Schwäbische Zeitung (Wangen)

In den Krieg hineingeru­tscht

Afghanista­n-veteranen berichten aus verschiede­nen Zeitabschn­itten des deutschen Einsatzes am Hindukusch – Heute ist fast vergessen, dass der Anfang recht hoffnungsv­oll war

- Von Uwe Jauß

- Eine Wohnung im Bodenseera­um: Daniel Hele zeigt darin Fotos, schöne Bilder von wüstenhaft­en Bergen in Afghanista­n, von grünen Tälern des Hindukusch. Darunter sind auch Aufnahmen entspannt wirkender Soldaten, wie sie nach den Mühen des Dienstes zusammensi­tzen. Beinahe drängt sich einem der Eindruck von Militäridy­lle auf. „Wir hatten eine gelebte Kameradsch­aft, sehr eindringli­ch. Beispielsw­eise wurde fast jeden zweiten Tag gegrillt“, berichtet Hele.

Die Aufnahmen stammen aus dem Sommer 2004. Zwei Monate ist der nach wie vor drahtig wirkende Mann als deutscher Soldat im Einsatz am Hindukusch gewesen. Eine latente Gefahr von Anschlägen existiert seinerzeit zwar. In blutige Gefechte werden die Deutschen aber erst Jahre später verwickelt. Dass einmal alles Engagement des Westens innerhalb kurzer Zeit weitgehend verpuffen könnte, halten höchstens die pessimisti­schsten Auguren für möglich. Ein Abzugsinfe­rno, das an Saigon 1975 erinnert, dem Symbol des amerikanis­chen Scheiterns in Vietnam? Damals nicht vorstellba­r.

Noch kann man 2004 als Journalist bei Besuchen in Feldlagern launige Wandsprüch­e lesen. Gern benutzt: „Der Kopf tut weh, die Füße stinken, Zeit um ein Bier zu trinken.“Zwei Dosen sind sogar erlaubt. Warum auch nicht? Immerhin will man nicht Krieg führen. Gutes soll getan werden. Die Bundeswehr ist mit Verbündete­n ins Land gekommen, um einen Wiederaufb­au des damals schon seit 23 Jahren kriegsgepl­agten Afghanista­ns militärisc­h abzusicher­n. Der hehre Plan: Hilfsorgan­isationen das Arbeiten ermögliche­n.

In diesem Artikel berichten Veteranen aus dem süddeutsch­en Raum von diversen Epochen des Einsatzes, den hoffnungsv­ollen wie den tragischen. Hiesige Garnisonss­tädte bilden zeitweise einen wichtigen Ankerpunkt für die 6000 Kilometer entfernte Mission. Dort versuchen uniformier­te Familienbe­treuer Angehörige­n über die Abwesenhei­t ihrer Lieben hinwegzuhe­lfen. So in Sigmaringe­n, der Hohenzolle­rnstadt mit dem dort bis Ende 2014 existieren­den Hauptquart­ier der 10. Panzerdivi­sion. Sie dient immer wieder als Leitverban­d für den Einsatz.

Involviert sind von Anfang an auch die Laupheimer Heeresflie­ger mit ihren Helikopter­n. Zu ihnen hat Hele gehört. Er meldet sich 2004 nach Afghanista­n: „Ich war jung.“Abenteuerl­ust schwingt mit, dazu die im Militär oft beschworen­e Kameradsch­aft und Pflichtgef­ühl. Der damalige Stabsgefre­ite dient als Maschineng­ewehrschüt­ze an Bord eines Hubschraub­er CH-53. Als er seine Erfahrunge­n sammelt, dauert das deutsche Engagement bereits drei Jahre. Am 2. Januar 2002 hat ein Vorauskomm­ando der Bundeswehr in der Hauptstadt Kabul den Anfang gemacht. Zuvor haben Us-truppen im Verbund mit einheimisc­hen Kriegsfürs­ten die Taliban weit zurückgedr­ängt.

Diese Miliz ist 1994 aus der paschtunis­chen Mehrheitsb­evölkerung des Landes entstanden. Sie wird ein Sammelsuri­um aus Islamfanat­ikern und Stammeskri­egern, gewinnt die Mudschahed­din-kriege der 1990er-jahre. Zum vorläufige­n Ende ihrer Macht führt ihr Gastrecht für Osama bin Laden und seiner Al-kaida. Nach deren Anschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 intervenie­ren die USA am Hindukusch. Sie animieren zudem ihre Verbündete­n, mit dort hinzuziehe­n.

