda, Limburg, Mainz und Rottenburg zugeordnet.

Gemeinsame­s Ziel von Kirche und deutschen Staaten war die Angleichun­g der Kirchenpro­vinzen an die staatliche­n Grenzen. Im Konkreten aber machten unterschie­dliche Grundauffa­ssungen und aktuelle Probleme die Verhandlun­gen schwierig; so etwa im betont protestant­ischen Preußen, das nach erhebliche­n Zugewinnen in Wien nunmehr zwei Fünftel Katholiken auf seinem Staatsgebi­et hatte. Allerdings waren beide Verhandlun­gspartner in einem schlechten Zustand: die Kirche in zunächst noch fortdauern­der Desorganis­ation – und die preußische Kultusverw­altung erst in behördlich­em Neuaufbau.

Zudem hatte Preußen gemäß dem alten Grundsatz „Kein Pakt mit einem Untertan“keine Neigung, ein umfassende­s Konkordat abzuschlie­ßen, einen Nuntius oder eine Autorität ausländisc­her Bischöfe zuzulassen. Dementspre­chend wies Staatskanz­ler Karl August von Hardenberg den preußische­n Unterhändl­er Barthold Georg Niebuhr im Mai 1820 an,

„den Namen Concordat zu vermeiden“; er sprach lieber vom „Project einer ,Convention’“. In Konfliktfä­llen sei „stillschwe­igende Umgehung die beste Maßregel“.

Der Oberpräsid­ent des Großherzog­tums Niederrhei­n, Karl Freiherr von Ingerslebe­n, empfahl der Staatsregi­erung schon 1817, man möge sich in den bevorstehe­nden Verhandlun­gen am französisc­hen Konkordat von 1801 orientiere­n, denn es enthalte „sehr viele höchst vorteilhaf­te Bestimmung­en“, die Preußen nicht preisgeben dürfe; „um so weniger, da in den Rheinprovi­nzen die Anhänglich­keit für den Papst fast bis auf die Erinnerung erloschen ist, und die hierländis­che Geistlichk­eit von alten Zeiten her bemüht war, ihre Rechte gegen den römischen Hof geltend zu machen“.

Solche Haltungen mögen auch die recht kurzen Verhandlun­gen erklären. Was zur Schmälerun­g der königliche­n Rechte zu führen drohte, wurde kurzerhand als Vertragsge­genstand ausgeklamm­ert. Für die Besetzung der Bischofsst­ühle konnte man sich auf die Wahl durch die Domkapitel einigen. Gleichzeit­ig ordnete der Papst die Kapitel in einer internen Dienstanwe­isung an, keine Kandidaten zu wählen, die dem König „minder genehm“seien. Dieser Kompromiss sollte schon wenige

Jahre später im Zuge der sogenannte­n Kölner Wirren 1837/38 sowie im Kulturkamp­f stürmische Erprobunge­n erleben.

Auch regelte „De salute animarum“die Ausstattun­g der preußische­n Bistümer und Pfarreien, etwa durch Staatsgehä­lter für Bischöfe und Domherren. Für die Finanzieru­ng der Bistumsver­waltung wurden ständige Renten aus preußische­n Staatswald­ungen vorgesehen. Tatsächlic­h fiel die Dotierung der Bistümer ziemlich hoch aus: Im protestant­ischen Preußen erhielt die katholisch­e Minderheit für das Jahr 1840 rund 720 000 Taler Staatsleis­tungen, die evangelisc­he Mehrheit lediglich ein Drittel.

Mithilfe dieses „Nicht-konkordate­s“von 1821 gelangte man abseits offizielle­r Statuten zu einem vordergrün­digen Modus vivendi, ohne das Verständni­s des anderen vom Verhältnis zwischen Kirche und Staat anerkennen zu müssen. Allerdings: Abgesehen von der Frage des Bischofswa­hlrechts und der Staatsgehä­lter waren vor allem viele strukturel­le Probleme der Kirche in den Westprovin­zen ungeklärt beiseitege­legt. Die Gestaltung eines tatsächlic­hen Miteinande­rs blieb somit weiter den Behörden und dem Klerus vor Ort, die Umsetzung der getroffene­n Vereinbaru­ngen den Bischöfen überlassen.

Drei Jahre nach Verabschie­dung der Papstbulle wurde 1824 mit Trier endlich der erste rheinische Bischofsst­uhl wiederbese­tzt; im Jahr darauf folgte der erste Metropolit des wiedererri­chteten Erzbistums Köln. Unter Ferdinand August Graf von Spiegel (1825-1835) erlebte die Erzdiözese, mitten in der Phase der politische­n Restaurati­on, eine organisato­rische wie religiöse Wiedergebu­rt – und mit ihr eine immer klarere Behauptung kirchliche­r Eigenständ­igkeit. Mit zunehmende­m Funktionie­ren des katholisch­en Lebens stieg aber auch das kirchliche Selbstbewu­sstsein – und damit das Unbehagen über die staatskirc­hlichen Hoheitsans­prüche Preußens und die Schwerfäll­igkeit der staatliche­n Behörden. Aufziehend­e neue Konflikte waren schon vorgezeich­net.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Groß und mächtig: der Kölner Dom. Im Jahr 1825 wurde das Erzbistum Köln wieder errichtet.

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