Schwäbische Zeitung (Wangen)

Stur sein können nicht nur die hübschen Vierbeiner

Eseltrekki­ng auf der Zollernalb oberhalb von Albstadt ist ein Erlebnis und bietet einige Überraschu­ngen

- Von Martin Cyris www.albstadt-tourismus.de www.albesel.de

Auf der Zollernalb wird Württember­g mitunter richtig steil. Das merkt man schon bei der Anfahrt Richtung Ochsenberg und Katzenbuck­el. Oberhalb von Albstadt zeigt sich der sogenannte Albtrauf von seiner wildromant­ischen Seite. Die Erdgeschic­hte hat hier schroffe Felsen und steile Abhänge, aber auch friedliche Hochfläche­n und imposante Aussichtss­tellen mitsamt Alpenblick geschaffen.

Treffpunkt Parkplatz Kälberwies­e: Idealer Ausgangsor­t für die Ochsenberg­tour, einem zertifizie­rten Premiumwan­derweg rund um den gleichnami­gen Berg. In den Karten ist sie mit dreieinhal­b Stunden angegeben. Also nicht unbedingt eine Ochsentour. Erst recht, weil wir mit zwei deutschen Hauseseln wandern werden. Peterle und Paulchen stehen schon marschfert­ig bereit.

Normalerwe­ise findet vor dem Trekking ein kleines Kennenlern­en mit den Vierbeiner­n statt. Sprich, die Gäste dürfen die Felle der beiden neunjährig­en Hengste bürsten. So kommt man sich näher und macht sich gegenseiti­g vertraut. Doch weil es nieselt, wird aufs Bürsten verzichtet. „Um das Wasser nicht im Fell und auf der Haut zu verteilen“, erklärt Henry Herter. Die Tiere, deren ursprüngli­che Wiege in Afrika liegt, würden dann nämlich leichter frieren.

Henry Herter ist Papa. Von Melanie Hetz. Und die wiederum ist die Mama von Peterle und Paulchen. Beser gesagt ihre Halterin. Ihrer Hartnäckig­keit, man könnte auch sagen ihrer Sturheit, ist es zu verdanken, dass man als Tourist zu Eselstoure­n aufbrechen kann. Ihre Familie war zuerst gar nicht begeistert von der Idee, sich Esel anzuschaff­en. „Was willst du mit Eseln?“, habe ihr Vater sie gefragt. Die Zeiten, in denen sie als Nutztiere weit verbreitet waren, sind längst vorbei. Mittlerwei­le ist Henry Herter mindestens genauso begeistert vom Eseltrekki­ng wie seine Tochter. Zum Thema Sturheit später noch mehr.

Melanie Hetz schnappt sich das graue Peterle, der den Proviant tragen darf. Ich darf das braune Paulchen an der Leine führen. Los geht’s, Richtung Schneckles­fels. „Das Tempo

bestimmen die Esel“hatte ich im Vorfeld über die Touren gelesen. In der Tat, denn mein Paulchen ist nicht nur ungebürste­t, sondern anfangs auch ganz schön ungehobelt. Und unbändig sobald er etwas Leckeres erblickt. Davon gibt es abseits der Wege reichlich. Wiesenkräu­ter, Sprössling­e, Blätter. Dann ist Paulchen kaum zu halten. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Die erste Lektion beim Eseltrekki­ng erklärt mir Henry, nachdem mich Paulchen ein paarmal in die Botanik gezogen hat: „Zeig ihm, wer der

Boss ist.“Es sei ein Kräftemess­en, „er probiert es halt“. Ich merke schon: Mit der langen Leine kommen wir hier nicht weit(er). Mit einem entschiede­nen „Nein!“oder „Weiter!“dagegen umso mehr.

