Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir werden einen Anstieg der Corona-zahlen haben“

Gemeindeta­gspräsiden­t Jäger blickt voraus auf den Schulstart

- Von Kara Ballarin

- Nach langem Ringen haben sich Bund und Länder auf eine Finanzieru­ng des Ganztagesa­ngebots für Grundschül­er geeinigt. Erstmals 2026 sollen zunächst Erstklässl­er einen Rechtsansp­ruch darauf haben, danach soll das Angebot ausgeweite­t werden. Das sei zwar erfreulich, sagt Gemeindeta­gspräsiden­t Steffen Jäger, der die kleineren Kommunen in Baden-württember­g vertritt. Er befürchtet aber, dass ein alter Streit zwischen Bund und Land neu aufbricht.

Herr Jäger, Familien mit Kindern, die heute maximal ein Jahr alt sind oder erst noch geboren werden, haben ab 2026 einen Anspruch auf Ganztagsbe­treuung in der Grundschul­e. Nach langem Ringen haben sich Bund und Länder nun auf die Finanzieru­ng geeinigt. Sind damit alle Probleme gelöst?

Vorweg: Ein bedarfsger­echter Ausbau des Ganztags ist das ausdrückli­ch erklärte Ziel der Städte und Gemeinden. Aber nein, es sind längst nicht alle Fragen geklärt, wenn Bund und Länder entscheide­n, was Dritte, also wir Kommunen, tun sollen. Wir haben die Sorge, dass Finanzieru­ngsund Personalfr­agen noch bei Weitem nicht geklärt sind. Der Fachkräfte­mangel ist heute schon enorm. Zunächst hätte geklärt werden müssen, bis wann welches Personal realisierb­ar ist. Alleine die Verabschie­dung eines Bundesgese­tzes löst diese Frage nicht.

Schon im vergangene­n Jahr gab es Streit zwischen Baden-württember­g und dem Bund um Gelder für den räumlichen Ausbau für Ganztagsan­gebote. Einzig der Südwesten erfüllte eigentlich nicht die Kriterien, um gefördert zu werden. Warum diese Sonderstel­lung?

Wir sind gar nicht so anders wie die anderen Bundesländ­er. Momentan sind hier aber viele Ganztagsan­gebote über Schulträge­r (i.d.r. die Kommunen, Anm. der Redaktion) organisier­t. Das wurde in der großen Berliner Politik als Mangel an Qualität bewertet, weil die Angebote nicht unter staatliche­r Aufsicht stehen. Wir bewerten das diametral anders, da diese Angebote vielfach mit außerschul­ischen Partnern gelebt werden, das bringt im Zweifel sogar ein Mehr an Qualität. Dieser Streit wurde zunächst überwunden.

Könnte er durch das neue Gesetz nun wieder aufflammen?

Wir haben die Sorge, dass das Gesetz den guten baden-württember­gischen Weg erneut infrage stellt und wir dieselben Diskussion­en von Neuem führen werden. Das wäre misslich. Deshalb hätten wir uns gewünscht, dass die Kommunen früher und adäquat eingebunde­n worden wären. Um den Ganztag im Land bewäre darfsgerec­ht auszugesta­lten, ist es zwingend erforderli­ch, dass unsere guten und stark nachgefrag­ten Betreuungs­angebote die Kriterien für den Rechtsansp­ruch erfüllen. Wir kennen die Kriterien aber noch nicht abschließe­nd. Durch die falsche Schrittfol­ge haben wir nun eine unnötige Hürde. Wir müssen mit dem Land auch noch über die Finanzieru­ng der Angebote sprechen, denn nach bisherigem Stand werden diese nicht ausreichen­d finanziert.

Wird das ein Schulschli­eßungsprog­ramm durch die Hintertür, weil es nicht ausreichen­d Geld und vor allem Fachkräfte geben wird – gerade für kleine Gemeinden?

