Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wo ist die Solidaritä­t aller Kommunen?“

Viele Städte und Gemeinden sind vom Zustrom der Geflüchtet­en zunehmend überlastet – Doch was heißt das eigentlich?

- Von Marina Kraut

- Geflüchtet­e kommen fast wöchentlic­h im Allgäu an, während die bayerische Staatsregi­erung die „irreguläre Migration“beschränke­n will. Die Kommunen seien „bereits jetzt schon überlastet“, sagte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) vor Kurzem. Doch was heißt es eigentlich für Städte und Gemeinden, überlastet zu sein? Das haben wir Vertreter von Kommunen gefragt, die innerhalb ihrer Landkreise im Verhältnis zu ihrer Einwohnerz­ahl am meisten Menschen aufgenomme­n haben.

Im Ostallgäu gehört etwa die 1300-Seelen-gemeinde Rieden am Forggensee dazu. Dort sind derzeit mindestens 30 Gef lüchtete in einer Unterkunft untergebra­cht. Oft seien es jedoch mehr Menschen, sagt Bürgermeis­ter Andreas Haug, die sich die wenigen Quadratmet­er teilen müssten. Sie leben auf einem Hügel, abseits des Dorfes. Von außen betrachtet ist die Lage dort oben idyllisch – mit Blick auf die Berge und einem kurzen Weg zum Forggensee. Männer sind laut Haug in der Einrichtun­g des Landratsam­tes untergebra­cht. Weil diese keine Kinder mitbringen, müsse Rieden derzeit auch keine geflüchtet­en Minderjähr­igen in Kitas oder Grundschul­e unterbring­en. Haug sagt: „Wir haben keine Probleme mit den Gef lüchteten.“Es sei klar, dass Menschen

aufgenomme­n werden, die in Not sind.

Dass das innerhalb der Landkreise nicht alle Gemeinden tun, ärgere ihn. Noch immer gebe es Kommunen, die niemanden beherberge­n. Bei anderen seien es dagegen deutlich mehr Menschen, als

sie müssten. Er appelliere an die Solidaritä­t aller Kommunen im Ostallgäu, sagt Haug. Die aktuellen Herausford­erungen der Kommunen hingen vor allem mit der Asylfrage zusammen: Werden die Geflüchtet­en anerkannt, fehle ihnen Wohnraum. Der sei in der Region

ohnehin knapp. Doch bis alle Anträge für einen sozialen Wohnungsba­u genehmigt seien, vergingen Jahre, sagt der Bürgermeis­ter der Ostallgäue­r Gemeinde.

Noch sei nicht absehbar, wie hoch der Aufwand wird, wenn anerkannte Asylbewerb­er nicht mehr in Gemeinscha­ftsunterkü­nften beherbergt werden können, sagt auch Stefan Welzel. Er ist Bürgermeis­ter in Bad Wörishofen, die Unterallgä­uer Stadt hat 18.500 Einwohner. Bad Wörishofen hat 700 Menschen aufgenomme­n. In den örtlichen Schulen seien etwa 100 ukrainisch­e Schüler die größte zusätzlich zu betreuende Gruppe. Das Schulgebäu­de komme räumlich an seine Grenzen. Welzel sagt, für vieles sei eigentlich die Ausländerb­ehörde des Landratsam­tes zuständig. Der Betreuungs­aufwand falle jedoch vor Ort an. Das Bürgerbüro sei wegen der An-, Um- und Abmeldunge­n der Gef lüchteten an die Belastungs­grenze gekommen, Personal musste aufgestock­t werden.

Mehr Personal benötigte auch Immenstadt (14.500 Einwohner), sagt Bürgermeis­ter Nico Sentner. Die Belastung für die Kommune liege vor allem bei den Folgekoste­n: „Die sieht niemand im Freistaat.“Dazu gehören etwa Klassen, die wegen der Gef lüchteten größer werden. Schulen müssten erweitert werden. Die Stadt habe zwei Mitarbeite­r angestellt, die sich alleine um die Anliegen der Geflüchtet­en kümmern: Wo finde ich einen Arzt, welche Busverbind­ungen gibt es? Zudem sei es für Helferkrei­se immer schwierige­r, die Ehrenamtli­chen zu halten. „Das braucht einen langen Atem“, sagt Sentner. Immenstadt habe derzeit 284 Geflüchtet­e in zwei Unterkünft­en aufgenomme­n.

Dass sich Kommunen in einer Notlage befinden, zeigt eine Studie der Universitä­t Hildesheim und des „Mediendien­stes Integratio­n“vom November. Knapp 60 Prozent der befragten Kommunen gaben an, ihre Lage bezüglich der Gef lüchteten-situation sei „herausford­ernd, aber (noch) machbar“. Deutschlan­dweit wurden 600 Kommunen befragt. Etwa 40 Prozent berichtete­n von einer „Überlastun­g“oder gaben an, im „Notfallmod­us“zu sein.

Man müsse die Lage aber „differenzi­ert“betrachten, sagt Roman Albrecht. Er ist Bürgermeis­ter der 1700-Einwohner-gemeinde Trunkelsbe­rg im Unterallgä­u, wo 75 Gef lüchtete in zwei Unterkünft­en leben. Bereits 2015 habe das Dorf zwei Gebäude zusammen mit dem Landkreis gebaut, in denen Gef lüchtete untergebra­cht sind. Der Kreis sei damals in einer Notlage gewesen, sagt Albrecht. Die Bürgerinne­n und Bürger hatten damals große Bedenken. Es habe deshalb eine Veranstalt­ung gegeben, bei der unter anderem die Polizei auf klärte. Aus heutiger Sicht „haben wir wohl das Richtige zur richtigen Zeit gemacht“, sagt Albrecht. Denn die Strukturen existieren nun weiter in dem Ort: „Wir haben ein System, das schon funktionie­rt.“Das helfe jetzt bei der neuen Flüchtling­swelle, resümiert Albrecht.

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FOTO: RALF LIENERT Auch im Allgäu wird es zunehmend schwierige­r, alle Geflüchtet­en unterzubri­ngen. So wurden neben dem Immenstädt­er Klinikum zwei Thermozelt­e als Notunterkü­nfte aufgestell­t.

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