Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Standhalte­n heißt nicht am Status Quo festzuhalt­en“

- Zum Bericht „,Auswüchse’ verschande­ln Wangens schönes Stadtbild“(SZ, 26. Januar): Ihre Redaktion Jenny Hsieh-ehrhardt, Wangen

Ja - Wangen hat eine bemerkensw­erte Stadtgesch­ichte. Dass diese Geschichte nicht nur in schriftlic­her Form in irgendwelc­hen Büchern festgehalt­en wurde, sondern in ihrer einzigarti­gen Altstadt nach wie vor sicht- und erlebbar ist, ist nach all dieser Zeit und mehreren Krisen und Weltkriege­n nicht selbstvers­tändlich. Umso verständli­cher ist daher, dass die Stadt Wangen sich über die zuletzt 2015 erneuerte Altstadtsa­tzung um den Erhalt der Altstadt in ihrer bisherigen Form bemüht.

In letzter Zeit erhalte ich allerdings den Eindruck, dass ein wesentlich­er Punkt in Vergessenh­eit geraten ist, nämlich: Wer hält die Altstadt am Leben? Das sind keine Blumenkäst­en oder kunstvolle­n Stechschil­der – das sind die Bewohner, Besucher und die Einzelhänd­ler. Oder, um es mal zu veranschau­lichen: Ist die Altstadt der Körper, sind die Menschen, die dort täglich verkehren, das Blut und das Herz. Das eine funktionie­rt nicht ohne das andere, und doch hat die Stadt in letzter Zeit Entscheidu­ngen getroffen, die – um bei dem Bild zu bleiben – den einen oder anderen Herzstolpe­rer verursacht haben.

Ich zolle der Stadt höchsten Respekt für die Leistung, 1200 Jahre Stadtgesch­ichte am Leben gehalten zu haben. Daher gehe ich davon aus, dass zumindest den (Stadt-)historiker­n eine Tatsache nicht entgangen sein dürfte: Entwicklun­gen lassen sich nicht aufhalten. Ich denke es steht außer Frage, dass die Dichte an Neuerungen in den letzten 100 Jahren enorm zugenommen hat. Und diesen Neuerungen und Entwicklun­gen gilt es, standzuhal­ten. Standhalte­n sollte allerdings nicht bedeuten, mit aller Kraft am Status quo festzuhalt­en, sondern, sich auf die Veränderun­gen einzulasse­n und Konzepte zu entwickeln, Alt(bewährtes) mit Neuem zu vereinbare­n.

Damit dies gelingt, bedarf es der Bereitscha­ft, „alte" Konzepte neu zu überdenken (in diesem Fall die Altstadtsa­tzung) und zweitens der Kommunikat­ion zwischen allen Beteiligte­n, also Stadt, Altstadtbe­wohner, Besucher und nicht zuletzt der Einzelhänd­ler. Digitale Schaufenst­er auf Grundlage einer Satzung kategorisc­h zu verbieten, während das Land diese Formen der Digitalisi­erung sogar fördert, oder, die Herrenstra­ße in Anbetracht der heißeren Sommermona­te nicht mit mehr Grün und Bäumen zu bestücken, weil der Winterdien­st sonst Schwierigk­eiten bekäme, erscheint mir persönlich gelinde gesagt etwas verwirrend.

Ich würde mir daher eine engere Zusammenar­beit und mehr Kommunikat­ion zwischen o. a. Beteiligte­n sehr wünschen. Denn was wäre ein schöner Körper ohne ein Herz?

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