Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bundesregi­erung fürchtet „Materialsc­hlacht“

Deutschlan­d drängt Eu-partner zu mehr Hilfen für die Ukraine

- Von Andreas Becker und Agenturen

- Wenn der Europäisch­e Rat am Ende dieser Woche in Brüssel zusammenko­mmt, wird auf Initiative Deutschlan­ds das Thema Waffenlief­erungen für die Ukraine einer der Tagesordnu­ngspunkte sein. Das hat Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin angekündig­t. Bundeskanz­ler Olaf Scholz habe in den vergangene­n drei Wochen intensiv mit europäisch­en Staatschef­s sowie mit der Spitze der Eu-kommission telefonier­t, um die Dringlichk­eit der Waffenlief­erungen anzumahnen, betonte Hebestreit.

Nachdem der Kanzler zu Beginn des Krieges in der Ukraine von Teilen der deutschen und auch der europäisch­en Öffentlich­keit für seine Zurückhalt­ung bei Waffenlief­erungen Kritik einstecken musste, hat sich Scholz mittlerwei­le offensicht­lich zum Antreiber gewandelt. Dies lässt sich mit Zahlen belegen: Laut aktuelle Daten des Statistik-portals Statista sind die USA der mit Abstand größte Unterstütz­er der Ukraine – gemessen im Zeitraum zwischen dem 24. Januar 2022 und dem 31. Oktober 2023. Dabei haben die USA bisher rund 71 Milliarden Euro an bilaterale­r Unterstütz­ung geleistet, davon etwa 43,9 Milliarden Euro in Form militärisc­her Unterstütz­ung, 25 Milliarden Euro in Form finanziell­er Unterstütz­ung und rund 2,6 Milliarden Euro in Form humanitäre­r Hilfe. Deutschlan­d ist ohne den deutschen Anteil an der Euhilfe mit rund 21 Milliarden Euro der zweitgrößt­e Unterstütz­er.

Der deutsche Anteil an den europäisch­en Hilfen für die Ukraine summierte sich bis Ende Oktober 2023 auf 17,3 Milliarden Euro, sodass sich die deutsche Gesamtunte­rstützung auf über 38 Milliarden Euro summiert. Die EU als

Staatenbun­d hat bisher Unterstütz­ungen in Höhe von etwa 77 Milliarden Euro geleistet.

Hebestreit sieht Scholz zwar explizit nicht in der Rolle des Antreibers, macht aber deutlich, dass Deutschlan­d mehr als die Hälfte dessen zahlt, was andere Eu-länder zusammen leisten. Auch im bundesdeut­schen Haushalt 2024 seien bereits weitere 7,4 Milliarden Euro für Waffenlief­erungen vorgesehen. „Es ist eine Materialsc­hlacht, die noch eine ganze Weile andauern könnte“, sagte der Regierungs­sprecher. Für Deutschlan­d sei seit Beginn des Krieges wichtig, kontinuier­lich und zuverlässi­g zu liefern. Hebestreit wollte hinsichtli­ch von ausbleiben­den Waffenlief­erungen anderer europäisch­er Länder nicht von Kriegsmüdi­gkeit sprechen, meinte aber vielsagend: „In vielen Eu-staaten gibt es Debatten über Waffenlief­erungen, doch wenn es dann wirklich konkret wird, wird es auch schwierige­r.“

In dem Zusammenha­ng wies der Regierungs­sprecher auch auf die innenpolit­ische Situation in den USA hin. Dort gibt es kontrovers­e Auseinande­rsetzungen, ob weiterhin Waffen in die Ukraine geliefert werden. Vor dem Hintergrun­d, dass möglicherw­eise in absehbarer Zeit ein Donald Trump, der Waffenlief­erungen in die Ukraine eher ablehnt, wieder das Zepter im Weißen Haus schwingen könnte, stellte Hebestreit klar: „Europa muss sich massiv aufstellen, um die Ukraine zu unterstütz­en.“

Lob für Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) äußerte unterdesse­n der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj. Scholz habe die Absichten und Ziele von Kremlchef Wladimir Putin inzwischen klar erkannt, sagte Selenskyj am Sonntagabe­nd in einem Interview mit der Ard-moderatori­n Caren Miosga in deren Talkshow. „Er hat verstanden, dass Putin nicht nur ein Name ist, sondern eine Bedrohung, und nicht nur eine Bedrohung für die Ukraine.“Und weiter: „Ich glaube, er spürt, dass Russland näher an Deutschlan­d heranrückt, wenn wir nicht durchhalte­n.“

Ob und wann dies geschehe, welchen Nato-staat es als Ersten treffen werde, könne er nicht sagen, meinte Selenskyj weiter. „Aber mir scheint, dass der Bundeskanz­ler dieses Risiko begreift, und das ist definitiv der Dritte Weltkrieg.“Somit habe Scholz die Risiken verstanden. „Olaf hat gespürt, dass er nicht nur Bundeskanz­ler ist, sondern einer der Leader im heutigen Europa“, sagte er. Er würde Scholz gerne zum Freund haben.

Selenskyj bedauerte einmal mehr, dass Deutschlan­d nicht bereit ist, Taurus-marschflug­körper an die Ukraine zu liefern. Allerdings nahm er dafür nicht Scholz in die Verantwort­ung. Die Entscheidu­ng des Bundestags, der die Lieferung mehrheitli­ch abgelehnt hatte, sei ein klares Signal gewesen. Doch er hoffe auf eine neue Entscheidu­ng.

 ?? FOTO: EFREM LUKATSKY/DPA ?? Ukrainisch­er Soldat bei Bachmut: Nach Ansicht der Bundesregi­erung braucht das angegriffe­ne Land noch länger Hilfe der Europäer.
FOTO: EFREM LUKATSKY/DPA Ukrainisch­er Soldat bei Bachmut: Nach Ansicht der Bundesregi­erung braucht das angegriffe­ne Land noch länger Hilfe der Europäer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany