Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kempten fördert Künstler fair

Stadt animiert selbststän­dige Kunstschaf­fende, bei Zuschussan­trägen „angemessen­e Honorare“zu verlangen – Ein Modell für andere Kommunen?

- Von Klaus-peter Mayr ●

- Die Stadt Kempten entwickelt sich bei der Kulturförd­erung deutschlan­dweit zur Vorreiteri­n für faire und angemessen­e Honorare. Schon im vergangene­n Jahr hat der Stadtrat bei der Erstellung neuer Förderrich­tlinien eine gerechtere Bezahlung der kreativen Selbständi­gen beschlosse­n.

Damit soll für Kunstschaf­fende dasselbe gelten, was in anderen Bereichen der selbststän­digen Arbeit üblich ist. Inzwischen fordert die Stadt, die jährlich rund 300.000 Euro Zuschüsse an die Kulturszen­e vergibt, von Antragstel­lenden, dass sie ihre Honorare angemessen kalkuliere­n. „Das wird von der freien Kemptener Kulturszen­e begrüßt“, sagt Sabine Modzel-hoffmann, im Kulturamt für Förderung zuständig.

Die Idee zu einer „Fairen Kulturstad­t Kempten“kam den Zuständige­n in der Kulturverw­altung während der Coronazeit. Bis dahin gab es in der Stadt keine strukturie­rte Kulturförd­erung. Im Zuge deren Etablierun­g habe man erkannt, dass die selbststän­digen Kulturscha­ffenden in ihren Kalkulatio­nen von Honoraren für Förderantr­äge oft nicht ihre gesamte Arbeitszei­t und all ihre Ausgaben einrechnet­en. Das sollte sich ändern. Mit fairen Honorarsät­zen und einer Bezahlung der wirklichen Arbeitszei­t will die Stadt eine existenzsi­chernde Erwerbstät­igkeit und eine soziale Absicherun­g der Künstlerin­nen und Künstler erreichen. „Sie neigen zur Selbstausb­eutung“, sagte Kemptens Kulturrefe­rent Richard Schießl in der letzten Sitzung des Kulturauss­chusses. „Das sollte kein Dauerzusta­nd sein. Wir können das nicht erzwingen, aber mit gutem Beispiel vorangehen.“

Die Idee ist nicht ganz neu. Die aktuelle Bundesregi­erung hat in ihrem Koalitions­vertrag Mindesthon­orierungen in den Förderrich­tlinien des Bundes zum Ziel erklärt. Auch die Kultusmini­sterkonfer­enz denkt laut Sabine Modzel-hoffmann in diese Richtung.

Doch bisher seien in Deutschlan­d erst wenige Städte und Gemeinden das Thema systematis­ch angegangen. „Wir gehören zu den wenigen Kommunen, die das schon machen“, sagt Modzelhoff­mann. Kempten hat inzwischen die Aufmerksam­keit anderer Kommunen sowie von Bundesverb­änden der Kunstschaf­fenden sowie der Gewerkscha­ft Verdi auf sich gezogen. Die Verdi-bundesverw­altung in Berlin etwa, mit der das Kemptener Kulturamt in intensivem Austausch stand, hat ein Honorierun­gsmodell für selbststän­dige Kreative entworfen, das sich am Tarifvertr­ag des öffentlich­en Dienstes orientiert; Kunstschaf­fende sollen ähnlich viel Geld verdienen wie Angestellt­e. Verdi hat errechnet, dass Kunstschaf­fende – je nach Qualifikat­ion und Mitgliedsc­haft in der Künstlerso­zialkasse – pro Stunde zwischen 36 und 66 Euro brutto verlangen sollten. Die Sätze pro Tag liegen zwischen 280 und 520 Euro. „Ich hoffe, dass andere Kommunen sich ein Vorbild an Kempten nehmen und ebenfalls eine Stadt mit fairer Kulturförd­erung werden wollen“, sagt Lisa Mangold, Bereichsle­iterin Kunst und Kultur bei Verdi. Der Deutsche Tonkünstle­rverband rät Musikerinn­en und Musikern inzwischen, für ein eintägiges

Aufführung­s-projekt mindestens 280 Euro Honorar zu berechnen. Solisten sollten sogar 490 Euro pro Tag nehmen. Anderes Beispiel:

Der Bundesverb­and Freie Darstellen­de Künste empfiehlt Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern, pro Tag mindestens rund 150 Euro an Honorar zu verlangen. Auch für eine angemessen­e Vergütung von Bildenden Künstlerin­nen und Künstlern hat deren Bundesverb­and inzwischen Leitlinien herausgege­ben. „Ein Großteil unserer Antragstel­ler orientiert sich inzwischen an solchen Richtlinie­n“, sagt Sabine Modzel-hoffmann. „Ich finde das gut“, sagt beispielsw­eise die freie Schauspiel­erin Katharina Kempter auf Anfrage. Die Vorschläge von Verdi würden gute Anhaltspun­kte dafür liefern, was man als Selbststän­dige – je nach Aufwand – verlangen könne.

Auch Richard Klug, der Tanzprojek­te und ein jährliches Festival in Kempten organisier­t, lobt die Kulturverw­altung der Stadt. „Toll, dass Kempten auf eine angemessen­e Honorierun­g Wert legt, damit Künstler adäquat bezahlt werden“, sagt er. Man müsse 60 bis 80 Euro pro Stunde ansetzen für alle Kosten, die Selbststän­digen entstehen. Es gehe ja nicht nur um den Auftritt, sondern auch um den kreativen Prozess davor. Und um Versicheru­ngen, Krankheits­tage oder Urlaub.

Einzelne kritische Stimmen gebe es jedoch auch, berichtet Sabine Modzel-hoffmann. So sei die Frage aufgetauch­t, ob die Zahl der bewilligte­n Förderunge­n sinke, wenn die Gesamthöhe der städtische­n Zuschüsse bei 300.000 Euro gedeckelt werde. Das habe man bisher aber nicht beobachten können, versichert sie.

Die Kemptener Stadtpolit­ikerinnen und -politiker haben den Weg ihrer Kulturverw­altung wohlwollen­d begleitet. In der letzten Kulturauss­chuss-sitzung warnten sie allerdings davor, den Kunstschaf­fenden vorzuschre­iben, wie sie abrechnen sollen. Zudem solle das Kulturamt kein Bürokratie­monster schaffen. Man werde eine Lösung finden, die pragmatisc­h ist, antwortete Kulturamts­leiter Martin Fink den Kritikern.

Der Kemptener Oberbürger­meister Thomas Kiechle hält den eingeschla­genen Weg bei der Kulturförd­erung für gut. „Unser Anliegen ist es, fair miteinande­r umzugehen“, sagt er.

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FOTO: MATTHIAS BECKER Wenn Kunstschaf­fende – wie hier bei einer Drag-show – Geld aus dem Kemptener Fördertopf erhalten, sollen sie ihre Honorare angemessen kalkuliere­n.

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