„Wir stehen am Beginn der vierten Welle“
Der Lindauer Landrat Elmar Stegmann spricht über das Impfen und darüber, wie es nach den Sommerferien weitergeht
- Seit Februar 2020 gehört die Bewältigung der Corona-pandemie zu den Hauptaufgaben von Landrat Elmar Stegmann. Mit Barbara Baur hat er sich darüber unterhalten, wo der Landkreis Lindau momentan steht, wie es mit dem Impfen vorangeht und was aus seiner Sicht notwendig sei, dass nach den Sommerferien möglichst lang Präsenzunterricht stattfinden könne.
Herr Stegmann, überall wird über die vierte Corona-welle gesprochen. Wie schätzen Sie die Lage für den Landkreis Lindau ein?
Wir stehen am Beginn der vierten Welle, darauf deuten alle Zahlen hin. Wir erleben auch bei uns im Landkreis seit einigen Wochen wieder ansteigende Fallzahlen, genau so, wie sich das im Bundestrend momentan darstellt. Wir liegen auch bei der Inzidenz heute deutlich höher als vor einem Jahr. Insofern wird die vierte Welle schneller kommen und mit höherer Wucht zuschlagen, als das viele jetzt vermuten. Corona ist nicht weg. Wir müssen alle miteinander daran arbeiten, dass die Kurve nicht so stark ansteigt und Infektionen möglichst vermieden werden.
Wie läuft es bei den Impfungen?
Wir haben das Glück, dass wir bei den Impfungen gut vorangekommen sind, aber mittlerweile stellen wir fest, dass es eine gewisse Impfmüdigkeit gibt. Wir können nur jeden ermuntern, der noch nicht geimpft ist, vom Impfangebot Gebrauch zu machen. Zwar haben wir bei den sehr gefährdeten Menschen eine sehr hohe Impfquote erreicht. Dadurch werden wir leichter durch diese Welle kommen. Aber man darf sich da auch nichts vormachen: Es gibt eben auch bei jungen Menschen und bei Kindern Long Covid und man weiß heute noch gar nicht, wie lange die Menschen an den Folgen von Corona leiden werden. Der beste Schutz ist die Impfung. Ich kann deswegen auch nur nochmal an alle appellieren, die bisher noch keinen Gebrauch vom Impfangebot gemacht haben, es nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Man tut’s für sich selbst und schützt damit aber auch seine Nächsten.
Wo stecken sich die Menschen zur Zeit an?
Insgesamt stellen wir fest, dass die gemeldeten Infektionen nicht irgendwelche Zufallstreffer bei Menschen sind, die sich einfach so mal testen lasben sen, sondern die Meldungen kommen über Arztpraxen, die an Labore angeschlossen sind. Das heißt, die Patienten waren beim Arzt, weil sie Symptome hatten und dann ist die Infektion festgestellt worden. Wir haben außerdem momentan die Situation, dass Reise-rückkehrer Corona-infektionen in den Landkreis tragen. Einige haben diese beispielsweise aus der Türkei mitgebracht. Aber es tauchen auch Fälle auf, bei denen man nicht feststellen kann, wo sie sich infiziert haben. Außerdem haben wir einige wenige Impfdurchbrüche. Das heißt, dass Menschen geimpft worden sind und sich trotzdem infiziert haben. Dies betrifft ungefähr 0,6 Promille der bisher durchgeführten Zweit-impfungen im Landkreis. Man weiß ja, dass die Impfstoffe nicht zu 100 Prozent schützen, sondern je nach Impfstoff zu 70 bis 95 Prozent. Es gibt also keinen vollständigen Schutz. Aber bei einem Impfdurchbruch haben die Betroffenen meist einen milderen Verlauf. Sie haben also trotzdem einen gewissen Schutz durch die Impfung.
Gibt es derzeit größere Ausbrüche?
Momentan haben wir keine Cluster im Landkreis, also Ausbrüche in Einrichtungen wie Pflegeheimen oder Schulen, sondern wir haben viele Einzelfälle und auch Ansteckungen innerhalb der Familie. Wir haben die Lage im Griff, wobei die Infektionswege im Einzelfall oft nicht nachvollziehbar sind.
Ist das dann auch hier vor allem die Delta-variante?
Ja, die Delta-variante ist auch bei uns die vorherrschende Variante. Für die gilt, dass sie zwar nicht pathogener, also krankmachender ist, aber ansteckender als die bisher bekannten Varianten. Deswegen gelten nach wie vor die allgemeinen Hygieneregeln und wir werden weiter mit der Maskenpflicht leben müssen. Wir werden aber auch weiter das Impfen forcieren. Schon vor einigen Wochen haben wir angefangen, Sonderimpftermine anzubieten. Es ist ganz wichtig, dass man ein niederschwelliges Angebot macht.
Über Multiplikatoren wie Vereine?
