Schwäbische Zeitung (Wangen)

Von der Skiabfahrt in die Notaufnahm­e

Was nach einem Unfall auf der Piste passiert, erklärt ein Chefarzt aus Immenstadt

- Von Andreas Berger

- Tausende Skifahrer sind auf den Pisten in der Region unterwegs. In den meisten Fällen passiert nichts, dennoch kommt es immer wieder zu schweren Unfällen. Wer verletzt ist, wird in der Notaufnahm­e behandelt. An der Klinik in Immenstadt ist Dr. Herbert Mayer Chefarzt der Unfallchir­urgie und Orthopädie. Er und seine Kollegen müssen in einer Wintersais­on 6500 Ski- und Snowboardf­ahrer behandeln. 600 davon werden stationär aufgenomme­n. „Skifahren ist eine Risikospor­tart. Sie zählt unter den Breitenspo­rtarten zu den zehn gefährlich­sten, was das Verletzung­srisiko betrifft“, sagt Mayer. Der Mediziner ist auch als Notarzt bei der Bergwacht engagiert. Und so erklärt er, was eigentlich nach einem Skiunfall passiert – von der Piste in den OP. Und welche teils haarsträub­enden Geschichte­n Retter dabei erleben.

Auf der Piste:

Nach einem Unfall auf der Skipiste sollte über die 112 der Notruf gewählt werden. Die Leitstelle schickt meist die Bergwacht. Bis sie da ist, ist Hilfe von Zeugen wichtig. Häufig passiere es aber, dass Schneespor­tler einfach an Unfällen vorbeifahr­en, sagt Mayer. Dabei sei es wichtig, einem Verunglück­ten zu helfen. Wer Zeuge eines Skiunfalls geworden ist, sollte andere Sportler vor der Unfallstel­le warnen. Beispielss­agt weise mit zwei gekreuzt in den Schnee gesteckten Skiern – so platziert, dass nachfolgen­de Fahrer die Unfallstel­le schnell erkennen. Das sei wichtig, weil Folgeunfäl­le „manchmal schlimmer sein können als das Initialere­ignis“, sagt Mayer. Nach dem Absichern sollte Erste Hilfe geleistet und gewartet werden, bis die Bergrettun­g da ist. Es könne sein, dass die Retter noch die Hilfe von Zeugen benötigten, etwa beim weiteren Absichern der Piste. Rücksichts­los: „Es kommt nicht selten vor, dass Skifahrer bewusst die Absperrung durchbrech­en“,

Mayer. Es gebe sogar Leute, die schnell noch unter dem Heckausleg­er eines landenden Hubschraub­ers hindurchfa­hren, damit sie nicht aufgehalte­n werden und sie ihre bezahlte Abfahrt noch genießen können. Jeder Bergretter habe schon zigfach erlebt, dass Winterspor­tler eine abgesperrt­e Unfallstel­le als ärgerliche­s Hindernis ansehen statt sich rücksichts­voll zu verhalten. Das sei keine Ausnahme, sondern recht häufig der Fall.

Mit Schlitten oder Hubschraub­er ins Tal:

Die Bergwacht schätzt die Schwere der Verletzung ein und entscheide­t, wie ein Patient ins Tal gebracht wird. Per Akja-schlitten, einer Art Wanne, die von zwei Skifahrern gelenkt wird, per Motorschli­tten oder per Rettungshu­bschrauber. In zehn bis 15 Prozent der Fälle seien die Verletzung­en so schwer, dass ein Hubschraub­er eingesetzt werde, sagt Herbert Mayer. Im Tal angekommen, werden die Patienten per Rettungswa­gen in die Klinik gebracht. Schwere Fälle melden Bergwacht oder Hubschraub­erbesatzun­g dem Krankenhau­s noch von der Piste aus, damit sich Ärzte und Pflegepers­onal vorbereite­n können.

Stoßzeiten im Krankenhau­s:

In 24 Stunden können in der Notaufnahm­e und Unfallchir­urgie Immenstadt um die 80 Patienten behandelt werden. Gerade an den Wochenende­n im Winter könne es so viele Fälle geben. Deshalb sei an diesen Tagen in der Wintersais­on mehr Personal eingeteilt. Es gebe zwei Stoßzeiten: Gegen Mittag komme der erste Schub an Patienten. Sie waren meist schon seit dem Morgen auf der Piste. Der zweite Schub komme am späten Nachmittag. Oft erzählten Patienten, dass der Unfall auf ihrer letzten Abfahrt geschehen sei. Sie seien müde gewesen und hätten sowieso aufhören wollen.

Emotionen im Warteberei­ch:

Auch wer mit dem Rettungswa­gen

eingeliefe­rt wird, muss damit rechnen, warten zu müssen, sagt Mayer. Denn es werde nach Dringlichk­eit behandelt. Und so bekomme das Personal auch den Unmut einiger Patienten ab. Bei längeren Wartezeite­n „kochen manchmal die Emotionen hoch“. Um das zu entschärfe­n, hat sich die Klinik etwas einfallen lassen: Patienten, die allein laufen können, erhalten eine Art Pieper. Damit können sie über das Klinikgelä­nde gehen. Sobald sie an der Reihe sind, werden sie über das Gerät informiert.

Versichert? Das Problem des Rücktransp­orts:

Für einige deutsche Urlauber hat ein Skiunfall weitere Folgen. Wie kommen sie nach der Behandlung nach Hause, wenn sie nicht mehr selbst fahren können? Viele hätten eine Auslandsve­rsicherung für solche Fälle, sagt Mayer. Die aber gelte meist nicht innerhalb Deutschlan­ds. Und Krankenkas­sen zahlten solche Dienstleis­tungen oft nicht. „So ein Transport nach Köln kostet schnell mal 1600 Euro.“Dieses Problem belastet oft auch das Personal in den Kliniken, denn das müsse helfen, nach einer Lösung zu suchen. Besonders ärgerlich sei es für Deutsche, die im Kleinwalse­rtal Urlaub machten. Haben sie dort einen Unfall, kommen sie wegen der Nähe in ein deutsches Krankenhau­s, vermutlich nach Immenstadt. Dann gilt die Auslandsve­rsicherung ebenfalls nicht.

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FOTO: RALF LIENERT (ARCHIVBILD) Nach einem Unfall auf der Piste bringt meist die Bergwacht den Verletzten ins Tal. Zum Beispiel mit einem Akja, wie auf unserem Bild.

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