Wie Wangen zu seiner Landesgartenschau kam
Erst gescheitert, dann lange gewartet – Der lange Weg zu einem Jahrhundertereignis
- 2024 ist für Wangen ein besonderes Jahr. Denn am 26. April – und damit in exakt 100 Tagen – öffnet die Landesgartenschau ihre Pforten. Für die Stadt beginnt damit ein noch nie dagewesenes Jahrhundertereignis – und das dürfte so ziemlich jedem in der Bevölkerung klar sein. Auch im Umland, handelt es sich doch um die erste Veranstaltung dieser Art im Landkreis Ravensburg und in der Region. Aber wer weiß eigentlich noch, wie es dazu kam? Weshalb die Stadt mit ihrer Bewerbung einmal scheiterte, einmal in einer nervenaufreibenden Warteschleife hing – und warum genau das aus heutiger Sicht ein Glücksfall gewesen sein dürfte? Ein Rückblick.
Gesperrte Gehwege hier, hohe Kräne dort und neu gemachte Straßen wieder anderswo: Dass sich in Wangen 2024 Großes tut, ist erst in den vergangenen Jahren wirklich sichtbar geworden. Dann nämlich als die Vorbereitungen für die Landesgartenschau in die heiße Phase gingen und weit mehr als nur das eigentliche Veranstaltungsgelände herausgeputzt wird.
Diese – für viele mitunter natürlich ärgerlichen – Bauarbeiten markieren aber nur den Endpunkt einer langen Entwicklung hin zum 26. April 2024, hin zum Eröffnungstag der Landesgartenschau. Denn eigentlich beginnt die Geschichte schon rund um die Jahrtausendwende.
Damals, genauer im Jahr 2002, hatte sich die Stadt Wangen erstmals darum beworben, eine Landesgartenschau ausrichten zu dürfen. Zusammen mit Leutkirch und Isny hatte man darauf gehofft, den Zuschlag zu erhalten. Doch die drei Städte des Käsedreiecks wurden enttäuscht. Anders als heute vergab das Land seinerzeit Gartenschauen immer nur an eine Stadt – und nicht an mehrere gleichzeitig. „Die Zeit war dafür noch nicht reif“, glaubt Wangens Oberbürgermeister Michael Lang im Rückblick.
Wegen der Absage landete die Flinte aber nicht im buchstäblichen Korn, vielmehr war sie in Wangen Ansporn, es erneut zu versuchen – dieses Mal allein. Den Anstoß aus städtischer Sicht gab ein Besuch Langs in Bamberg im Jahr 2005, der Ausrichterstadt der bayerischen Landesgartenschau im Jahr 2012.
Deren Konzept sah vor, im Zuge der Großveranstaltung eine Industriebrache wiederzubeleben – und dabei handelte es sich um einen weiteren Standort eben jener, in Bamberg wie in Wangen längst geschlossenen Baumwollspinnerei des Anfang der 1990erjahre in die Pleite gerutschten Unternehmens Erba. „Da habe ich gedacht, das könnte eine Chance sein, auch die Erba in Wangen zu beleben“, erinnert sich Lang an seinen Besuch.
Deshalb passte es gut, dass der zwischenzeitlich Eigentümer der Industriebrache, die Sparkasse Erlangen, 2009 schließlich bereit war, Gelände und Gebäude zu verkaufen. Zuerst sicherte sich die Stadt dank eines Vorkaufsrechts die Wasserkraftanlage, mit dem Ziel sie wieder instand zu setzen.
Schwieriger gestaltete sich der Erwerb der eigentlichen Erba. Michael Lang erzählt im Rückblick: Zwischen einem privaten Investor und der Erlanger Sparkasse gab es bereits unterschriftsreife Verträge. Als der Deal dennoch scheiterte, stieg die Stadt Wangen für den Betrag von 3,5 Millionen Euro in den Vertrag ein.
Da passte es mehr als gut, dass in Baden-württemberg die Vergabe künftiger Landesgartenschauen anstand und die Stadt parallel an ihrer neuerlichen Bewerbung gearbeitet hatte – mit der Wiederbelebung alten Erba als Grundidee und zentralem Element. Und die Verantwortlichen ließen sich schon für die Abgabe des Schreibens etwas Besonderes einfallen.
„Wir wollten nicht einfach Papier nach Stuttgart schicken“, erzählt Wirtschaftsförderer Holger Sonntag. Er hatte an eben diesem Papier zuvor über Monate hinweg mitgeschrieben und war dabei, als man die Unterlagen in der Landeshauptstadt abgab – in einer Kiste, die außerdem mit Erzeugnissen aus dem Allgäu gefüllt war.
Diese persönliche Note sollte Eindruck machen – und mehr noch der Besuch der Bewerbungskommission am 2. Juli 2009. Sie bestand aus Fachleuten, die an diesem Tag mehrere der 41 Mitbewerberstädte um eine der kommenden Landesgartenschauen und Wangen selbst besuchte. „Da wollten wir zeigen: Uns ist es ernst“, sagt Michael Lang.
Deshalb zog die Stadt diverse Register: Mitarbeiterinnen des Modellbauunternehmens Noch hatten im Vorfeld des großen Tags freiwillig und in diversen Zusatzwie auch Nachtschichten die Erba und das Landesgartenschaugelände im Miniaturformat liebevoll so gestaltet, wie man sich damals eine Landesgartenschau in der Stadt vorstellte. Zusätzlich
wurden Bürger und Vereine mobilisiert, um zu zeigen: „Wangen steht hinter der Bewerbung.“Das dokumentierte überdies die heimische Wirtschaft, die Sonderseiten in der „Schwäbischen Zeitung“schaltete.
