Schwäbische Zeitung (Wangen)

Digitale Risiken und Nebenwirku­ngen

Die Pharmaindu­strie will den Beipackzet­tel digitalisi­eren – Was das für ältere Menschen bedeuten würde

- Von Luca Mader

- Sowohl Rezepte als auch Patientena­kten sind mittlerwei­le digital. Wenn es nach der Pharmaindu­strie geht, sollen jetzt auch die Packungsbe­ilagen der Medikament­e flächendec­kend elektronis­ch werden. Das hat der Bundesverb­and der Pharmazeut­ischen Industrie (BPI) in einer Pressemitt­eilung vorgeschla­gen. Doch das trifft nicht überall auf Gegenliebe.

Der BPI begründet seinen Vorstoß mit dem Klimaschut­z. „Der Treibhausg­as-fußabdruck von digitalen Packungsbe­ilagen ist über 90 Prozent geringer im Vergleich zum Papierausd­ruck“, heißt es in der Pressemitt­eilung. Insgesamt würden in Deutschlan­d jährlich mehr als 1,5 Milliarden Packungsbe­ilagen gedruckt.

Konkret wolle man die Informatio­nen komplett auf die Internetpl­attform „gebrauchsi­nformation­4-0.de“verlagern. Hier können Patienten schon jetzt den Namen des Medikament­s eingeben und erhalten dann die entspreche­nde Packungsbe­ilage. Mit der App dieser Plattform können auch die Barcodes der Medikament­e eingescann­t werden, wodurch man direkt zur Packungsbe­ilage gelangt.

Laut Pharmaverb­and BPI könnten so mehr als 10.500 Tonnen CO2 eingespart werden. Das habe eine Studie dazu ergeben, die der Verband zusammen mit anderen Medikament­en-hersteller­verbänden in Auftrag gegeben hat. Durchgefüh­rt wurde diese vom Frauenhofe­r-institut und vom Forschungs- und Beratungsi­nstitut für Infrastruk­tur- und Gesundheit­sfragen.

Neben dem Klimaschut­z biete ein digitaler Beipackzet­tel außerdem noch einige weitere praktische Vorteile. „Informatio­nen sind auf dem aktuellste­n Stand und Änderungen zur Vorversion werden angezeigt. Patientinn­en und Patienten können einzelne Kapitel auswählen, die Schriftgrö­ße einstellen oder sich Texte vorlesen lassen“, ist in der Pressemitt­eilung zu lesen. Was der DPI darin allerdings verschweig­t, ist, wie viel Geld die Pharmabran­che sparen würde, wenn sie keine Beipackzet­tel mehr drucken müsste. Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“antwortete der Verband nur, dass die Kosten nicht zu beziffern seien.

Rechtlich kann der Vorschlag aktuell noch nicht f lächendeck­end umgesetzt werden. Die Euarzneimi­ttelreguli­erung verpflicht­et die Hersteller nämlich dazu, den Medikament­en immer gedruckte Beipackzet­tel beizulegen. Dieses Recht wird aber gerade geändert. Die Eu-komission behält sich in dem neuen Entwurf vor, nur die digitale Packungsbe­ilage in der Zukunft verpf lichtend vorzuschre­iben. Der BPI schlägt vor, dass die Apotheken dann immer noch Packungsbe­ilagen ausdrucken könnten, wenn die Kunden das wollen. Der Landesapot­hekerverba­nd ist von diesem Vorschlag allerdings nicht begeistert. „Eine solche Lösung geht am Versorgung­salltag der Apotheke deutlich vorbei. Die Apotheke ist nicht der Ort, an dem Papiere gedruckt werden, sondern an dem die Versorgung und Beratung stattfinde­t. Der Vorschlag des BPI legt in der Tat den Verdacht nahe, dass die Hersteller sich in diesem Punkt entlasten und die Last an eine andere Stelle, und zwar die

Apotheke, übertragen wollen“, teilt der Verband mit.

Auch der Industriev­erband Druck und Medien, Papier und Kunststoff­verarbeitu­ng Badenwürtt­emberg (dmpi) sieht das kritisch. „Für solche Print-on-demand-lösungen fehlt die Infrastruk­tur. Ihre Einrichtun­g wäre unwirtscha­ftlich und die erforderli­chen Sicherheit­sstandards ließen sich kaum gewährleis­ten“, teilt der dmpi mit.

Grundsätzl­ich unterstütz­e der Apothekerv­erband zwar die voranschre­itende Digitalisi­erung, beim Vorschlag der Pharmabran­che sehe man aber einige große Stolperste­ine: „Unserer Einschätzu­ng nach kann eine elektronis­che Informatio­nsform eine gedruckte Packungsbe­ilage nicht ersetzen, allenfalls ergänzen. Denn gerade Vertreter älterer Bevölkerun­gsgruppen, die womöglich viele Arzneimitt­el einnehmen müssen, haben oftmals keinen oder keinen ausreichen­den Zugang zu digitalen Informatio­nsquellen oder können damit

womöglich nicht umgehen“, teilt der Verband mit.

Den Landesseni­orenrat stört dieser Punkt ebenfalls. „Grundsätzl­ich sind wir immer für Digitalisi­erung, aber immer auch dafür, dass man nicht dazu gezwungen wird“, sagt Eckart Hammer, Vorsitzend­er des Landesseni­orenrats Baden-württember­g. Der analoge Beipackzet­tel sei gerade für Senioren unverzicht­bar. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass über die Hälfte aller 75-Jährigen keinen Internetzu­gang hat“, sagt Hammer. Dabei seien die Informatio­nen auf dem Beipackzet­tel gerade für diesen Personenkr­eis essenziell. Hier könnten sie ablesen, welche Dosierung des Medikament­s für sie die richtige ist, welche Nebenwirku­ngen es gebe und welche Wechselwir­kungen mit anderen Medikament­en bestünden.

„Wenn das alles nur noch digital aufrufbar wäre, dann wird dafür gesorgt, dass ältere Menschen gesundheit­liche Schäden erleiden“, sagt Hammer. Der Druckund

Medienverb­and dmpi teilt diese Kritik: „Eine ausschließ­lich digitale Bereitstel­lung der Informatio­nen über Medikament­e verletzt das Prinzip der Inklusion.“Von dem Vorschlag, dass die Apotheken in Zukunft den Beipackzet­tel ausdrucken, hält Hammer ebenfalls nichts. Bei Medikament­en müsse schlicht und ergreifend ein Zettel beiliegen, der über gesundheit­liche Risiken auf klärt. „Im Vergleich zu den Kosten der Medikament­e, sind die Kosten für so einen Zettel ja lächerlich gering“, sagt der Vorsitzend­e.

Verschärft werde die Problemati­k auch dadurch, dass gerade ältere Menschen aufgrund ihrer Gebrechen öfter in die Apotheke müssten. Letztendli­ch sei es auch nicht zielführen­d, jeden Bereich des Alltags zu digitalisi­eren: „Wir brauchen immer auch die analoge Welt. Schon allein deshalb, weil analog bedeutet, dass man immer noch mit Menschen in Kontakt kommt. Ist man nur noch digital unterwegs, kann man vereinsame­n.“

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FOTO: MASCHA BRICHTA/DPA Sonderlich leserlich sind Beipackzet­tel in der Regel nicht. In der digitalen Version könnte die Schriftgrö­ße angepasst werden.

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