Segen oder Fluch für die Menschheit?
Professor Ertel spricht über Chancen und Gefahren von Künstlicher Intelligenz
- Es war ein wichtiges Thema beim Weltwirtschaftsforum und an der Börse explodieren die Kurse, wenn eine Firma neue Anwendungen verkündet. Die einen bezeichnen es als die größte Erfindung seit der Dampfmaschine oder der Elektrizität, andere sehen es als Vorbote einer Welt ohne Menschlichkeit und auch der Papst fordert ethische Maßstäbe. Die Rede ist von der Künstlichen Intelligenz (KI), die seit der Veröffentlichung von CHATGPT die Schlagzeilen beherrscht und über die die Meinungen auseinandergehen. Auch in Eglofs scheint das Thema einen Nerv getroffen zu haben, denn bei einem Vortrag von Prof. Wolfgang Ertel von der Hochschule Weingarten war der Zuspruch groß.
Die Organisatoren, die katholische Erwachsenenbildung Argenbühl in Kooperation mit der Gemeinschaftsschule Eglofs, der Seelsorgeeinheit Isny und der evangelischen Kirchengemeinde Isny, hatten in der Schulmensa mit viel weniger Besuchern gerechnet, mussten dann jedoch auf die Schnelle für mehr als 200 Interessierte Stühle heranschaffen.
Was ist eigentlich Künstliche Intelligenz?
„Künstliche Intelligenz ist, wenn Computer Dinge tun können, die wir selbst heute noch besser machen“, definierte Ertel zu Beginn seines Vortrags den Begriff. Und er erläuterte: „Der Mensch kann lernen, kann durch gewonnene Erfahrung in kurzer Zeit gute Lösungen finden. Wenn Computer dies können, ist dies ein gigantischer Schritt.“
Dieser Schritt erfolgte erstmals 1986, als Roboter lernten, durch positive oder negative Erfahrungen ihr Verhalten zu ändern oder durch Abgleiche mit riesigen Datenbanken genauere Prognosen machten als erfahrene Ärzte. Ertel: „Bereits im letzten Jahrhundert entstanden Kigestützte Systeme, die aus einer Datenbank mit 15.000 medizinischen Fällen eine verlässliche Diagnose geben konnten.“Heute übertreffe die KI etwa beim Hautkrebsscreening vielfach die Hautärzte selbst.
Wie verändert KI unsere Lebenswelt?
Die Frage nach der Bedeutung der Künstlichen Intelligenz stellte Wolfgang Ertel in den Mittelpunkt seines Vortrags, auch wenn er darauf keine abschließende Antwort geben konnte. Wird unser Leben durch intelligente Robotertaxis, Sprachmodelle wie CHATGPT oder technische und medizinische Diagnosemaschinen bequemer und sicherer und die Wirtschaft noch schneller wachsen? Steht das Paradies auf Erden kurz bevor? Oder die Hölle? Überraschend ist für Ertel, dass weit weniger als die Hälfte der Anwesenden CHATGPT schon einmal selbst ausprobiert hatte. Er forderte alle auf, dieses Programm auszuprobieren, weil dies die Möglichkeiten der KI eindrucksvoll aufzeige.
Laut Internationalem Währungsfonds müssen sich 40 bis 60 Prozent der Beschäftigten darauf einstellen, dass KI ihre Arbeitsplätze künftig verändert, so Ertel. „Es sind aber nicht mehr nur die einfachen, automatisierten Jobs wie Arbeit an Supermarktkassen und Servicehotlines, die wegfallen. Vielmehr werden mit der Weiterentwicklung der KI immer mehr anspruchsvolle Jobs gefährdet sein.“
Hier fügte Ertel einige sozialkritische Anmerkungen ein: „Solch vehemente Eingriffw in die Arbeitswelt machen deutliche Veränderungen erforderlich.“Als Beispiel nannte er die Verteilungsgerechtigkeit: „Wenn die Gewinne nur bei den Kapitalisten bleiben, wird es bald keine Menschen mehr geben, die die Produkte kaufen.“Er erwarte vielmehr, dass mehr Ertrag für das Unternehmen auch mehr Einkommen für die Beschäftigten bedeutet, und versprach beim Vortrag geradezu eine goldene Zukunft: „Lohn ohne Arbeit, mehr Freizeit, weniger Erwerbstätigkeit – weil die KI vieles übernehmen kann.“
Was steckt hinter dem Begriff „Singularität“?
Momentan befindet sich die Entwicklung der KI noch in einem frühen Stadium. Im Gegensatz zum Menschen hat die KI laut Ertel noch kein Bewusstsein, kein Gefühl und keine Ethik. Sie tue noch das, was man ihr von außen vorgibt: „Das heißt, wenn ich einem Roboter das Ziel einbaue, schnell zu laufen, dann tut er es, weil ich es so programmiere.“
Aber die KI mache schnell Fortschritte. Es sei vorstellbar, dass sie in absehbarer Zeit eigene Ziele entwickle, also selbst wisse, was sie will und was nicht. Genau hier sieht der Professor die Gefahren: Wie lange beherrschen wir die KI und wann beherrscht sie uns? Den Zeitpunkt, an dem die künstliche die menschliche Intelligenz übertreffen wird, bezeichnet die Forschung als die sogenannte Ki-singularität. Damit wäre KI in der Lage, sich selbst unumkehrbar und rasant weiterzuentwickeln und sich der menschlichen Kontrolle zu entziehen.
Wie sieht der Fachmann die Zukunft?
Ertel warnte: „Es wird nun spekulativ – aber ich erwarte gewaltige Skaleneffekte. Die Geschwindigkeit der Verbesserung der KI ist exponenziell, die des Menschen höchstens leicht steigend.“Daher prognostizierte Ertel, dass die Singularität in 15 bis 20 Jahren erreicht werden könnte – und damit ein kritischer Punkt für die Menschheit: „Sobald wir jenseits der Singularität sind, verlieren wir die Kontrolle, können nicht mehr nachvollziehen, wie und warum sich die KI weiterentwickelt und welche Auswirkungen das für die Menschheit hat.“
Und dann machte Ertel noch eine Anleihe bei der Klimakrise: „Wenn wir die ganze Natur zerstören, macht dies der KI nichts aus – die braucht keinen Sauerstoff, keine Pflanzen oder Tiere. Während der Mensch nicht von seinem Gehirn zu trennen ist, kann einem Roboter eine Ki-software aufgespielt und unendlich multipliziert werden.“
Das führt zur Frage nach ihrer Regulierung. Nach Auffassung Ertels ist die KI weit gefährlicher als die Atombombe. „Eine Atombombe können nur ganz wenige bauen und benötigen dafür enorme Ressourcen. Die KI aber kann theoretisch von jedem weiterentwickelt werden, der einen halbwegs leistungsstarken Rechner hat und Deep Learning studiert hat.“Ob eine Regulierung gelingt, werde eine der großen Zukunftsfragen sein – immerhin habe die EU bereits ein Ki-gesetz entworfen.