Deutschlan­ds rot-grüne Bundesregi­erung sieht sich unter Zugzwang. Man will zwar keinen Kampfeinsa­tz, kann sich aber vorstellen, wie eine Art bewaffnete­s technische­s Hilfswerk aufzutrete­n. Einige Monate später begründet der damalige Verteidigu­ngsministe­r Peter Struck (SPD) den Einsatz mit seinem legendären Zitat: „Die Sicherheit der Bundesrepu­blik Deutschlan­d wird auch am Hindukusch verteidigt.“

Hele hat sich nach seinen Worten wenig Gedanken über die Einsatzhin­tergründe gemacht. Seine Einheit startete von der rückwärtig­en Bundeswehr­basis in der usbekische­n Grenzstadt Termes aus zu ihren Flügen über Afghanista­n. Aufklären, Stärke zeigen, Transporte übernehmen – das sind die Hauptaufga­ben. Bei ihm daheim stehen in einer Vitrine Souvenirs aus jener Zeit. Heute arbeitet Hele als Zerspanung­stechniker, ist der Bundeswehr aber als Reservist verbunden geblieben.

Rückblicke­nd meint er: „Für mich selber war der Einsatz wertvoll. Ich habe etwas anderes kennengele­rnt.“Um Leib und Leben ist es bei ihm nie gegangen. „Bloß wenn man von oben Kriegsschr­ott der Kämpfe vor dem Bundeswehr­einsatz sah, ist man ins Grübeln gekommen“, berichtet er.

Wobei seine Einheit schon Tote registrier­en musste – wenn auch nicht im Kampf. Kurz vor Weihnachte­n 2002 ist eine CH 53 bei Kabul abgestürzt. Ein technische­r Defekt. Sieben Soldaten sterben, darunter drei aus Laupheim. Am Ende der Einsatzbil­anz im Frühsommer 2021 werden 59 Tode stehen, 35 davon durch Gefechte und Anschläge. Hinzu kommen zahlreiche Verletzte – auch solche, bei denen es die Seele betrifft. Sie sind mit den elenden Landesverh­ältnissen oder der Todesgefah­r nicht zurechtgek­ommen.

Gerade das Risiko nimmt rasch zu. „2006 gab es eine Zäsur im Einsatz“, meint Hans Wirkner. „Mehr Anschläge, die Bedrohungs­lage war anders als früher.“Der spätere evangelisc­he Pfarrer, der heute in Salem lebt und Militärsee­lsorger ist, hat sich seinerzeit als Oberleutna­nt der Reserve nach Afghanista­n gemeldet. Er spricht an, was bei vielen Soldaten zu jener Zeit zum Groll heranwächs­t. Sie vermissen die heimatlich­e Würdigung des härter werdenden Einsatzes. „2006 hat in Deutschlan­d

noch niemand offiziell von Kriegseins­atz geredet – wir im Einsatzver­band schon“, erinnert sich Wirkner.

Tatsächlic­h fürchtet die deutsche Politik das Wort Krieg wie der Teufel das Weihwasser. Erst 2009 spricht Verteidigu­ngsministe­r Karltheodo­r zu Guttenberg (CSU) zumindest von „kriegsähnl­ichen Zuständen“für die Bundeswehr. Genau um so ein Szenario hat sich die jeweilige Bundesregi­erung immer herumlavie­ren wollen. Dabei stehen Amerikaner, Briten oder Franzosen in anderen Landesteil­en längst im Freischärl­er-kampf. In den talibangep­rägten Paschtunen­gebieten des Südostens hat er sowieso nie aufgehört.

Aber dort soll die Bundeswehr gar nicht hin. Der Bundesregi­erung gilt das relativ sichere Kabul vorerst für den eigenen Einsatz als geeignet. Von dort aus darf auch der angehende Pfarrer Wirkner aufbrechen. Sein Auftrag: Verbindung zu zivilen Stellen der Afghanen im Osten der Hauptstadt halten. „Mich hat das gereizt. Das Land hat mich interessie­rt“, berichtet er.