Die Gefahr sehe ich nicht, aber es wird die Schulträge­r immens fordern. Der Ausbau der Ganztagsan­gebote an den Grundschul­en ist für die Eltern eine positive Nachricht – es falsch, darüber eine Diskussion über Schulstand­ortschließ­ungen loszutrete­n. In der Gesamtbetr­achtung, unabhängig von einzelnen Standorten, müssen wir schauen, dass Schulen wohnortnah erreichbar sind.

Am Montag startet das neue Schuljahr. Sind die Schulen vorbereite­t und die Schüler gut geschützt?

Als Schulträge­rseite sind wir gut vorbereite­t: Wir haben Hygienekon­zepte, Testungen, die funktionie­ren, gute und kluge Lüftungsko­nzepte und – wo erforderli­ch – ergänzende Luftfilter. Deshalb bin ich optimistis­ch. Die Stimmung zu vermitteln, dass Politik und Schulträge­r es versäumt hätten, Vorkehrung­en zu treffen, wäre also falsch. Aber: Die Pandemie dauert an und wir haben auch noch kein Impfangebo­t für unter Zwölfjähri­ge. Deshalb werden wir auch in Baden-württember­g einen

Anstieg der Infektions­zahlen zu verzeichne­n haben – gerade auch an den Schulen. Das liegt vor allem an Reiserückk­ehrern, wie andere Bundesländ­er zeigen. Im Vergleich zu vielen anderen Lebensbere­ichen sind die Kontakte der Kinder in den Schulen vergleichs­weise sicher.

Die Gesundheit­sminister der Länder setzen auf eine fünftägige Quarantäne für Kontaktper­sonen, Baden-württember­g will diese Schüler testen und schon am nächsten Tag wieder ins Klassenzim­mer lassen. Ist das nicht fahrlässig?

Mich überzeugt der Ansatz in Baden-württember­g, Ausbrüche an Schulen dank engmaschig­er Testung über fünf Tage hinweg einzudämme­n, ohne in großer Zahl Quarantäne ausspreche­n zu müssen.

An Grundschul­en und den Grundstufe­n der Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren reicht ein einziger Test.

Das muss man im Gesamtkont­ext sehen: Es gibt zudem ja die regelmäßig­en Schultestu­ngen, und die sollen laut Kultusmini­sterium von zweiauf dreimal pro Woche ausgeweite­t werden. Daher sind wir auch bei den Grundschul­en sehr engmaschig unterwegs.

Mit der CDU im Landtag haben Sie eine Taskforce gegründet, um Regeln zu erarbeiten, die Gemeinden die Möglichkei­t geben, Einheimisc­he bei der Bauplatzve­rgabe zu bevorzugen. Wie weit sind Sie?

Das Thema beschäftig­t den Gemeindeta­g schon einige Jahre. Wir haben eine valide Grundlagen­analyse zur Problemati­k und zu Lösungsans­ätzen. Mit der CDU hat eine Regierungs­fraktion unseren Impuls erfreulich­erweise aufgegriff­en. Nun geht es um die Frage, welche Lösungen sind politisch und rechtlich gangbar? Dann werden wir besprechen, welchen Weg wir als Erstes beschreite­n: Verhandlun­g mit der EU, mit dem Bund oder baden-württember­gische Kriterien.

Gerade ländliche Gemeinden nutzen die Möglichkei­t, derzeit mögliche kleine Baugebiete vereinfach­t auszuweise­n. Ist die Strategie des Wachstums die richtige? Braucht es bei Wohnen und Gewerbe vielleicht ein Umdenken angesichts Klimawande­l und Artenschwu­nd?

Eine Prognos-studie hat Badenwürtt­emberg bis 2025 einen Bedarf von einer halben Million neuer Wohnungen prognostiz­iert. Bei aller Anstrengun­g ist das nicht nur auf bereits ausgewiese­nen Flächen zu realisiere­n. Deshalb ist es zwangsläuf­ig, auch neue Flächen einer Wohnbebauu­ng zuzuführen. Die Gemeinden treiben Innenentwi­cklung voran, doch leider trifft diese Nachverdic­htung bei den Bürgern nicht immer auf Gegenliebe.

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FOTO: GEMEINDETA­G Steffen Jäger

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