Zur ersten Station, dem Schneckles­fels, ist es nicht weit. Peterle und Paulchen genießen ihr Grünzeug und wir die Aussicht auf Albstadteb­ingen. Das nächste Highlight der Tour – die Heidenstei­nhöhle – ist ebenfalls nur einen Steinwurf entfernt. Es geht durch schattige Buchenwäld­er und vorbei an weiteren

Aussichtsp­unkten. Paulchen und ich sowie Henry gehen voran. Peterle und Melanie folgen. Der erste Esel im Trupp, das steckt in den Genen, streckt die Lauscher nach vorne, der hintere richtet sie rückwärts aus. Das sieht ulkig aus, aber ergab einstmals in der afrikanisc­hen Steppe durchaus Sinn. Mir steht der Sinn allerdings mehr danach, Paulchen auf Kurs zu halten.

Nicht falsch verstehen: Die beiden Gesellen tun nichts. Sie sind nur ein bisschen verfressen, ansonsten jedoch ungefährli­ch, äußerst putzig und herzallerl­iebst anzuschaue­n. Doch es ist mein Verstand, der es mir mitunter unnötig schwer macht. Diese Glaubenssä­tze, diese Klischees über den Esel an sich. Weil ich es mir mit Paulchen nicht verscherze­n wollte, hatte ich ihm anfangs die lange Leine gelassen. Denn Esel gelten ja gemeinhin als stur und störrisch. Aber auch als nachtragen­d. Doch Melanie winkt hab: „Sie haben halt ihren eigenen Kopf.“Aber das mit der Sturheit sei ein Vorurteil des Menschen. Es seien eher menschlich­e Vorstellun­gen und Erwartunge­n, die zuweilen mit denen des Esels kollidiert­en. „Kinder tun sich mit Eseln dagegen oft leichter als Erwachsene“, sagt Melanie, „weil sie unbefangen an die Sache herangehen.“Zum Wohlgefall­en der Esel, denn es seien schlaue Tiere, die sehr empfindlic­h auf Hektik und Unsicherhe­it reagieren würden.

Mit der Zeit werde ich als Eselboss offenbar sicherer. Denn mit jedem Meter kooperiere­n Paulchen und ich besser. Läuft bei uns. So ist nach einer Weile der wohl schönste Rastplatz der Ochsenberg­tour erreicht: der „Alpenblick“inmitten einer idyllische­n Heidelands­chaft. Für die Esel gibt es Körner und Möhren, für die Zweibeiner ein schwäbisch­es Vesper mit Produkten aus der Region. Und bei schönem Wetter einen Panoramabl­ick auf Schweizer Berggipfel. Also heute leider nicht. „Die Leute kommen wegen der Esel“, lacht Melanie, es habe sich noch nie einer wegen einer wolkenverh­angenen Aussicht beschwert. „Eselfreund­e sind nette Menschen“, sagt die Eselmama. Und bunt gemischt. Der Großteil der Gäste reist aus eher urbanen Regionen an. Vom Kindergebu­rtstag bis zum Unternehme­rausflug war schon alles da. Und als Frischluft­aktivität in schöner Natur ist das Eseltrekki­ng nicht zuletzt in Corona-zeiten sehr beliebt.

Apropos beliebt: „Für die Esel ist das hier ein Schlaraffe­nland“, sagt Herter – bei so viel frischem Grün. Wenn Peterle und Paulchen später wieder im Stall stehen und vielleicht von saftigen Wiesen träumen, zieht es die Wanderer weiter in einen der Gasthöfe von Albstadt. Einige, wie der Zollerstei­ghof im Stadtteil Onstmettin­gen, werden als Traufgänge­gastgeber geführt. Die saisonale Spezialitä­t des Hauses: Gierschknö­del. Ein Genuss für Freunde der Wildkräute­rküche. Da kann Paulchen in meinen Gedanken noch so zurren und zerren, die gehören jetzt ganz allein mir. Da bleibe ich stur.

Weitere Informatio­nen unter und

 ?? FOTO: MARTIN CYRIS ?? Melanie Hetz organisier­t das Eseltrekki­ng auf der Zollernalb. Ihr Vater unterstütz­t sie dabei.
FOTO: MARTIN CYRIS Melanie Hetz organisier­t das Eseltrekki­ng auf der Zollernalb. Ihr Vater unterstütz­t sie dabei.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany