Wieso es mit Attesten nicht so einfach ist
Manche sind ärztlich vom Maskentragen befreit – Welche Möglichkeiten der Handel hat
(hil) - Dass der Tettnanger Bäcker Tobias Bär Anfang August von seinem Hausrecht Gebrauch und einen Kunden ohne Maske seines Ladens verwiesen hat, hat zu Zuspruch, aber auch zu Kritik geführt. Doch die Situation hat viele Facetten. Was der Handel und die Ärztekammer sagen und wie sich eine Betroffene mit Attest äußert.
Dass es für ihn persönlich damals vor allem die aufgeheizte Situation inklusive Ns-vergleich gewesen war, die zum Rauswurf führte, hatte Bär schon Mitte des Monats in der „Schwäbischen Zeitung“geäußert, die über diesen Vorfall berichtet hatte. Auch, dass es immer Möglichkeiten gebe, wenn ein Kunde die Maske mal vergessen haben sollte, wurde er damals im Artikel zitiert.
Die Antidiskriminierungsstelle des Landes Baden-württemberg äußert, dass einem Kunden mit Attest der Zutritt nicht verweigert werden darf, „sofern die ausnahmslose Maskenpflicht nicht im Einzelfall sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein sollte“. Hier hatte Bär Mitte August bereits die grundsätzlich beengte Situation im Verkaufsraum genannt. Bei einer erneuten Nachfrage verweist er darauf, dass er in seinem nahen Snowboard-geschäft einzelne Kunden auch ohne Maske beraten kann, weil es vom Platz her geht.
Die IHK Bodensee-oberschwaben äußert, dass Geschäfte über gut ausgearbeitete Hygienekonzepte verfügten und alles dafür tun würden, um ihre Geschäfte öffnen und ihre Kunden bedienen zu können. Wenn trotz eines Attests der Zutritt nicht gewährt werden könne, sei dies in der Regel in der Schutz- und Fürsorgepflicht des Unternehmens gegenüber Kunden und Beschäftigten begründet.
Die IHK zitiert dazu die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: „Ein sachliches und auch wichtiges Ziel liegt hier vor, da die Maskenpflicht Kund_innen und Beschäftigte vor Neuinfektionen schützt sowie insgesamt die Verbreitung des Corona-virus eindämmt.“Ein Versuch, verschiedene große Kaufhausketten und Geschäfte für Lösungen für Kunden mit Attest zu sensibilisieren, sei dabei auf sehr unterschiedliches Echo gestoßen, so die Bundes-antidiskriminierungsstelle.
Der Nachweis über die Maskenbefreiung sei für Händler nicht immer mit absoluter Sicherheit überprüfbar, so die IHK. In diese Richtung äußert sich auch die Handwerkskammer Ulm, die aufs Hausrecht verweist. Zum einen stehe es Unternehmen frei, Atteste von Kunden zu kontrollieren, eine Pflicht gebe es aber nicht. Die Kammer rät, in dem Fall zwei Anhaltspunkte für die Vertrauenswürdigkeit zu prüfen: Ob der Kunde bekannt sei und der ausstellende Arzt im Umkreis ansässig sei.
Die Frage zur Echtheit von Attesten beantwortet die Landesärztekammer dahingehend, dass Beschwerden zu Aspekten der Corona-thematik, wozu auch Gefälligkeitsatteste gehören, Einzelfälle seien. Die Ärztekammer positioniert sich klar gegen Corona-verharmloser. Im Ärzteblatt ist sogar das Thema Gefälligkeitsatteste vor einiger Zeit behandelt worden – mit dem klaren Verweis darauf, dass letztere oder auch Blanko-atteste einen Straftatbestand darstellen. Ärzte müssten bei der Ausstellung von Attesten ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen.
Brigitte V. (Name ist der Redaktion bekannt) lebt im östlichen Bodenseekreis. Sie hat seit Anfang des Jahres ein Attest. Brigitte V. nimmt Corona ernst. Sie ist geimpft, achtet auf Abstandsregeln und hat lange mit sich gerungen, ob sie ihren Arzt nach einem Attest fragt. Doch irgendwann sei es nicht mehr gegangen. Die körperlichen Reaktionen, darunter eine rasch stärker werdende Übelkeit, habe sie nicht mehr ausgehalten.
Sie berichtet von Schwierigkeiten, ihren Lebensalltag zu bewältigen. Lebensmittel holt sie auf dem Wochenmarkt, von einem Brillenfachgeschäft ist sie auch schon mal vor der Tür bedient worden. Doch ihr werde an vielen Stellen der Zutritt direkt verweigert, ohne dass sich jemand für ihr Attest interessiere: „Die Leute setzen sich einfach darüber hinweg.“Sie nennt Supermärkte, Einzelhändler, aber auch Behörden.
Brigitte V. sagt, sie wisse langsam nicht mehr weiter, bestimmte Dinge gingen ihr langsam auch aus. „Aber ohne Maske kann ich nicht einkaufen. Das macht es mir nur schwer möglich, den Lebensalltag zu bewältigen.“Sie will sich nicht mitten in Geschäftsräumen
auf den Boden übergeben, sagt sie. Was sie ärgert ist, dass sie mit dem Attest ja eigentlich auch so Zugang haben müsste. Sie sei normalerweise ein sehr friedlicher Mensch, sagt Brigitte V. Aber die Aggressivität und die harsche Ablehnung treffen sie.
Sie erwische sich selbst dabei, dünnhäutiger geworden zu sein: Wenn sie am Eingang eines Ladens frage, ob sie ohne Maske eintreten könne, sie habe auch ein Attest, rechne sie im Grunde schon im Vorhinein oft mit Ablehnung. Die Bäckerei Bär in Tettnang hat sie noch nie besucht, kennt die Räume nicht. Sie kann nachvollziehen, dass es schwierig wird, wenn der Abstand nicht einzuhalten ist. Darauf lege sie ja auch Wert. Dann brauche es andere Lösungen. Aber es gebe auch Geschäfte mit größeren Flächen, wo man ihr Attest eigentlich ohne räumliche Probleme prüfen könne. Sie wünscht sich einen sachlicheren Ton und das Bestreben aller Beteiligten, eine Lösung zu finden.
Der Handelsverband Baden-württemberg nennt auf eine Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“hin mehrere Möglichkeiten, dem gerecht zu werden. So gebe es Geschäfte, die Menschen mit Attest bitten, Einkäufe besonders früh oder spät zu erledigen, wenn die Kundenfrequenz besonders gering ist. Andere würden Kunden mit Attest sogenannte Face-shields, also Gesichtsvisiere, anbieten. Wieder andere würden auch einen Homeservice anbieten, also einen Lieferdienst.
Generell verweist der Verband auf einen Zwiespalt: Händler wollten auf der einen Seite Kunden bedienen, auf der anderen Seite aber auch andere Mitarbeiter und Kunden schützen. Lösungen wie die oben genannten sorgten für Akzeptanz bei Kunden und Mitarbeitern, die Angst vor einer Ansteckung hätten und Kunden ohne Maske im Laden nicht akzeptieren würden.