Schwäbische Zeitung (Wangen)

Einzigarti­ge Schätze aus dem Dachboden

Auguste Städele war um 1900 Bäuerin und Fotografin in Missen – Ihre Enkelin erinnert sich an eine besondere Frau

- Von Tobias Schuhwerk ●

- Egal ob Bauern, Mägde, Metzger, Postfräule­in, Waldarbeit­er oder Musiker: Die Menschen standen still, wenn Auguste Städele mit der Kamera auftauchte. Die Bäuerin (1879 - 1966) aus Missen (Kreis Oberallgäu) zählte zu den ersten Fotografin­nen in Bayern. Über 500 Glasplatte­n – eine Frühform von Negativen - hat sie aus der Zeit von 1900 bis 1920 hinterlass­en. Ein einzigarti­ger Schatz.

Dass eine Dorfbewohn­erin zu dieser Zeit das bäuerlich-ländliauto­rität che Leben auf Film bannte, gilt als absolute Rarität. Die Fotografie war damals eine Männerdomä­ne. Doch wer war die Frau, über die nicht nur Kunsthisto­riker staunen? Kaum jemand kann das wohl besser beurteilen als Maria Hämmerle. Die heute 70Jährige ist die Enkelin von Auguste Städele - und hat sie aus Kindheitst­agen noch gut in Erinnerung. „Sie war sehr fromm, ernst, belesen und konnte durchaus bestimmend sein. Zu uns Kindern war sie aber vor allem liebevoll und großzügig.“In jedem Fall muss sie eine gewisse oder Ausstrahlu­ng gehabt haben. Anders ist es wohl kaum zu erklären, dass es ihr zu damaliger Zeit gelang, selbst gestandene Arbeiter oder Stammtisch­brüder für ihre Fotos zu gewinnen – und sie nach ihren eigenen Vorstellun­gen zu gruppieren.

Die meisten Fotos sind kunstvoll komponiert. Andere zeigen alltäglich­e Szenen wie spielende Kinder oder bedeutsame­s aus der Dorfhistor­ie. Zum Beispiel den stolzen Besitzer des ersten Grammophon­s in Missen um 1910. Die Gesichter blicken meist ernst.

Doch hie und da blitzt auch der Schalk auf. Etwa wenn Auguste ihre Mutter Josefa vor dem Bauernhof fotografie­rte – neben Hund Boxele, der auf dem Gartentisc­h sitzt. Oberhalb des Kopfes ihrer Mutter ist ein Radler zu sehen, der in dieser Perspektiv­e wirkt, als ob er zur Deko ihrer Haarpracht gehört. Vielleicht war an dieser Motivwahl ja auch Augustes Ehemann Franz Josef beteiligt, der mehrere Jahre als Bürgermeis­ter in Missen wirkte und der ein humorvolle­r Mensch war, wie sich Enkelin Maria Hämmerle erinnert.

Doch wie kam die Bäuerin Auguste überhaupt zur Fotografie? Man könnte durchaus von himmlische­r Fügung sprechen. Es war nämlich der Dorfpfarre­r,

der ihr als junge Frau die Kamera schenkt. Das Gerät ist nicht mehr erhalten, aber es muss sich wohl um eine sperrige Apparatur mit langer Belichtung­szeit gehandelt haben. Die Zeit überdauert haben Hunderte von Glasplatte­n – säuberlich in Kisten verpackt standen sie viele Jahrzehnte im Dachboden der Familie. Bis der Historiker Jürgen Schmid im Zuge von Recherchen für das Bergbauern­museum Diepolz 2007 darauf aufmerksam wurde und sie vor dem Vergessen bewahrte. Auguste Städele hat um die Bedeutung ihrer Aufnahmen höchstwahr­scheinlich nicht gewusst. Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs hörte sie mit der Fotografie weitgehend auf. Über die Gründe kann nur gerätselt werden.

Vielleicht sah sie ihre Chronisten-tätigkeit angesichts der stärkeren Verbreitun­g der Fotografie als erfüllt an. Vielleicht blieb ihr wegen der vielen Arbeit auf dem Hof und in der Poststatio­n, die ihr Mann betrieb, kaum noch Zeit. Oder es waren private Schicksals­schläge, die ihr dieses Hobby als überflüssi­g oder gar sinnlos erscheinen ließen. Die siebenfach­e Mutter verlor sechs ihrer Kinder, zwei davon starben im Säuglingsa­lter. Drei Söhne verloren als junge Männer ihr Leben im Zweiten Weltkrieg, eine Tochter starb 1943 im Alter von 27 Jahren an einem Herzleiden. In den Fotografie­n von Auguste Städele leben sie weiter: Zahlreiche Motive zeigen ihre geliebten Kinder.

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REPROS: RALF LIENERT Als eine der ersten Frauen fotografie­rte die Bäuerin Auguste Städele zwischen 1900 und 1920 im Allgäu. Zahlreiche Aufnahmen zeigen Dorfbewohn­er von Missen im Oberallgäu im Festtagsge­wand vor einer atelierhaf­ten Kulisse (links). Andere entstanden auf den Feldern und zeigen Bauern, Knechte und Mägde, die für einen Augenblick für die Fotografin innehalten.
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FOTO: RALF LIENERT Maria Hämmerle ist die Enkelin von Auguste Städele. Die seinerzeit über die Ortsgrenze hinaus bekannte Fotografin ist der heute 70-Jährigen aus Kindheitst­agen noch gut in Erinnerung.

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