Das Familienglück in der Ferne
In „Eine Million Minuten“sucht eine Familie auf einer Reise nach neuem Zusammenhalt
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Arbeitsaufteilung zwischen den Eltern – das sind Herausforderungen, die Millionen Menschen bewegen, auf der Kinoleinwand aber eher selten verhandelt werden. Der Film „Eine Million Minuten“nimmt sich genau dieser Themen an und verbindet sie mit der wiederum sehr beliebten Grundsatzfrage „Was ist im Leben wirklich wichtig?“
Damit beweist Karoline Herfurth nach Filmen wie „Wunderschön“und „Einfach mal was Schönes“einmal mehr ein gutes Gespür für zeitgemäße Themen, auch wenn sie dieses Mal die Regie ihrem Ehemann Christopher Doll überlässt. Die weibliche Hauptrolle spielt sie aber auch hier: Zu Beginn sehen wir sie als Vera Küper zunehmend überlastet ihren Teilzeitjob als Bauingenieurin mit ihrer Rolle als Mutter jonglieren. Neben ihrem kleinen Sohn erfordert ihre fünfjährige Tochter Nina (Pola Friedrichs) viel Aufmerksamkeit, da bei ihr eine Entwicklungsstörung diagnostiziert wurde.
Dazwischen erleben wir ihren Ehemann Wolf (Tom Schilling) bei der Arbeit: Als Umweltexperte arbeitet er für die Vereinten Nationen und erzielt in New York einen Verhandlungserfolg. Seine Chefin (Anneke Kim Sarnau) will ihm darauf weitere Leitungsaufgaben übertragen. Konsequenz: „Die nächsten beiden Jahre werden richtig hart“, wie er seiner Frau gut gelaunt bei der Rückkehr verkündet. Das ist allerdings der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, denn statt Bewunderung bekommt er von Vera vor allem Frustration zu hören. Ein gemeinsamer Besuch beim Kinderarzt – die jüngste Etappe eines Ärztemarathons – bringt da wenig
Hilfreiches zutage: Der Grund für die Störung lasse sich derzeit, so der Arzt, nicht ermitteln, das so aufgeweckte wie fantasievolle Kind würde aber auf jeden Fall von viel Zuwendung profitieren.
Nina ist es auch, die Wolf zu einer ungewöhnlichen Idee inspiriert: beim abendlichen Vorlesen verkündet sie: „Ach, Papa, ich wünschte, wir hätten eine Million Minuten. Nur für die ganz schönen Sachen, weißt du?“Schnell hat Wolf den Taschenrechner gezückt und kalkuliert, dass es sich dabei um rund 694 Tage handelt. Für diesen Zeitraum, also knapp zwei Jahre, will er nun mit seiner Familie auf Reisen gehen – finanziert durch den Verkauf von allerlei Besitztümern und Arbeit aus dem nun ziemlich weit entfernten Homeoffice. Via Globus landet die Zufallswahl auf Thailand und Island und tatsächlich macht sich die Familie Küper schon bald auf Reisen.
„Muss man sich erst mal leisten können!“und „Warum muss man zur Selbstfindung immer in die Ferne reisen?“sind zwei naheliegende Reaktionen auf dieses Vorhaben. Allerdings wurde die Handlung nicht rein am Schreibtisch ersonnen, sondern basiert auf einer realen Vorlage, dem autobiografischen Roman „Eine Million Minuten: Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden“von Wolf Küper. Darin erzählt der Familienvater von seinen Erlebnissen und die Grundprämisse wurde auch hier übernommen. Anstatt von Thailand aus weiter nach Ozeanien zu reisen geht es im Film allerdings aus produktionstechnischen Gründen nach Island.
Regie-debütant Doll rückt beide Länder als Postkarten-idylle ins
Licht und ein klein bisschen überkommt einen der Verdacht, dass er und seine Frau, die hier erstmals im Ausland drehte, das gemeinsame Projekt ganz gerne mit einer idyllischen Fernreise verbunden haben. Thailand dient dabei als reine Tropenkulisse, von den Menschen erfährt man nichts. In Island findet sich dagegen eine überraschend aufnahmefreudige kleine Gemeinde inklusive eines sehr attraktiven Handwerkers, gespielt vom früheren Profifußballer Rúrik Gíslason, der ein bisschen für Eifersucht sorgt.
Doch auch wenn es hier einiges zu mäkeln gibt und nicht alle Antworten des Films überzeugen – die richtigen Fragen stellt er auf alle Fälle. Dazu kommt die durchgehend sehr gute schauspielerische Leistung. Pola Friedrichs ist in der Kinderrolle eine Entdeckung und Tom Schilling und Karoline Herfurth stehen zum ersten Mal seit dem 2020 gedrehten „Crazy“gemeinsam vor der Kamera. Schilling verkörpert seine Rolle gewohnt nuanciert als ehrlich bemühter Vater, der aber gleichzeitig mit seiner konservativen Prägung und Leistungsdenken zu kämpfen hat. Herfurth zeigt, dass sie nach vielen Komödien auch ernstere Rollen beherrscht.
Nur die Chemie zwischen den beiden als Partner jenseits ihrer Familienrollen kommt nicht so ganz zum Vorschein – was aber durchaus auch als realistisches Szenario gesehen werden kann, bei dem die Herausforderungen von Beruf und Familie die einstige Romantik stark überdecken.
Eine Million Minuten, Regie: Christopher Doll, Deutschland 2024, 125 Minuten. Besetzung: Tom Schilling, Karoline Herfurth, Pola Friedrichs.