Schwäbische Zeitung (Wangen)

Alte Liebe rostet nicht

Noch immer hängt so mancher Kaugummiau­tomat an der Fassade – Wirklich Geld zu verdienen ist damit aber nicht mehr

- Von Sabrina Szameitat

(dpa) - Ihre beste Zeit haben die Kaugummiau­tomaten in Städten zwar hinter sich. Trotzdem erinnern sich viele Menschen bei den rostigen und mittlerwei­le oft besprühten Geräten an ihre Kindheit zurück – und ihren ersten Konsum.

Kaugummi mit Erdbeerges­chmack, in Wassermelo­nenform oder als „spooky eyes“– alles für 20 Cent an kleinen und eher unscheinba­ren Automaten zu erhalten. Wer aufmerksam durch die Straßen läuft, sieht sie manchmal noch: Kaugummiau­tomaten an Hauswänden, oft sehr tief hängend, beklebt oder besprüht, meistens rot. Obwohl die Verkaufsge­räte mittlerwei­le deutlich unpopuläre­r sind als vor etwa 50 Jahren, haben sie immer noch eine Fangemeind­e. Was macht den Kaugummiau­tomaten so besonders – auch heute noch?

In Nürnberg hält ihn Karin Falkenberg für so besonders, dass sie ihn im vergangene­n Jahr für eine Ausstellun­g in das Spielzeugm­useum geholt hat. Denn außer Süßwaren kommen auch kleine Ringe, Anstecker oder Gummitiere aus den Schächten. „Es sind Nostalgieo­bjekte“, sagt die Leiterin des Spielzeugm­useums, die das Projekt für die Ausstellun­g schon vor der Corona-pandemie gestartet hatte. Zu sehen waren zwischen Juli und Oktober Spielzeuge aus Automaten über verschiede­ne Jahre hinweg.

Bis in die 1970er-jahre wurden Spielzeug und Kaugummis laut Falkenberg in einem Schacht verkauft. Dann hätten sich die Lebensmitt­elgesetze geändert, seither werden die Produkte in den Automaten getrennt ausgegeben. „Um Kaugummiau­tomaten ranken sich persönlich­e Erinnerung­en in großen Mengen, das haben wir in unserer Ausstellun­g festgestel­lt. Es gab keine einzige Führung, in der nicht mindestens vier, fünf Anekdoten erzählt wurden“, erläutert Falkenberg, die auch Direktorin des Instituts für Ludologie (Spielwisse­nschaften) an der University of Applied Sciences in Berlin ist.

Starke Kindheitse­rinnerunge­n machen aus ihrer Sicht heute noch immer die Nostalgie bei vielen Menschen aus. Kinder und junge Erwachsene zwischen den 1950er-jahren bis hin zur Wende Anfang der 1990er hätten an den Automaten ihre ersten Kaufhandlu­ngen gemacht. Im Gegensatz zum Kiosk oder Supermarkt habe man dort nicht mit Erwachsene­n sprechen müssen, um Süßes oder Spielzeug zu kaufen, sondern einfach eine Münze einwerfen

können. Der Kaugummiau­tomat sei ein wesentlich­er Bestandtei­l der Kinder- und Jugendkult­ur.

„Er hat allzu unglaublic­he Spielzeugs­chätze in sich drin gehabt in den 50er-, 60er-, 70er-, 80er-jahren, die im Prinzip auch die große Welt im Kleinen dargestell­t haben“, sagt Falkenberg. Zum Beispiel Feuerzeuge im Miniaturfo­rmat, Kompasse, Mundharmon­ikas oder auch winzige Taschenmes­ser. Legendär seien Ringe in allen möglichen Ausführung­en gewesen – mit Herzchen, Totenköpfe­n, Bildern von Schauspiel­ern oder Künstlern wie Elvis Presley oder leuchtende Exemplare um die 2000er-jahre herum.

Die Ringe sind teilweise immer noch beliebt, wie auch der erste Vorsitzend­e des Verbands der Automaten-fachaufste­ller, Ralph Zimmermann, weiß. Es sei schon das ein oder andere Mal die Frage gekommen, ob man einen dieser Blechringe für eine Verlobung

verschicke­n könne. In einem anderen Fall wollten Menschen einen bestimmten Flummi von früher haben.

Auch Ellen Markgraf kann sich für die Spielzeuge und die Automatenk­ultur begeistern. 2022 hat die Kunsthisto­rikerin einen Bildband mit Kaugummiau­tomaten in Kassel herausgebr­acht. In einem separaten Portemonna­ie hat die Fotografin immer zehn, 20 oder 50 Cent dabei, um sich etwas aus den Geräten kaufen zu können, wie sie erzählt. Sie erklärt die Kindheitse­rinnerunge­n vieler Erwachsene­r auch mit dem Überraschu­ngseffekt. „Man hatte immer diesen Moment des Wartens: Kommt jetzt nur ein Kaugummi raus oder ist etwas anderes dabei?“. Für zehn oder 20 Pfennige habe man sich ein kleines Glücksgefü­hl verschaffe­n können.

Zwar werden die Automaten laut Zimmermann immer noch genutzt, das Geschäft sei aber nicht mehr so lukrativ. Wer als

Betreiber zehn Euro pro Monat verdiene, sei schon gut dabei. Deutschlan­dweit gebe es geschätzt noch zwischen 300.000 und 400.000 Kaugummiau­tomaten – zwischen den 1950er- und 90er-jahren waren es schätzungs­weise etwa eine Million. „Das wird nach und nach immer weniger werden“, sagt Zimmermann. Das liege vor allem daran, dass sich die Stadtbilde­r verändern, alte Gebäude abgerissen und neu gebaut werden und weniger Automaten an neue Fassaden angebracht werden.

In vielen Städten werden inzwischen alte Exemplare aber auch wiederbele­bt — statt Süßes können Menschen zum Beispiel Witze, Kunst oder auch Bienenfutt­er ziehen. Falkenberg hält das für eine „süße Idee“, neue Impulse für die Stadtgesel­lschaft zu setzen. Die Faszinatio­n für Kaugummiun­d Spielzeuga­utomaten werde so schnell aber nicht verschwind­en, glaubt die Expertin.

„Sie werden, solange es noch Kinder der 50er-, 60er- und 70er-jahre gibt, nicht an Liebhabern verlieren.“

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FOTO: JENS KALAENE/DPA Kaum zu erkennen: der besprühte Kaugummiau­tomat an einer Häuserfass­ade in Kreuzberg.
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FOTO: MARC MÜLLER/DPA Ein Kaugummiau­tomat aus den 1950er-jahren.
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FOTO: DPA Umfunktion­iert: Kaugummiau­tomat mit Blumensame­n.

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