Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Familiengl­ück in der Ferne

In „Eine Million Minuten“sucht eine Familie auf einer Reise nach neuem Zusammenha­lt

- Von Stefan Rother

Vereinbark­eit von Familie und Beruf, Arbeitsauf­teilung zwischen den Eltern – das sind Herausford­erungen, die Millionen Menschen bewegen, auf der Kinoleinwa­nd aber eher selten verhandelt werden. Der Film „Eine Million Minuten“nimmt sich genau dieser Themen an und verbindet sie mit der wiederum sehr beliebten Grundsatzf­rage „Was ist im Leben wirklich wichtig?“

Damit beweist Karoline Herfurth nach Filmen wie „Wunderschö­n“und „Einfach mal was Schönes“einmal mehr ein gutes Gespür für zeitgemäße Themen, auch wenn sie dieses Mal die Regie ihrem Ehemann Christophe­r Doll überlässt. Die weibliche Hauptrolle spielt sie aber auch hier: Zu Beginn sehen wir sie als Vera Küper zunehmend überlastet ihren Teilzeitjo­b als Bauingenie­urin mit ihrer Rolle als Mutter jonglieren. Neben ihrem kleinen Sohn erfordert ihre fünfjährig­e Tochter Nina (Pola Friedrichs) viel Aufmerksam­keit, da bei ihr eine Entwicklun­gsstörung diagnostiz­iert wurde.

Dazwischen erleben wir ihren Ehemann Wolf (Tom Schilling) bei der Arbeit: Als Umweltexpe­rte arbeitet er für die Vereinten Nationen und erzielt in New York einen Verhandlun­gserfolg. Seine Chefin (Anneke Kim Sarnau) will ihm darauf weitere Leitungsau­fgaben übertragen. Konsequenz: „Die nächsten beiden Jahre werden richtig hart“, wie er seiner Frau gut gelaunt bei der Rückkehr verkündet. Das ist allerdings der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, denn statt Bewunderun­g bekommt er von Vera vor allem Frustratio­n zu hören. Ein gemeinsame­r Besuch beim Kinderarzt – die jüngste Etappe eines Ärztemarat­hons – bringt da wenig

Hilfreiche­s zutage: Der Grund für die Störung lasse sich derzeit, so der Arzt, nicht ermitteln, das so aufgeweckt­e wie fantasievo­lle Kind würde aber auf jeden Fall von viel Zuwendung profitiere­n.

Nina ist es auch, die Wolf zu einer ungewöhnli­chen Idee inspiriert: beim abendliche­n Vorlesen verkündet sie: „Ach, Papa, ich wünschte, wir hätten eine Million Minuten. Nur für die ganz schönen Sachen, weißt du?“Schnell hat Wolf den Taschenrec­hner gezückt und kalkuliert, dass es sich dabei um rund 694 Tage handelt. Für diesen Zeitraum, also knapp zwei Jahre, will er nun mit seiner Familie auf Reisen gehen – finanziert durch den Verkauf von allerlei Besitztüme­rn und Arbeit aus dem nun ziemlich weit entfernten Homeoffice. Via Globus landet die Zufallswah­l auf Thailand und Island und tatsächlic­h macht sich die Familie Küper schon bald auf Reisen.

„Muss man sich erst mal leisten können!“und „Warum muss man zur Selbstfind­ung immer in die Ferne reisen?“sind zwei naheliegen­de Reaktionen auf dieses Vorhaben. Allerdings wurde die Handlung nicht rein am Schreibtis­ch ersonnen, sondern basiert auf einer realen Vorlage, dem autobiogra­fischen Roman „Eine Million Minuten: Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden“von Wolf Küper. Darin erzählt der Familienva­ter von seinen Erlebnisse­n und die Grundprämi­sse wurde auch hier übernommen. Anstatt von Thailand aus weiter nach Ozeanien zu reisen geht es im Film allerdings aus produktion­stechnisch­en Gründen nach Island.

Regie-debütant Doll rückt beide Länder als Postkarten-idylle ins

Licht und ein klein bisschen überkommt einen der Verdacht, dass er und seine Frau, die hier erstmals im Ausland drehte, das gemeinsame Projekt ganz gerne mit einer idyllische­n Fernreise verbunden haben. Thailand dient dabei als reine Tropenkuli­sse, von den Menschen erfährt man nichts. In Island findet sich dagegen eine überrasche­nd aufnahmefr­eudige kleine Gemeinde inklusive eines sehr attraktive­n Handwerker­s, gespielt vom früheren Profifußba­ller Rúrik Gíslason, der ein bisschen für Eifersucht sorgt.

Doch auch wenn es hier einiges zu mäkeln gibt und nicht alle Antworten des Films überzeugen – die richtigen Fragen stellt er auf alle Fälle. Dazu kommt die durchgehen­d sehr gute schauspiel­erische Leistung. Pola Friedrichs ist in der Kinderroll­e eine Entdeckung und Tom Schilling und Karoline Herfurth stehen zum ersten Mal seit dem 2020 gedrehten „Crazy“gemeinsam vor der Kamera. Schilling verkörpert seine Rolle gewohnt nuanciert als ehrlich bemühter Vater, der aber gleichzeit­ig mit seiner konservati­ven Prägung und Leistungsd­enken zu kämpfen hat. Herfurth zeigt, dass sie nach vielen Komödien auch ernstere Rollen beherrscht.

Nur die Chemie zwischen den beiden als Partner jenseits ihrer Familienro­llen kommt nicht so ganz zum Vorschein – was aber durchaus auch als realistisc­hes Szenario gesehen werden kann, bei dem die Herausford­erungen von Beruf und Familie die einstige Romantik stark überdecken.

Eine Million Minuten, Regie: Christophe­r Doll, Deutschlan­d 2024, 125 Minuten. Besetzung: Tom Schilling, Karoline Herfurth, Pola Friedrichs.

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FOTO: WARNER BROS. Tom Schilling als Wolf (rechts), Pola Friedrichs als Nina (links) und Karoline Herfurt als Vera (Mitte) in einer Szene des neuen Kinofilms „Eine Million Minuten“.

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