Mitten durch die Eiszeit radeln
Die neue Eiszeittäler-radtour auf der Schwäbischen Alb bietet viele Gelegenheiten, das Welterbe aktiv zu erleben
Was für eine Zahl: Bereits vor 43 000 Jahren, also während der letzten Eiszeit, haben Menschen in den Höhlen auf der Schwäbischen Alb gelebt. Und Kunstwerke hinterlassen, deren Bedeutung für das Verständnis der Menschheitsgeschichte weltweit einzigartig sind. Deshalb wurde die Welterbestätte „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb“2017 in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen.
75 – diese Zahl ist besser greifbar. So viele Kilometer lang ist die neue Eiszeittäler-radtour, die die wichtigsten Höhlen, Fundorte und die dazugehörigen Museen im Ach- und Lonetal miteinander verbindet. Das ist sportlich – zumindest ohne E-rückenwind. Allein
fürs Radeln braucht man gut fünf Stunden. Wenn dann noch Umwege dazukommen, kann sich die Tagestour ganz schön ziehen. Zum Glück ist nur der Beginn etwas holprig. „Eiszeit was?“fragt ein Passant, den wir am Bahnhof in Schelklingen fragen, wo es losgehen soll. Denn es ist kein einziges Hinweisschild zu sehen. Den neuen Eiszeittäler-radweg kennt er nicht. Aber dafür den Hohlen Fels, das erste Weltkultur-etappenziel gleich hinter Schelklingen – und wie man mit dem Rad hinkommt, weiß er auch. Glück gehabt.
Ein paar Minuten später liegt der Hohle Fels direkt am Weg – und ist leider geschlossen, das Gitter verriegelt. Eine Reihe von spektakulären Funden wurden hier gemacht, darunter die „Venus vom Hohe Fels“, die bisher älteste bekannte, von Menschenhand geschaffene Frauenfigur, etwa 40 000 Jahre alt. In den Sommermonaten wird hier immer mal wieder gegraben, heißt es. Kurz dahinter liegen die Höhlen Geißenklösterle und Sirgenstein. Wer nicht aufpasst, ist schnell mal vorbeigeradelt. Beide sind frei zugänglich, in beiden wurden ebenfalls spektakuläre Funde gemacht: Steinwerkzeuge und Flöten, die zu den ältesten Musikinstrumenten überhaupt gehören.
Der idyllische Radweg an der Blau entlang führt nach Blaubeuren und ins URMU, dem urgeschichtlichen Museum, wo all diese Schätze im Original zu sehen sind. Einen Abstecher ins Museumscafé und eine klitzekleine Stadtrunde sollten auch noch drin sein, bevor es schön flach weiter über Blaustein Richtung Ulm geht. Bei einer kleinen Pause unterhalb von Schloss Klingenstein erfährt
Sommerzeit man Skurriles über den Schlossherrn, Dr. Gustav Leube, seines Zeichens Kronapotheker zu Ulm. Er hat 1850 im Blautal zum ersten Mal reinen, weißen Kalkstein entdeckt – und den Zement erfunden.
Blau, Donau, Lone: Unterschiedlicher könnten die drei Flüsse nicht sein, an deren Ufer die Eiszeittälerroute entlangführt. In Ulm fließt die Blau gleich hinterm Fischerviertel in die Donau. Der Radweg führt direkt zum Museum Ulm, wo das berühmte Figürchen steht, 31 Zentimeter hoch, das als Löwenmensch weltweite Bekanntheit genießt. Effektvoll angestrahlt und hinter Glas. Erhaben wirkt das Mischwesen aus Löwe und Mensch, kunstvoll geschnitzt aus Mammut-elfenbein – und ist wohl die älteste menschliche Darstellung überhaupt. Später, wenn die müden Radler kurz vor Tour-ende noch einen Blick in seinen Fundort im Lonetal werfen, werden sie die Grazie dieser Figur, um die sich zahlreiche Mythen ranken, noch gut in Erinnerung haben.
Waren die ersten 30 Kilometer flach und gut zu bewältigen, kommt jetzt eine sportliche Herausforderung. Es wird vom Ach- ins Lonetal gewechselt, und das geht nur über einen Berg. Gut, wer sich in Ulm noch gestärkt hat. Belohnt wird man oben bei Beimerstetten mit einigen schönen Abschnitten durch Laubwälder, bevor es wieder bergab Richtung Lonetal geht. An der kleinen, oft kaum sichtbaren Lone zieht sich der Radweg idyllisch und wieder schön flach entlang. Straßen und Autos sind kaum zu sehen. Nur einmal – es geht unter der A 7 hindurch – ist länger ein störendes Rauschen zu hören.
Und dann tauchen sie auf, die Höhlen Bockstein und Hohlenstein. Die Parkplätze sind schon gut gefüllt. „Grade habe ich einen spanischen Geschichtslehrer getroffen, der kennt sich besser aus als ich“, sagt ein Eiszeitbegeisterter, der nicht zum ersten Mal da ist. „Unglaublich“, findet er, „was hier alles historisch so abgeht.“Ein paar Radminuten später ist die Heimat des Löwenmenschen, der Hohlenstein-stadel, erreicht. Wen spätestens da nicht die Ehrfurcht packt, hat etwas falsch gemacht. Oder ist einfach zu müde.
Schließlich ist mit dem Archäopark Vogelherd das Ende der Tour in Sicht. Die Höhle ist die Fundstelle mit der größten Anzahl an eiszeitlichen Figuren im Welterbegebiet. Seit ein paar Jahren können Kinder und ihre Eltern hier an zahlreichen, von Fachpersonal betreuten Erlebnisstationen zurück in die Eiszeit reisen.
Der achtjährige Bennett erzählt draußen begeistert vom Speerwerfen und Feuermachen. Den ganzen Tag hat er mit seiner Familie hier verbracht, jetzt ist Zeit auf dem Wasserspielplatz angesagt. Auf die Radler warten Kaffee und Kuchen im Archäopark-café, bevor es die letzten Kilometer zum Bahnhof Niederstotzingen zu bezwingen gilt – zum Glück meist bergab.
Die Eiszeittäler-radtour ist 75 Kilometer lang und führt von Schelklingen über Ulm nach Niederstotzingen (oder andersherum). Zurück geht’s in circa einer Stunde (Umsteigen in Ulm) mit dem Zug. Weniger anstrengend ist es in zwei Tagesetappen. Den Weg weist ein blau-weißes Eiszeittälertourenschild, das relativ sparsam verteilt ist. Im Zweifelsfall den grün-weißen Radwegweisern folgen. Oder die Tour vorher bei outdooractive oder komoot herunterladen. Weitere Informationen:
www.urmu.de, www.museumulm.de, www.archaeopark-vogelherd.de.