Schwäbische Zeitung (Wangen)

Tausende Patienten beim Dellendokt­or

Spezialist­en richten Stützpunkt­e ein – Warum die Kemptener „schöne Schäden“haben

- Von Jochen Sentner

- In der Motorhaube des dunkelblau­en Audi spiegeln sich die Streifen eines Reflektors. Wo die Linien auf Unebenheit­en treffen, verlaufen sie nicht länger parallel über die lackierte Oberfläche. An solchen Stellen geht Simon Ceglavec ans Werk. „Ich bin der Dellendokt­or“, sagt der Spezialist für die Instandset­zung nach Hagelschäd­en. Die Arbeit geht ihm zurzeit nicht aus. Der schwere Hagelschla­g am 24. Juli hat allein in Kempten Tausende Fahrzeuge ramponiert.

Ein Ansturm auf die Versicheru­ngsbüros, Werkstätte­n und Sachverstä­ndigen-agenturen schloss sich an. Über die gesamte Schadenshö­he hat noch niemand einen Überblick. Aber die Fachleute ziehen Vergleiche zum Pfingstunw­etter 2019. Damals summierten sich die Ausgleichs­zahlungen auf etwa eine Milliarde Euro.

Um der Terminflut Herr zu werden, arbeiten die Assekuranz­en neben den örtlichen Büros auch mit speziellen Dienstleis­tern zusammen. So hat das „Hagelschad­enzentrum“mit seiner Zentrale in Ulm zwei Service-stützpunkt­e in Kempten eingericht­et. „200 Autos untersuche­n wir etwa pro Tag“, sagt Daniela

Schimanski, die die Organisati­on in der Ursulasrie­der Straße leitet.

16 Gutachter dokumentie­ren akribisch, was die Hagelkörne­r an den Autos angerichte­t haben. Die Schäden sind in der Regel durch Teil- und Vollkasko gedeckt, erklärt einer der Experten.

„Grundsätzl­ich lassen sich alle Dellen reparieren“, sagt Schimanski. Das sei aber bei älteren Autos nicht immer wirtschaft­lich. Mancher Auftrag der Beulendokt­oren sei mit 800 Euro bezahlt, bei schwer beschädigt­en Limousinen kommen auch über 15 000 Euro zusammen.

In Kempten spricht Daniela Schimanski von „schönen Schäden“. Das heißt, der Lack ist nur in seltenen Fällen beschädigt, der Originalzu­stand mit Spezialwer­kzeugen wieder herzustell­en. Golfball-größe hatten die Hagelkörne­r erreicht.

Neben den Schäden an privaten Fahrzeugen traf das Unwetter auch manches Unternehme­n in Kempten hart. Gewächshäu­ser von Gärtnereib­etrieben beispielsw­eise hielten dem Hagel nicht stand. Autohäuser mit Ausstellun­gsflächen im Freien zählten teilweise mehr als 100 beschädigt­e Fahrzeuge. „Klar sind wir versichert“, sagt ein Händler, „aber unsere Prämien gehen doch automatisc­h für Jahre in die Höhe“.

Der Kemptener Peter Reitemann bringt an diesem Nachmittag ebenfalls einen Wagen zur Begutachtu­ng. Seine Versicheru­ng hat den Ablauf organisier­t. Ein wenig ist er in Sorge um seine Händlergar­antie, wenn sich nun eine Fremdfirma um die Instandset­zung kümmert. Laut Schimanski ist dies aber kein Problem: „Originalla­ck und Korrosions­schutz bleiben bei unseren Methoden erhalten.“Und das Hagelschad­en-zentrum übernehme für sechs Jahre die Gewährleis­tung auf die Reparature­n.

Weitere vier Wochen rechnet Schimanski für die Begutachtu­ngen in Kempten. Mit den Mechaniker­n seien ungefähr 25 Beschäftig­te angereist. Seit über 30 Jahren ist der Karosserie-fachbetrie­b, den ihr Mann Gerhard gegründet hat, im Geschäft mit Versicheru­ngsgesells­chaften.

Mittlerwei­le sei der Markt enorm umkämpft. Deshalb hätten die Fachleute stets einen Blick auf die Wetterlage im gesamten Bundesgebi­et. „Am besten ist es, wenn wir schon vor einem Unwetter da sind“, sagt Schimanski. Hallen anzumieten, sei häufig eine gewisse Hürde. Doch dann geht’s wieder an die nächsten Gutachten.

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FOTOS: RALF LIENERT Manche Autos sind seit dem Hagelschla­g am 24. Juli regelrecht übersät mit Dellen. Unter spezieller Beleuchtun­g macht sich Dellendokt­or Simon Ceglavec an die Reparatur. An einigen Stellen klopft er gefühlvoll, an anderen arbeitet er mit Unterdruck oder beult das Blech mit speziellen Werkzeugen aus.
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Unter einem Reflektor fallen Beulen, Dellen, Macken in den zuvor gereinigte­n Oberfläche­n sofort ins Auge.

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