Digitale Risiken und Nebenwirkungen
Die Pharmaindustrie will den Beipackzettel digitalisieren – Was das für ältere Menschen bedeuten würde
- Sowohl Rezepte als auch Patientenakten sind mittlerweile digital. Wenn es nach der Pharmaindustrie geht, sollen jetzt auch die Packungsbeilagen der Medikamente flächendeckend elektronisch werden. Das hat der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in einer Pressemitteilung vorgeschlagen. Doch das trifft nicht überall auf Gegenliebe.
Der BPI begründet seinen Vorstoß mit dem Klimaschutz. „Der Treibhausgas-fußabdruck von digitalen Packungsbeilagen ist über 90 Prozent geringer im Vergleich zum Papierausdruck“, heißt es in der Pressemitteilung. Insgesamt würden in Deutschland jährlich mehr als 1,5 Milliarden Packungsbeilagen gedruckt.
Konkret wolle man die Informationen komplett auf die Internetplattform „gebrauchsinformation4-0.de“verlagern. Hier können Patienten schon jetzt den Namen des Medikaments eingeben und erhalten dann die entsprechende Packungsbeilage. Mit der App dieser Plattform können auch die Barcodes der Medikamente eingescannt werden, wodurch man direkt zur Packungsbeilage gelangt.
Laut Pharmaverband BPI könnten so mehr als 10.500 Tonnen CO2 eingespart werden. Das habe eine Studie dazu ergeben, die der Verband zusammen mit anderen Medikamenten-herstellerverbänden in Auftrag gegeben hat. Durchgeführt wurde diese vom Frauenhofer-institut und vom Forschungs- und Beratungsinstitut für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen.
Neben dem Klimaschutz biete ein digitaler Beipackzettel außerdem noch einige weitere praktische Vorteile. „Informationen sind auf dem aktuellsten Stand und Änderungen zur Vorversion werden angezeigt. Patientinnen und Patienten können einzelne Kapitel auswählen, die Schriftgröße einstellen oder sich Texte vorlesen lassen“, ist in der Pressemitteilung zu lesen. Was der DPI darin allerdings verschweigt, ist, wie viel Geld die Pharmabranche sparen würde, wenn sie keine Beipackzettel mehr drucken müsste. Auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“antwortete der Verband nur, dass die Kosten nicht zu beziffern seien.
Rechtlich kann der Vorschlag aktuell noch nicht f lächendeckend umgesetzt werden. Die Euarzneimittelregulierung verpflichtet die Hersteller nämlich dazu, den Medikamenten immer gedruckte Beipackzettel beizulegen. Dieses Recht wird aber gerade geändert. Die Eu-komission behält sich in dem neuen Entwurf vor, nur die digitale Packungsbeilage in der Zukunft verpf lichtend vorzuschreiben. Der BPI schlägt vor, dass die Apotheken dann immer noch Packungsbeilagen ausdrucken könnten, wenn die Kunden das wollen. Der Landesapothekerverband ist von diesem Vorschlag allerdings nicht begeistert. „Eine solche Lösung geht am Versorgungsalltag der Apotheke deutlich vorbei. Die Apotheke ist nicht der Ort, an dem Papiere gedruckt werden, sondern an dem die Versorgung und Beratung stattfindet. Der Vorschlag des BPI legt in der Tat den Verdacht nahe, dass die Hersteller sich in diesem Punkt entlasten und die Last an eine andere Stelle, und zwar die
Apotheke, übertragen wollen“, teilt der Verband mit.
Auch der Industrieverband Druck und Medien, Papier und Kunststoffverarbeitung Badenwürttemberg (dmpi) sieht das kritisch. „Für solche Print-on-demand-lösungen fehlt die Infrastruktur. Ihre Einrichtung wäre unwirtschaftlich und die erforderlichen Sicherheitsstandards ließen sich kaum gewährleisten“, teilt der dmpi mit.
Grundsätzlich unterstütze der Apothekerverband zwar die voranschreitende Digitalisierung, beim Vorschlag der Pharmabranche sehe man aber einige große Stolpersteine: „Unserer Einschätzung nach kann eine elektronische Informationsform eine gedruckte Packungsbeilage nicht ersetzen, allenfalls ergänzen. Denn gerade Vertreter älterer Bevölkerungsgruppen, die womöglich viele Arzneimittel einnehmen müssen, haben oftmals keinen oder keinen ausreichenden Zugang zu digitalen Informationsquellen oder können damit
womöglich nicht umgehen“, teilt der Verband mit.
Den Landesseniorenrat stört dieser Punkt ebenfalls. „Grundsätzlich sind wir immer für Digitalisierung, aber immer auch dafür, dass man nicht dazu gezwungen wird“, sagt Eckart Hammer, Vorsitzender des Landesseniorenrats Baden-württemberg. Der analoge Beipackzettel sei gerade für Senioren unverzichtbar. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass über die Hälfte aller 75-Jährigen keinen Internetzugang hat“, sagt Hammer. Dabei seien die Informationen auf dem Beipackzettel gerade für diesen Personenkreis essenziell. Hier könnten sie ablesen, welche Dosierung des Medikaments für sie die richtige ist, welche Nebenwirkungen es gebe und welche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bestünden.
„Wenn das alles nur noch digital aufrufbar wäre, dann wird dafür gesorgt, dass ältere Menschen gesundheitliche Schäden erleiden“, sagt Hammer. Der Druckund
Medienverband dmpi teilt diese Kritik: „Eine ausschließlich digitale Bereitstellung der Informationen über Medikamente verletzt das Prinzip der Inklusion.“Von dem Vorschlag, dass die Apotheken in Zukunft den Beipackzettel ausdrucken, hält Hammer ebenfalls nichts. Bei Medikamenten müsse schlicht und ergreifend ein Zettel beiliegen, der über gesundheitliche Risiken auf klärt. „Im Vergleich zu den Kosten der Medikamente, sind die Kosten für so einen Zettel ja lächerlich gering“, sagt der Vorsitzende.
Verschärft werde die Problematik auch dadurch, dass gerade ältere Menschen aufgrund ihrer Gebrechen öfter in die Apotheke müssten. Letztendlich sei es auch nicht zielführend, jeden Bereich des Alltags zu digitalisieren: „Wir brauchen immer auch die analoge Welt. Schon allein deshalb, weil analog bedeutet, dass man immer noch mit Menschen in Kontakt kommt. Ist man nur noch digital unterwegs, kann man vereinsamen.“