Kempten fördert Künstler fair
Stadt animiert selbstständige Kunstschaffende, bei Zuschussanträgen „angemessene Honorare“zu verlangen – Ein Modell für andere Kommunen?
- Die Stadt Kempten entwickelt sich bei der Kulturförderung deutschlandweit zur Vorreiterin für faire und angemessene Honorare. Schon im vergangenen Jahr hat der Stadtrat bei der Erstellung neuer Förderrichtlinien eine gerechtere Bezahlung der kreativen Selbständigen beschlossen.
Damit soll für Kunstschaffende dasselbe gelten, was in anderen Bereichen der selbstständigen Arbeit üblich ist. Inzwischen fordert die Stadt, die jährlich rund 300.000 Euro Zuschüsse an die Kulturszene vergibt, von Antragstellenden, dass sie ihre Honorare angemessen kalkulieren. „Das wird von der freien Kemptener Kulturszene begrüßt“, sagt Sabine Modzel-hoffmann, im Kulturamt für Förderung zuständig.
Die Idee zu einer „Fairen Kulturstadt Kempten“kam den Zuständigen in der Kulturverwaltung während der Coronazeit. Bis dahin gab es in der Stadt keine strukturierte Kulturförderung. Im Zuge deren Etablierung habe man erkannt, dass die selbstständigen Kulturschaffenden in ihren Kalkulationen von Honoraren für Förderanträge oft nicht ihre gesamte Arbeitszeit und all ihre Ausgaben einrechneten. Das sollte sich ändern. Mit fairen Honorarsätzen und einer Bezahlung der wirklichen Arbeitszeit will die Stadt eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit und eine soziale Absicherung der Künstlerinnen und Künstler erreichen. „Sie neigen zur Selbstausbeutung“, sagte Kemptens Kulturreferent Richard Schießl in der letzten Sitzung des Kulturausschusses. „Das sollte kein Dauerzustand sein. Wir können das nicht erzwingen, aber mit gutem Beispiel vorangehen.“
Die Idee ist nicht ganz neu. Die aktuelle Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag Mindesthonorierungen in den Förderrichtlinien des Bundes zum Ziel erklärt. Auch die Kultusministerkonferenz denkt laut Sabine Modzel-hoffmann in diese Richtung.
Doch bisher seien in Deutschland erst wenige Städte und Gemeinden das Thema systematisch angegangen. „Wir gehören zu den wenigen Kommunen, die das schon machen“, sagt Modzelhoffmann. Kempten hat inzwischen die Aufmerksamkeit anderer Kommunen sowie von Bundesverbänden der Kunstschaffenden sowie der Gewerkschaft Verdi auf sich gezogen. Die Verdi-bundesverwaltung in Berlin etwa, mit der das Kemptener Kulturamt in intensivem Austausch stand, hat ein Honorierungsmodell für selbstständige Kreative entworfen, das sich am Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes orientiert; Kunstschaffende sollen ähnlich viel Geld verdienen wie Angestellte. Verdi hat errechnet, dass Kunstschaffende – je nach Qualifikation und Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse – pro Stunde zwischen 36 und 66 Euro brutto verlangen sollten. Die Sätze pro Tag liegen zwischen 280 und 520 Euro. „Ich hoffe, dass andere Kommunen sich ein Vorbild an Kempten nehmen und ebenfalls eine Stadt mit fairer Kulturförderung werden wollen“, sagt Lisa Mangold, Bereichsleiterin Kunst und Kultur bei Verdi. Der Deutsche Tonkünstlerverband rät Musikerinnen und Musikern inzwischen, für ein eintägiges
Aufführungs-projekt mindestens 280 Euro Honorar zu berechnen. Solisten sollten sogar 490 Euro pro Tag nehmen. Anderes Beispiel:
Der Bundesverband Freie Darstellende Künste empfiehlt Schauspielerinnen und Schauspielern, pro Tag mindestens rund 150 Euro an Honorar zu verlangen. Auch für eine angemessene Vergütung von Bildenden Künstlerinnen und Künstlern hat deren Bundesverband inzwischen Leitlinien herausgegeben. „Ein Großteil unserer Antragsteller orientiert sich inzwischen an solchen Richtlinien“, sagt Sabine Modzel-hoffmann. „Ich finde das gut“, sagt beispielsweise die freie Schauspielerin Katharina Kempter auf Anfrage. Die Vorschläge von Verdi würden gute Anhaltspunkte dafür liefern, was man als Selbstständige – je nach Aufwand – verlangen könne.
Auch Richard Klug, der Tanzprojekte und ein jährliches Festival in Kempten organisiert, lobt die Kulturverwaltung der Stadt. „Toll, dass Kempten auf eine angemessene Honorierung Wert legt, damit Künstler adäquat bezahlt werden“, sagt er. Man müsse 60 bis 80 Euro pro Stunde ansetzen für alle Kosten, die Selbstständigen entstehen. Es gehe ja nicht nur um den Auftritt, sondern auch um den kreativen Prozess davor. Und um Versicherungen, Krankheitstage oder Urlaub.
Einzelne kritische Stimmen gebe es jedoch auch, berichtet Sabine Modzel-hoffmann. So sei die Frage aufgetaucht, ob die Zahl der bewilligten Förderungen sinke, wenn die Gesamthöhe der städtischen Zuschüsse bei 300.000 Euro gedeckelt werde. Das habe man bisher aber nicht beobachten können, versichert sie.
Die Kemptener Stadtpolitikerinnen und -politiker haben den Weg ihrer Kulturverwaltung wohlwollend begleitet. In der letzten Kulturausschuss-sitzung warnten sie allerdings davor, den Kunstschaffenden vorzuschreiben, wie sie abrechnen sollen. Zudem solle das Kulturamt kein Bürokratiemonster schaffen. Man werde eine Lösung finden, die pragmatisch ist, antwortete Kulturamtsleiter Martin Fink den Kritikern.
Der Kemptener Oberbürgermeister Thomas Kiechle hält den eingeschlagenen Weg bei der Kulturförderung für gut. „Unser Anliegen ist es, fair miteinander umzugehen“, sagt er.