Das Gipfelglück des Matthias Baumann
Chefarzt der Sigmaringer Unfallchirurgie hat in Nepal ein Krankenhaus errichtet
- Alles begann Anfang der 1980-Jahre auf der Zollernalb. Mit seinen Eltern fuhr Matthias Baumann (heute 52) an jedem zweiten Wochenende zum Klettern aus Stuttgart, wo die Familie zu Hause ist, Richtung Albstadt oder ins Donautal. „Sigmaringen, das Ebinger Haus und das Donautal sind deshalb ganz spezielle Orte für mich. Das war schon damals meine zweite Heimat“, erzählt der heutige Chefarzt der Unfallchirurgie, der Orthopädie und Sporttraumatologie an den Kliniken der Stiftung Rehabilitation Heidelberg (SRH) in Sigmaringen.
Damals hätte Baumann, der unter anderem als Verbandsarzt des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) die deutsche Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in Rio und Tokio betreute, wahrscheinlich nicht gedacht, dass es ihn einmal beruf lich ins Hohenzollerische verschlagen würde.
Dem Bergsteigen blieb Baumann während seines Studiums und danach treu. Über die Alpen, auf Drei- und Viertausender, den Mont Blanc und Expeditionen nach Südamerika, wo er zunächst den Ojos del Salado (6893 Meter) bestieg, den höchsten aktiven Vulkan der Erde und den zweithöchsten Gipfel Südamerikas nach dem Aconcagua (6961 Meter). Dieser folgte selbstverständlich später auch, ehe Baumanns Weg zwangsläufig zu den höchsten Bergen der Erde führten – in den Himalaya.
„Mein erster Achttausender war der Cho Oyu – ohne Sauerstoff“, erzählt der Arzt. 2011 und 2014 begleitete er als Mediziner Expeditionen an den Mount Everest. 2011 wollte er selbst den Everest besteigen, kam bis 8650 Meter, musste dann aber umkehren, weil ihm ein Sherpa eine leere Sauerstofff lasche gegeben hatte. Auch 2014 wurde es nichts mit dem angepeilten Gipfelsieg. Stattdessen wurde er Augenzeuge der großen Everestkatastrophe, als bei einem Lawinenabgang im Khumbu-eisfall 16 Sherpas ums Leben kamen.
Baumann stellte sich in den Dienst der Sache und organisierte die Notfallhilfe für die insgesamt 40 Verletzten. „Ich habe zehn Jahre als Notarzt auf einem Rettungshubschrauber gearbeitet“, sagt Baumann. Das habe ihm in dieser Situation geholfen. „Alle 40 haben überlebt“, erzählt er auch ein Jahrzehnt später voller Erleichterung.
In diesen Jahren wuchsen auch Baumanns Gedanken, etwas für die Region tun zu wollen. Für die Menschen, die oftmals ihr Leben riskieren, damit Bergsteiger aus aller Welt auf dem Dach der Welt stehen
können. Ziel nach dem Unglück am Everest mit den 16 toten Sherpas: „Ich wollte humanitäre Hilfe leisten. Da ist etwas passiert. Da kannst du nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“Baumann sammelt Spenden und gründet die Sherpa Nepalhilfe. Als es 2015 zu einem schweren Erdbeben im Himalaya-gebirge kommt, fliegt er erneut nach Nepal und operiert als Unfallchirurg Erdbebenopfer. Im Anschluss engagiert er sich für den Wiederaufbau mehrerer Schulen im Everest-gebiet, unterstützt den Bau eines Brunnens und einer Gemeindehalle. Das größte Projekt aber ist die Errichtung des Himalayan Sherpa Hospital in der Everest-region.
Hintergrund: 1994 hatte Matthias Baumann in Chamonix bei einer Ausbildung zum Bergführer im Mont-blanc-gebiet den Nepalesen Pemba Sherpa kennengelernt. Im fernen Nepal wartete die Familie, darunter der gerade geborene Sohn Passang. „Der Kontakt zu Pemba ist nie abgerissen“, erzählt Baumann. Pemba Sherpa wurde Bürgermeister in dem Ort, in dem das Edmund-hillary-krankenhaus stand. „Sein Sohn Passang besuchte dort die Edmund-hillary-schule und sagte schon als kleiner Junge: Ich will unbedingt Arzt werden“, erzählt Baumann die Geschichte, die auch aus einem Hollywooddrehbuch stammen könnte.
In den Jahren nach dem Erdbeben in Nepal nimmt der Plan, das Krankenhaus zu errichten, immer weiter Gestalt an. Baumann sammelt Geld, über die Jahre rund 650.000 Euro. „Es reicht aber auch nicht, einfach Geld für die Projekte dort zu sammeln. Du musst auch dafür sorgen, dass das Geld sinnvoll eingesetzt wird. Und am wichtigsten ist nun mal die Ausbildung der Kinder“, schildert Baumann. Im Fall des Krankenhauses haben Baumann und seine Organisation immer wieder mit Hürden zu kämpfen. Eine davon war Corona. „Das hat uns fast zweieinhalb Jahre gekostet, da es während der Corona-pandemie einen Baustopp gab“, erzählt Baumann. Doch fünfeinhalb Jahre nach Baubeginn, im Herbst 2022, ist es endlich so weit: Das Krankenhaus wird am 4. November eröffnet.
Die Klinik ist die medizinische Basisversorgung für die Menschen vor Ort in 3000 Metern Höhe. Versorgt werden Infektionen und Knochenbrüche und Verbrennungen. Es werden Kinder zur Welt gebracht. „Es gibt 15 Betten, die Einheimischen zahlen einen symbolischen Dollar für die Behandlung“, sagt Baumann. Das Krankenhaus liegt auf dem Weg zum Everest-basislager, deshalb wird dort auch der eine oder andere Tourist versorgt. Zum Personal gehören neben dem Arzt zwei Krankenschwestern,
ein Koch, zwei Verwaltungsmitarbeiter und der Bauleiter, der weiter nach dem Rechten schaut. Außerdem können Ärzte, Krankenschwestern, Pf leger, Physio- oder Ergotherapeuten aus Deutschland für ein paar Wochen das Team komplettieren. „Die Nepalesen sollen das Krankenhaus betreiben, durch den Austausch mit anderen soll Wissen transferiert werden“, sagt Matthias Baumann.
Seine gesamte Familie ist bei der Eröffnungszeremonie dabei. Die Geschichte wäre an dieser Stelle eigentlich schon perfekt. Richtig rund wird sie aber durch eine ganz besondere Wendung. An der Eröffnung nimmt auch Baumanns langjähriger Freund Pemba Sherpa teil – und dessen Sohn Passang Sherpa. Denn der lebt inzwischen seinen Kindheitstraum. „Passang hat seinen Schulabschluss gemacht, hat auf den Philippinen Medizin studiert und ist als Assistenzarzt nach Nepal zurückgekehrt“erzählt Baumann. Heute ist Passang Arzt im Himalayan Sherpa Hospital.
Somit sind gleich zwei Träume wahr geworden: Der eines Arztes aus Deutschland, mit einem Faible für die hohen Berge der Welt, in einer der ärmsten, aber wohl landschaftlich schönsten Regionen der Welt helfen zu können. Und der eines kleinen Jungen aus der Everest-region.