Ein starkes Zeichen gegen Rechtsextremismus
Zur Demonstration für Demokratie und Menschenrechte kommen rund 2500 Teilnehmer auf den Marktplatz
- Traumhaftes Wetter, eine friedliche Atmosphäre und ein Marktplatz, der sprichwörtlich aus allen Nähten platzt: Mit rund 2500 Teilnehmern hat Wangen bei der Demonstration für Demokratie und Menschenrechte am Samstag ein eindrucksvolles Zeichen gegen den Rechtsextremismus gesetzt. Beeindruckt haben aber auch die vier Redner, und einmal wurde es in der Menschenmenge sogar ganz still.
„Ich hab’ eine Gänsehaut, wenn ich hier stehe und das Ende der Menschenmenge nicht sehen kann.“Mit diesen Worten provoziert Johannes Waltenberger den ersten von vielen Beifallsstürmen. Und Matthias Hermann, der zweite Organisator und Initiator der Kundgebung, ergänzt: „Ich wünsche mir eine friedliche, sonnige und freundliche Demo.“Wieder lautstarker Applaus aus der Menge, die sich auf dem proppenvollen Marktplatz, aber auch in der Herrenstraße und um die Kirchenmauer herum versammelt hat.
Es ist ein beeindruckendes Bild, das es so schon länger nicht mehr in Wangen gegeben hat. Wie schon in den Wochen zuvor in anderen Städten Deutschlands und der Region gehen die Menschen auf die Straßen, um gegen den zunehmenden Rechtsextremismus im Land zu protestieren. Und um Farbe zu bekennen für die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Menschenrechte. In Wangen ist es ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Vereinen und anderen Organisationen, das die Demonstration unterstützt.
Entsprechend bunt sind auch die Banner und Plakate, die auf dem Marktplatz zu sehen sind. Neben dem „Nie wieder ist jetzt“oder „Menschenrechte statt rechte Menschen“sieht man auch lustige Sprüche wie „Braune Soße nur mit Spätzle“oder klar adressierte Botschaften wie „...und wer pflegt euch Afd-wähler eines Tages, wenn ihr alles Pflegepersonal ,remigriert’ habt?“. Den Ton trifft auch Franziska Groß, Leadsängerin der Ravensburger Band Zimt & Zorn, die „Talkin’ Bout a Revolution“von Tracy Chapman anstimmt. Es ist der Auftakt zu einer Reihe beeindruckender Reden.
Den Anfang macht die 18-jährige Jara Lutz. „Wir empfinden tiefes Unbehagen und eine wachsende Angst vor den extremen Rechten in unserem Land“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Wangener Jugendgemeinderats. Und spricht sich gegen „jede Form der Demokratieverachtung, gegen Diskriminierung, gegen Ausgrenzung und eine Aushöhlung der Menschenrechte“aus. Ihr Appell an die Menge: „Lasst uns nicht nur gegen etwas aufstehen, sondern auch für etwas: Für die Werte, die unsere Gesellschaft zusammenhalten: Freiheit, Gleichheit, Solidarität.“
Danach stellt Wangens OB Michael Lang zunächst klar, dass „gegen rechts“nicht präzise genug sei, sondern dass man Rechtsradikale im Blick haben müsse. Still wird es auf dem Marktplatz, als Lang von einer Mail der 90-jährigen, in Chile lebenden Heidi Lehmann berichtet. Sie sei die letzte noch lebende Frau aus der jüdischen Kaufmannsfamilie Dahlberg, die nach der Progromnacht am 9. November 1938 aus Wangen fliehen musste. „Ich werde ihr morgen schreiben, dass wir sie und ihre Familie in Wangen nicht vergessen werden“, so der Rathauschef. Und: „Für Antisemitismus gibt es in Wangen keinen Millimeter Toleranz. Das sind wir Heidi Lehmann und den anderen Familien jüdischen Glaubens schuldig.“
Der OB erzählt auch von einem Treffen mit Beschäftigten des städtischen Pflegeheims „mit jungen Frauen und Männern mit hoher Identifikation für diese wichtige Aufgabe“, die aus Madagaskar, Syrien, der Türkei, Portugal oder der Ukraine stammen: „Die Gemeinschaft an einem Tisch: bunt, fröhlich und hoch motiviert.“Und, so Lang: „Vielen ist nicht bewusst, dass viele Geflüchtete längst wichtige Mitarbeitende in Unternehmen sind und ihren Beitrag für die Zukunft unseres Gemeinwesens leisten und zu unserem Wohlstand beitragen.“Auch hier brandet Beifall auf.
Dann betritt Harald Sievers das Rednerpodest und stellt klar, dass er nicht als Ravensburger Landrat, sondern als „Mensch und Privatperson“spricht. „Weil ich mich damit freier fühle.“Sievers
spricht ohne Manuskript und hat drei Botschaften mitgebracht. Die erste bezieht sich auf das Plakat „We love Grundgesetz“: Es gehe darum, die Freiheit und die Vielfalt zu behalten und für die Menschenrechte und Menschenliebe zu kämpfen.
In der zweiten Botschaft fordert Sievers die Menschen auf, die Augen vor den Problemen und Herausforderungen nicht zu verschließen, aber sie „im vernünftigen Diskurs miteinander zu lösen und möglichst viele Menschen in einem demokratischen Spektrum mitzunehmen“. Schließlich geht er auf die Demokratie als solche ein, bei der es nicht reiche, wählen zu gehen. „Für eine Demokratie braucht es jeden Tag eine engagierte Zivilgesellschaft und eine aktive Mitarbeit.“
Den Reigen der Redner und Rednerinnen beschließt Elisabeth Jooß, die evangelische Stadtpfarrerin spricht im Namen aller Wangener Kirchengemeinden. „Wir stehen für ein gutes und menschlich geprägtes Zusammenleben“, ruft sie der Menge zu und verschweigt dabei nicht, dass es in der Kirchengeschichte hierbei auch dunkle Zeiten gegeben habe. Jesus sieht sie als Vorbild für Menschlichkeit und Solidarität und geht auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ein: Ein Fremder als Beispiel dafür, dass Menschlichkeit keine Nationalität oder Hautfarbe habe. Am Ende wird Jooß persönlich: „Ich habe einen Traum, dass es in unserem reichen Land für alle reicht.“
Nach einer knappen Stunde ist die Kundgebung vorbei, der Marktplatz leert sich aber nur allmählich, und Johannes Waltenberger zieht eine positive Bilanz. „Ich hätte nie gedacht, dass so viele kommen, bei Weitem nicht“, sagt der Organisator. „Das macht Mut, so etwas zu wiederholen.“Wichtig sei jetzt, dass das zivilgesellschaftliche Engagement weitergehe.
Derweil unterhält Franziska Groß die Menschen auf dem immer noch gut gefüllten Marktplatz weiter. Mit Songs, die ebenfalls Mut machen sollen, weiter für unsere Demokratie zu kämpfen.