Bundesregierung fürchtet „Materialschlacht“
Deutschland drängt Eu-partner zu mehr Hilfen für die Ukraine
- Wenn der Europäische Rat am Ende dieser Woche in Brüssel zusammenkommt, wird auf Initiative Deutschlands das Thema Waffenlieferungen für die Ukraine einer der Tagesordnungspunkte sein. Das hat Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin angekündigt. Bundeskanzler Olaf Scholz habe in den vergangenen drei Wochen intensiv mit europäischen Staatschefs sowie mit der Spitze der Eu-kommission telefoniert, um die Dringlichkeit der Waffenlieferungen anzumahnen, betonte Hebestreit.
Nachdem der Kanzler zu Beginn des Krieges in der Ukraine von Teilen der deutschen und auch der europäischen Öffentlichkeit für seine Zurückhaltung bei Waffenlieferungen Kritik einstecken musste, hat sich Scholz mittlerweile offensichtlich zum Antreiber gewandelt. Dies lässt sich mit Zahlen belegen: Laut aktuelle Daten des Statistik-portals Statista sind die USA der mit Abstand größte Unterstützer der Ukraine – gemessen im Zeitraum zwischen dem 24. Januar 2022 und dem 31. Oktober 2023. Dabei haben die USA bisher rund 71 Milliarden Euro an bilateraler Unterstützung geleistet, davon etwa 43,9 Milliarden Euro in Form militärischer Unterstützung, 25 Milliarden Euro in Form finanzieller Unterstützung und rund 2,6 Milliarden Euro in Form humanitärer Hilfe. Deutschland ist ohne den deutschen Anteil an der Euhilfe mit rund 21 Milliarden Euro der zweitgrößte Unterstützer.
Der deutsche Anteil an den europäischen Hilfen für die Ukraine summierte sich bis Ende Oktober 2023 auf 17,3 Milliarden Euro, sodass sich die deutsche Gesamtunterstützung auf über 38 Milliarden Euro summiert. Die EU als
Staatenbund hat bisher Unterstützungen in Höhe von etwa 77 Milliarden Euro geleistet.
Hebestreit sieht Scholz zwar explizit nicht in der Rolle des Antreibers, macht aber deutlich, dass Deutschland mehr als die Hälfte dessen zahlt, was andere Eu-länder zusammen leisten. Auch im bundesdeutschen Haushalt 2024 seien bereits weitere 7,4 Milliarden Euro für Waffenlieferungen vorgesehen. „Es ist eine Materialschlacht, die noch eine ganze Weile andauern könnte“, sagte der Regierungssprecher. Für Deutschland sei seit Beginn des Krieges wichtig, kontinuierlich und zuverlässig zu liefern. Hebestreit wollte hinsichtlich von ausbleibenden Waffenlieferungen anderer europäischer Länder nicht von Kriegsmüdigkeit sprechen, meinte aber vielsagend: „In vielen Eu-staaten gibt es Debatten über Waffenlieferungen, doch wenn es dann wirklich konkret wird, wird es auch schwieriger.“
In dem Zusammenhang wies der Regierungssprecher auch auf die innenpolitische Situation in den USA hin. Dort gibt es kontroverse Auseinandersetzungen, ob weiterhin Waffen in die Ukraine geliefert werden. Vor dem Hintergrund, dass möglicherweise in absehbarer Zeit ein Donald Trump, der Waffenlieferungen in die Ukraine eher ablehnt, wieder das Zepter im Weißen Haus schwingen könnte, stellte Hebestreit klar: „Europa muss sich massiv aufstellen, um die Ukraine zu unterstützen.“
Lob für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte unterdessen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Scholz habe die Absichten und Ziele von Kremlchef Wladimir Putin inzwischen klar erkannt, sagte Selenskyj am Sonntagabend in einem Interview mit der Ard-moderatorin Caren Miosga in deren Talkshow. „Er hat verstanden, dass Putin nicht nur ein Name ist, sondern eine Bedrohung, und nicht nur eine Bedrohung für die Ukraine.“Und weiter: „Ich glaube, er spürt, dass Russland näher an Deutschland heranrückt, wenn wir nicht durchhalten.“
Ob und wann dies geschehe, welchen Nato-staat es als Ersten treffen werde, könne er nicht sagen, meinte Selenskyj weiter. „Aber mir scheint, dass der Bundeskanzler dieses Risiko begreift, und das ist definitiv der Dritte Weltkrieg.“Somit habe Scholz die Risiken verstanden. „Olaf hat gespürt, dass er nicht nur Bundeskanzler ist, sondern einer der Leader im heutigen Europa“, sagte er. Er würde Scholz gerne zum Freund haben.
Selenskyj bedauerte einmal mehr, dass Deutschland nicht bereit ist, Taurus-marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Allerdings nahm er dafür nicht Scholz in die Verantwortung. Die Entscheidung des Bundestags, der die Lieferung mehrheitlich abgelehnt hatte, sei ein klares Signal gewesen. Doch er hoffe auf eine neue Entscheidung.