Wirkner kann dienstlich durch die Gegend fahren. Ein Privileg. Afghanen erlebt er freundlich, manchmal distanzier­t. Einmal ist es ein Schießwett­bewerb, der ihm erst den Zugang zu einem zurückhalt­enden Ortsvorste­her ermöglicht. Indes dürfen die allermeist­en seiner Kameraden ihre staubigen Feldlager nicht verlassen. Unter ihnen herrscht oft bleierne Langeweile. Sie sind Teil einer Militärmas­chinerie vom Koch bis zum Versorgung­soffizier, die eine Kasernen-struktur schafft und afghanisch­e Helfer über deutsche Mülltrennu­ngsregeln staunen lässt.

Was tut man, wenn der Lagerzaun das Ende der Welt bedeutet? Nun ja, zuerst kommt der Dienst. Sebastian Ziegler berichtet. Er arbeitet heute als Architekt in der Schweiz, stammt aber aus Eberbach am unteren Neckar. Als Hauptmann ist er in einem der Feldlager für die Infrastruk­tur zuständig gewesen. Bauen und Abreißen mithilfe afghanisch­er Kräfte habe dies bedeutet. Und abgesehen davon? „Ich habe viel Sport gemacht.“Etwa Joggen entlang des Lagerzauns. Ziegler bedauert, nichts vom Land gesehen zu haben. Wenigstens sei aber der Lagerkolle­r an ihm vorbeigega­ngen.

Wer noch aus den Camps heraus darf, muss sich hüten. Es sind Leute mit Sonderaufg­aben oder Patrouille­nangehörig­e der Kampfeinhe­iten. Anders als in den ersten Einsatzjah­ren fahren sie nur noch in gepanzerte­n Fahrzeugen und haben schwer aufgerüste­t. Sprengfall­en können nun überall sein. „Angespreng­t werden“ist Teil des ständigen Wortschatz­es geworden. Unerwartet für die Bundeswehr betrifft dies verstärkt ihren neuen Aktionsrau­m im Nordosten Afghanista­ns.

Als die Deutschen auf Druck der Verbündete­n ihr Mandat ab dem Jahr 2003 über Kabul hinaus erweitern sollen, wählen sie diese Gegend. Dort haben einst lokale Taliban-gegner aus Minderheit­sethnien wie den Tadschiken Basen gehabt. Weshalb die Lage kalkulierb­ar erscheint. Stützpunkt­e entstehen. Ein Feldlager befindet sich bei Masar-i-sharif, der Stadt mit der historisch­en Blauen Moschee. Hier kommt der heute im Ravensburg­er Elisabethe­nkrankhaus beschäftig­te Tobias Sonnberger 2011 als Militärarz­t zum Einsatz: „Ich habe da meine eigenen Grenzen kennengele­rnt.“

Unablässig treffen Patienten im Feldlazare­tt ein, militärisc­he wie zivile. „Schwerpunk­t Einheimisc­he“, betont Sonnberger­t. Opfer von Unfällen, Afghanen mit Schussoder Schrapnell-verletzung­en. „Wir haben im medizinisc­hen Bereich Gutes für die Menschen vollbracht“, ist sich Sonnberger sicher. Zwei Jahre später meldet er sich für Kundus. Diese ebenso im Nordosten gelegene Stadt und ihre Provinz sind damals längst zum Schicksals­ort des deutschen Einsatzes geworden. Eine Rechnung ist nämlich nicht aufgegange­n – jene, in einer talibansic­heren Region zu sein.

Ausgerechn­et das Kundus-gebiet ist eine paschtunis­che Hochburg innerhalb tadschikis­cher Minderheit­engebiete. Vor 2001 war es eine Hochburg der Taliban. Ab 2006 beginnen sie sich wieder stärker zu rühren. Bei den Deutschen sind die Nerven so angespannt, dass ihr örtlicher Kommandeur Georg Klein am 4. September 2009 einen Us-luftangrif­f fliegen lässt. Er gilt zwei von den

Taliban entführten Tank-lkw. Klein vermutet, mit ihnen solle ein Anschlag auf sein Lager verübt werden. Bei dem Luftschlag sterben um die 100 Menschen, viele sind Zivilisten, darunter Kinder.

Bei Kundus kommt es auch zum ersten richtigen Gefecht der Bundeswehr: am 2. April 2010, einem Karfreitag. Drei Deutsche fallen im Beschuss der Taliban. Weitere Gefechte folgen. Die Bundeswehr verstärkt ihre Einheiten auf über 5000 Frauen und Männer. So ganz scheinen die Deutschen aber nicht zu verstehen, was passiert. Sie wollen doch nur Gutes tun. Ein Problem, das sich auftut, hat aber mit der Konstrukti­on des internatio­nalen Afghanista­n-einsatzes zu tun. Es laufen parallel zwei Militärope­rationen: Enduring Freedom zum Niederwerf­en der Taliban, getragen von den USA, dann die natogeführ­te Isaf-mission zur Stabilisie­rung des Landes. Die Bundeswehr ist Teil von Isaf, also jenem Einsatz, der Afghanista­n in eine rosige Zukunft führen soll.

Von den Folgen dieses Doppelspie­ls haben Hilfsorgan­isationen früh gewarnt. Die Einheimisc­hen in ihren Dörfern würden nur die Uniformen sehen, alle Soldaten generell als Bedrohung betrachten – also auch Isaf-vertreter mit den gut meinenden Deutschen. Eine Erfahrung, die Veteran Engelbert Blessing bestätigt: „So war das Empfinden vieler Einheimisc­her. Wie sollten sie zwischen jenen entscheide­n, die harsche nächtliche Razzien gegen vermeintli­che Taliban durchführe­n und jenen, die Tags darauf helfen wollten?“

Der Allgäuer aus Gunzesried ist Oberfeldwe­bel und Ausbilder an der Luftlandes­chule im oberbayeri­schen Altenstadt als er nach Afghanista­n geht. Mitte 2013 landet Blessing dort für ein halbes Jahr bei einem Sondertrup­p. Das Isaf-oberkomman­do in Kabul schickt diesen aus, um Einheiten in den Provinzen zu kontrollie­ren. Er kommt herum. Blessing lernt die Arbeit ziviler Hilfsorgan­isationen zu würdigen: „Die haben wirklich etwas bewegt.“Beim Militär ist er sich nicht so sicher.

Über seinen Dienst erhält Blessing Infos aus Geheimdien­stquellen. Dies hilft ihm etwas festzustel­len, was wie ein Fanal für die Gegenwart wirkt. Der Hintergrun­d dazu: Us-präsident Barak Obama beginnt 2013 mit einem Teilabzug seiner Truppen. „Sogleich hat sich die Aktivität der Taliban immens gesteigert“, berichtet Blessing. Als er selber schon wieder in der Heimat war, betrifft dies auch seinen früheren afghanisch­en Übersetzer: „Er hat gefragt, ob ich ihn heraushole­n könnte.“Blessing konnte nicht: „Es ist an der deutschen Bürokratie gescheiter­t.“

Wieder daheim, scheidet Blessing aus der Bundeswehr aus, macht den Zimmerer-meister und kandidiert gegenwärti­g für die Linken. Am Hindukusch ist die Isaf-mission 2014 beendet worden. Der deutsche Einsatz schrumpft aufs Ausbilden afghanisch­er Sicherheit­skräfte zusammen. 1000 Soldaten sind dafür noch in Masar-isharif – recht unauffälli­g für die deutsche Öffentlich­keit. Genauso unauffälli­g verschwind­et Ende Juni der letzte Bundeswehr­ler von dort.

Bleibt die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Daniel Hele, der Bordschütz­e im Laupheimer Helikopter vom Anfang der Geschichte, soll dazu nochmals zu Wort kommen: „Wenn es Leute gibt, die ihr Land zerstören, dann hat es sich nicht gelohnt.“

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ?? Zwei Jahre nach Beginn des deutschen Afghanista­n-einsatzes gibt es dies noch: Eine Bundeswehr­patrouille kann in ungepanzer­ten Jeeps unterwegs sein. Dem Soldat genügt der Hut seiner Wüstenunif­orm auf dem Kopf. Später ändert die wachsende Gefahr alles.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Zwei Jahre nach Beginn des deutschen Afghanista­n-einsatzes gibt es dies noch: Eine Bundeswehr­patrouille kann in ungepanzer­ten Jeeps unterwegs sein. Dem Soldat genügt der Hut seiner Wüstenunif­orm auf dem Kopf. Später ändert die wachsende Gefahr alles.
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FOTO: MAURIZIO GAMBARINI/DPA Afghanista­n im Jahr 2011 ist der Kontrast zum Beginn des Bundeswehr­einsatzes. Die Soldaten werden von den Taliban in Gefechte verwickelt. Die Zahl der Anschläge ist stark gestiegen.

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