„Wir haben nichts dem Zufall überlassen“, erinnert sich Holger Sonntag, und deshalb wurde der 2. Juli 2009 minutiös geplant. Die Jury sei bewusst nicht im Rathaus empfangen worden, sondern direkt auf dem Erba-gelände. Dort präsentierte man ihr neben dem Modell der Noch-beschäftigten per kranartigem Gerät auch die Vogelperspektive auf das weitläufige Gelände, auf dem ab dem 26. April mit rund 40 Hektar eine der flächenmäßig größten Landesgartenschauen Badenwürttembergs stattfinden wird. Sie erstreckt sich von der Altstadt, entlang der Argen bis zum ehemaligen Erba-gelände und darüber hinaus.
Mehr noch: Während die Jury an jenem brütend heißen Julitag anschließend Richtung Stadt marschierte, transportierte der Bauhof das Schau-modell in aller Eile auf den Marktplatz. Denn dort begrüßte eine große Bürgerschar das Expertengremium, das zuvor übrigens „ganz zufällig“etwa an trainierenden Jugendfußballern, Honig verkostenden Imkern oder dem gerade aktiven Sensenverein vorbei gekommen war, so Holger Sonntag augenzwinkernd.
Der 2. Juli ging und es begann die Zeit des Wartens. Monate verstrichen, ehe das Land seine Entscheidung bekannt gab: Die Landesgartenschau 2016 ging an Öhringen, jene im Jahr 2018 an Lahr und für eine dritte, im Jahr 2020, erhielt Überlingen den Zuschlag.
„Das war ein Schock“, sagt Michael Lang im Nachgang. Schließlich hatte Wangen sich für 2016 beworben – und war weder für diesen Termin berücksichtigt worden noch für die beiden nachfolgenden. „Ich war sehr, sehr enttäuscht“, erinnert der OB sich an seine damalige Gemütslage.
Doch es gab noch Hoffnung: Denn der aufgrund der Empfehlung der Bewerbungskommission letztlich entscheidende Ministerrat hatte die Vergaben für 2022 und 2024 offen gelassen. Also begann erneut eine Zeit des Wartens und damit eine, in der der damalige Landtagsabgeordnete Paul Locherer (CDU) ins Spiel kam. Das Stadtoberhaupt ist dem Amtzeller heute noch dankbar, dass er sich in Stuttgart für Wangen stark gemacht habe.
Und der bestätigt: „Es war ein großer Einsatz nötig.“Zumal es an der Spitze der damaligen Regierungskoalition von CDU und FDP genau in dieser Phase einen Wechsel gab: Auf Günther Oettinger folgte Stephan Mappus als Ministerpräsident. Und damit gab es zusätzliche Unsicherheit, die Michael Lang aus heutiger Sicht als „dramatisch“ansieht: „Bei Oettinger wusste ich, dass er eigentlich auf unserer Seite ist, Mappus war eine ganz andere Persönlichkeit.“
Paul Locherer erinnert sich ebenfalls gut an jene Zeit, an Gesprächen mit den Regierungsfraktionen, mit Ministern und Beschäftigten in der Landesverwaltung. „Wir haben auf Wangens gute Bewerbung hingewiesen“, sagt er und meint mit „wir“auch seinen Landtagskollegen Rudi Köberle (CDU) aus dem Ravensburger Nachbarwahlkreis. Beide hätten sie „hinter den Kulissen viele Fäden gezogen, um Wangen auf dem Spielfeld zu lassen“, weil sie um die Bedeutung einer Landesgartenschau für die ganze Region wussten.
Der Einsatz vor und hinter den Kulissen lohnte sich am Ende. Denn dann kam der 23. Juni 2010 und damit jener Tag, an dem endlich auch die Entscheidung über die Landesgartenschauen 2022 und 2024 bekannt gegeben wurde. Sie gingen nach Neuenburg am Rhein und – letztlich dann doch – nach Wangen im Allgäu.
„Das war ein echter Glücksmoment, ein Gefühl wie ein ganz großes Geschenk und eine riesige Erleichterung“, erinnert sich Michael Lang zurück an den Moment, als er vom Zuschlag erfuhr. Der Kauf der Erba, jahrelange Vorarbeit und die ganze Akribie hatten sich am Ende gelohnt.
Hängepartien, politische Wechsel sowie der Kampf hinter den Kulissen spielten hingegen auf einmal keine Rolle mehr – und doch haben sie immer noch Bedeutung. Denn im Rückblick steht fest: Eine frühere Landesgartenschau wäre ganz anders und mindestens eine Nummer kleiner
ausgefallen als sie es in rund drei Monaten tun wird. „Die Erba wäre bis 2016 nie fertig geworden“, ist Michael Lang heute überzeugt. Sie wäre also kein Bestandteil des Geländes geworden – und schon gar nicht ein thematisches Zentrum, in dem Industriegeschichte, Stadtentwicklung mit Wohnen und Arbeiten sowie die Gestaltung der Landschaft miteinander verbindbar gewesen wäre.
Vielleicht, so glaubt man inzwischen im Rathaus, hat die Bewerbungskommission genau das an jenem heißen 2. Juli 2009 erkannt. Erkannt, dass Wangen viel Zeit braucht, um sich auf „seine“Landesgartenschau richtig vorzubereiten. Holger Sonntag formuliert es so: „Wir hatten damals alle nicht das Gefühl dafür, wie groß das ist. Heute muss man froh sein, dass die Jury diese Herausforderung sah.“