Streit in Flüchtlingsunterkunft eskaliert
Fast drei Jahre Haft für Messerangriff mit Stichverletzung am Kopf
- War es Notwehr? Mit dieser Frage hatte sich das Amtsgericht Wangen zum Jahresende noch zu beschäftigen. Angeklagt war ein junger Türke, der in einer Flüchtlingsunterkunft in Isny einen jungen Tunesier durch einen Messerstich am Kopf so schwer verletzte, dass dieser in die Notaufnahme eingeliefert werden musste.
Aber der Reihe nach: Das Schöffengericht in Wangen befragte über drei Verhandlungstage hinweg zahlreiche Zeugen, deren Aussagen sich aber vielfach widersprachen.
Und der Geschädigte schien so wenig Interesse an einer Aufklärung des Sachverhaltes zu haben, dass er nicht zur Verhandlung erschien und auch für die Polizei aktuell nicht auffindbar ist.
Angesichts dieser unklaren Beweislage verwunderte es nicht, dass Staatsanwaltschaft und Verteidigung
in ihren Schlussplädoyers zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen gelangten. Zwar hatte die Staatsanwältin keinen Zweifel daran, dass der Stich mit dem Küchenmesser nicht aus heiterem Himmel kam, sondern dass dem Angriff ein Streit zwischen dem türkischen Angeklagten und einer Kleingruppe von Tunesiern vorausging. Ebenso unstrittig war für die Anklage, dass der Messerstich vom Angeklagten ausging. Da der Stich den Hinterkopf traf, schloss die Staatsanwältin auch Notwehr aus und plädierte auf gefährliche Körperverletzung mit drei Jahren und drei Monaten Haft ohne Bewährung.
Die Verteidigung hob hingegen auf die aus ihrer Sicht dürftige Beweislage ab. Aufgrund der widersprüchlichen Aussagen der Zeugen fehle eine klare Tatbeschreibung. Die Verteidigung hielt die Einlassungen des Angeklagten deshalb für sehr plausibel, wonach er sich nur gegen die Angriffe
der Tunesier wehrte. Dafür spreche auch die einschlägige Vorgeschichte eines Tunesiers, der erst im Sommer 2023 wegen eines Messerangriffs auf einen 16jährigen verurteilt worden sei. Da dem Angeklagten die Tat nicht eindeutig zuzuordnen sei und da er sich in Todesangst befunden habe, sei er freizusprechen.
So musste das Schöffengericht in seinem Urteil entscheiden, ob hier tatsächlich Notwehr vorlag, wie der Angeklagte behauptete und ob er sich nur gegen die Angriffe des Geschädigten und seines Zimmergenossen gewehrt habe. Auch das Gericht hielt einige Zeugenaussagen für widersprüchlich, stützte sich dann aber in seinem Urteil insbesondere auf die Aussage eines Palästinensers, die es für sehr nachvollziehbar und schlüssig hielt, sowie auf die polizeilichen Vernehmungsprotokolle.
Demnach hatte es einen Streit zwischen dem angeklagten Türken
und der Kleingruppe der Tunesier gegeben, in den auch noch ein weiterer, unbekannter und nicht mehr auffindbarer Tunesier involviert war. In dem Streit ging es offenbar um ein Möbelstück, das immer auf dem Balkon vor dem Zimmer der Tunesier stand und nun verschwunden war. Unklar ist, ob die Tunesier den Angeklagten vielleicht sogar ebenfalls mit einem Messer bedrohten. Nachdem sich der Streit zunächst beruhigte, besorgte sich der Angeklagte in seinem Zimmer wohl ein Messer und begab sich zusammen mit anderen Bewohnern des Heimes in eine Halle, die als Aufenthaltsort diente.
Dort f lammte der Streit wieder auf. Als der geschädigte Tunesier dann auf seinen Balkon ging, folgte ihm der Türke und verletzte im Zuge der Meinungsverschiedenheit den Tunesier mit seinem Messer am Hinterkopf so schwer, dass er später in der Notfallversorgung mit vier Nadelstichen genäht werden musste. Zwar war die Verletzung nicht lebensbedrohlich, das Messer war aber bis auf die Schädeldecke gedrungen.
Dennoch ging das Gericht nicht von einer versuchten Tötung aus, sondern glaubte dem Angeklagten, dass er in großer Angst im Affekt gehandelt und den Angriff nicht geplant habe. Erschwerend musste sich der Angeklagte allerdings vorhalten lassen, dass er bereits kurz nach seiner Einreise straffällig geworden und nun schon nach kurzer Zeit rückfällig geworden war. Auch hätte die Tat weit gravierendere Folgen haben können.
Das Gericht verurteilte den Angeklagten daher zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft ohne Bewährung und ordnete die sofortige Fortsetzung der Haft an, da es eine Fluchtgefahr in die Türkei sah. Außerdem muss der Angeklagte die Kosten des Verfahrens tragen. Gegen das Urteil kann er Rechtsmittel einlegen.