Auch das. Das haben wir schon lange gemacht. Außerdem habe ich bei uns im Landkreis schon vor Monaten den Gaststättenverband Dehoga angeschrieben und gebeten, dass die Hotels und Gaststätten ihre Mitarbeiter übers Impfen informieren und wir haihnen ein Impfangebot gemacht. Das hätte nach meinem Gefühl noch besser angenommen werden dürfen. Es ist ja gerade die Gastronomie, die immer einen möglichst normalen Betrieb fordert, aber dazu gehört natürlich auch, dass die Mitarbeiter entsprechend geschützt sind. Das gleiche gilt auch für Impfungen in Betrieben.
Was passiert mit den Impfzentren?
Die Staatsregierung drängt darauf, dass es künftig nur noch ein Impfzentrum pro Landkreis gibt. Das wird auch am Landkreis Lindau nicht spurlos vorbeigehen. Das Impfzentrum in Lindenberg ist noch bis Ende September gesichert. Das heißt, wir werden im Landkreis künftig noch das Impfzentrum in Lindau und mobile Impfteams haben, die im gesamten Landkreis eingesetzt werden können. Das ist auch angemessen, denn es sind Steuergelder, die hier verwendet werden, und aktuell hat ja jeder Bürger die Möglichkeit, sich sofort impfen zu lassen. Wir gehen davon aus, dass in Kürze die Auffrischungsimpfungen kommen werden. Momentan laufen noch die Vorbereitungen, aber wir werden zeitnah in der Lage sein, sie anzubieten.
Wie bewerten Sie die geplante Testpflicht für Menschen, die weder vom Coronavirus genesen, noch geimpft sind?
Die Tests geben einen Anhaltspunkt, wie viele Menschen infiziert sind, und sie helfen dabei, Infektionsketten zu unterbrechen. Daher sind diese gerade bei steigenden Zahlen und nach wie vor noch vielen ungeimpften Menschen ein wichtiger Indikator bei der Pandemiebekämpfung. Die 3-Gregel halte ich für wichtig und sinnvoll. Und ich finde es richtig, dass ab Oktober die Tests nichts mehr auf Kosten der Allgemeinheit durchgeführt werden können, sondern diese jeder – bis auf wenige Ausnahmen – privat bezahlen müssen. Denn alternativ ist ja eine Impfung möglich, die auch den besten Schutz für sich und andere bietet.
Wagen wir einen Blick in die Zeit nach den Sommerferien. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, dass Präsenzunterricht so lange wie möglich stattfinden kann?
Es ist das erklärte Ziel, dass so viel Präsenzunterricht wie nur irgendwie möglich stattfinden kann. Aber jedem muss klar sein, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gibt. Bei den Schulen kommt es nicht nur auf die Klassenzimmer an, denn die Schüler treffen sich vor der Schule, möglicherweise an der Bushaltestelle, im Schulbus, sie sehen sich auf dem Schulgelände, in den Gängen, in den Pausen, danach in der Freizeit. Die Ansteckungswege sind also vielfältig. Zu meinen, dass man einen Luftfilter in die Klassenzimmer stellt und alle Probleme sind gelöst, ist ein Irrglaube. Das mag ein Baustein sein, aber das ist kein nachhaltiger Schutz vor einer Corona-infektion. Deswegen geht es um ein Paket. Die Ständige Impfkommission hat zwischenzeitlich eine generelle Impfempfehlung für die Kinder ab zwölf Jahren ausgesprochen. Das Impfen wird also auch in dieser Altersgruppe ein zentraler Baustein bei der Aufrecht-erhaltung des Schulbetriebs werden.
Und wie sieht das aus?
Gefordert ist hier vor allem das Kulturministerium, denn dieses legt die Rahmenbedingungen für den Unterricht fest. Aber auch wir werden natürlich das, was sinnvoll ist und in unserer Macht steht, dazu beitragen. Wir werden beispielsweise die Verstärkerbusse bis Weihnachten fortsetzen. So lange hat der Freistaat Bayern die Finanzierung in Aussicht gestellt. Das sind sechs bis sieben zusätzliche Busse auf den am stärksten betroffenen Linien, damit eine Entzerrung stattfindet. Wir setzen weiterhin auf Masken und es besteht die Möglichkeit für Kinder ab zwölf Jahren, sich impfen zu lassen.
Wie stark nehmen Kinder ab zwölf Jahren das Impfangebot an?
Bisher haben sich 773 Kinder und Jugendliche im Landkreis Lindau impfen lassen – wobei in der Rki-statistik nicht erfasst ist, ob alle ihren Wohnsitz auch im Landkreis haben. Bei uns gibt es keinen Impfzwang, das ist mir ganz wichtig. Vor etwa vier Wochen habe ich die Schulen angeschrieben und sie gebeten, die Eltern zu informieren, dass bei uns in den Impfzentren die Möglichkeit besteht, sich ab einem Alter von zwölf Jahren impfen zu lassen. Die Impfstoffe von Biontec/ Pfizer und Moderna sind von der europäischen Arzneimittelbehörde dafür zugelassen und seit dem 16. August gibt es auch eine entsprechende Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission. Es bleibt aber eine individuelle Entscheidung der Erziehungsberechtigen. Ausgangspunkt war ja die Frage nach der Sicherheit in den Schulen und dort wird es mehr Sicherheit geben, je mehr Lehrer und Kinder ab zwölf Jahren geimpft sind.
Wie geht es an den Schulen beim Testen weiter?
Der Freistaat hat jetzt über die Ferien eine Ausschreibung gestartet, die die Grund- und Förderschulen betrifft. Dort sollen ab Oktober sogenannte Pcr-pooltestungen stattfinden. Momentan machen die Schüler einen Antigen-selbsttest. Dabei fahren diese sich selbst mit einem Röhrchen in die Nase und dann wird der Test ausgewertet. Diese Tests sind nicht sehr zuverlässig. Beim Pcr-pooltest nehmen die Kinder das Stäbchen in den Mund, lutschen darauf und dann werden die Stäbchen pro Klasse eingesammelt. In einem Labor findet dann ein PCRTEST statt. Pcr-tests sind wesentlich zuverlässiger und angenehmer in der Anwendung als die Schnelltests. Das heißt, man kann noch am selben Tag feststellen, ob in der Klasse ein oder zwei Kinder sind, die Sars-cov-2positiv sind. Wenn dem so sein sollte, kommt zunächst die ganze Klasse in Quarantäne und man nimmt von jedem einzelnen Kind einen PCR-TEST. Aber nur das Kind, das dann positiv ist, kommt dann tatsächlich in Quarantäne, für die anderen wird die Quarantäne aufgehoben. Das ist ein Vorteil zum bisherigen Verfahren, wo man oft die ganze Klasse in Quarantäne gesteckt hatte. Ich könnte mir vorstellen, dass man das nicht nur an den Grund- und Förderschulen macht, sondern an allen Schulen. Hier liegt der Ball aber beim Kultus-, beziehungsweise Gesundheitsministerium.
Ändert sich etwas an der Maskenpflicht?
Momentan wird eine Diskussion darüber geführt, ob medizinische Masken ausreichend sind. Bisher gilt ja auch eine Ffp2-maskenpflicht. Das wird sich in den nächsten Tagen entscheiden. Grundsätzlich hat der Freistaat angekündigt, dass er in den ersten zwei Schulwochen eine Maskenpflicht in den Klassenzimmern haben möchte. Das macht ja auch Sinn, wenn man sich die Erfahrungen der Pfingstferien anschaut, als nach den Ferien Infektionen aufgetreten sind. Wir hatten das Glück, dass die betroffenen Schüler durch Testungen herausgefiltert werden konnten, bevor sie andere anstecken konnten.
Sie haben sich zum Thema Luftfilter eindeutig positioniert. Warum könnten die Geräte Ihrer Ansicht nach ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln?
Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Luftfilter. Sie können ergänzend schon sinnvoll sein. Aber es schützt die Schüler nicht automatisch vor einer Quarantäne, nur weil so ein Gerät im Raum steht. Die Geräte geben nur eine vermeintliche Sicherheit, weil man sich trotzdem in jedem Einzelfall anschauen muss, ob eine Quarantäne erforderlich wird oder nicht. Mit einem einzigen Filtergerät ist es außerdem nicht getan, wir bräuchten drei bis vier Geräte im Raum, damit die geforderte Luftmenge einerseits umgewälzt und andererseits auch die Lautstärke erträglich bleibt. Wir haben seitens des Landkreises schon vor Jahren damit begonnen, die Schulen mit dezentralen Lüftungsanlagen, sogenannten raumlufttechnischen Anlagen, auszustatten. Diese haben den Vorteil, dass sie die Raumluft nicht nur umwälzen, sondern auch Frischluft zuführen. Darüber hinaus haben sie den ökologischen Vorteil, dass sie im Winter die kalte Luft von draußen gleich noch erwärmen. Dadurch wird Heizenergie eingespart. Hinzu kommt, dass die Bundesförderung, die bisher bei 20 Prozent lag, auf 80 Prozent angehoben wurde.
Wie lange wird es voraussichtlich dauern, bis die Lüftungen eingebaut sind?
Wir hatten es losgelöst von Corona ohnehin so geplant und haben den Förderantrag schon gestellt, aber die Arbeiten müssen ab einem Schwellenwert von 200 000 Euro Eu-weit ausgeschrieben werden. Voraussichtlich könnten die Anlagen zwischen Ostern und Pfingsten eingebaut werden. Das kostet uns also etwa ein halbes Jahr, ist aber der nachhaltigere und bessere Weg. Bis dahin müssen wir weiter lüften, was aber nach wie vor eine der besten Möglichkeiten ist, für gute Raumluft zu sorgen.