Familienvater kämpft sich zurück ins Leben
Nach einem schweren Unfall lag Chris Leydolph im Koma – Nun ist der Allgäuer wieder im Kreis seiner Familie
- Christoph Leydolph hat keinerlei Erinnerung an den Tag, der sein Leben verändert hat. Seine Frau Johanna dagegen wird ihn nie vergessen. Am 27. Februar 2023 hat der damals 29-jährige Familienvater auf dem Weg zur Arbeit, unweit des Wohnorts im Ostallgäuer Kaltental, einen Autounfall. Er wird dabei so schwer verletzt, dass er ins Koma gelegt wird. Die Ärzte kämpfen um sein Leben, schätzen seine Chancen auf Rückkehr zur Normalität aber als gering ein. Von Normalität ist die vierköpfige Familie auch noch weit entfernt. Aber kein Jahr nach dem Unfall sitzt der Familienvater wieder am Tisch mit seinen Liebsten, anstatt auf der Intensivstation zu liegen.
Als das zweite Kind auf die Welt kam, zogen die Leydolphs von
Landsberg aufs Land, nach Aufkirch. Sie waren gerade erst umgezogen, als es passierte. Wie immer stieg Chris Leydolph gegen 5 Uhr ins Auto, um zum Buchloer Bahnhof zu fahren, von wo der Justizwachmeister den Zug nach München zur Arbeit nahm. Kurz danach hörte seine Frau die Feuerwehrsirene. „Da dachte ich mir schon, dass etwas passiert ist“, erzählt die 27-Jährige. Ein ungutes Gefühl begleitete sie, während sie die Kinder – damals drei Jahre und fünf Monate alt – fertig machte. Zumal sie ihren Mann nicht erreichte. „Nach einer Stunde war ich komplett panisch“, erinnert sie sich. Als ein Polizeiauto in den Hof einbog, sei sie beinahe umgekippt.
Die Polizisten haben gesagt: Aktuell lebt er noch. Noch – ein kleines Wort, das ihre Welt erschütterte. Wenn man sich die Liste
der Verletzungen ansieht, wirkt sein Überleben wie ein Wunder. Den Schädel, sämtliche Rippen und das Becken gebrochen, Milzriss, Verletzung der Lungenf lügel. All das hat ein Polizist beim Telefonat mit dem Kaufbeurer Krankenhaus mitgeschrieben. Mittlerweile hängt der Zettel gerahmt an der Wand – wie ein Zeichen, was ein Mensch überstehen kann. In der Unfallklinik Murnau, wohin Leydolph verlegt wurde, wurde die Liste verlängert. „Am schwersten war das Schädelhirntrauma“, sagt seine Frau.
All das zog er sich bei einem Wildunfall zwischen Blonhofen und Oberostendorf zu, wo an diesem Morgen winterliche Straßenverhältnisse herrschten. Ein Wildschwein muss seitwärts in sein Auto gelaufen sein. Vermutlich habe er dadurch die Kontrolle über den Kleinwagen verloren, sei in einen Entwässerungsgraben gefahren, gegen ein Betonrohr geprallt und habe sich überschlagen. Die Feuerwehr musste den Zwei-meter-mann durch die Heckscheibe befreien. Er selbst spricht von „Glück im Unglück“, weil er nicht an einen der Bäume geprallt ist.
Dennoch waren die Verletzungen so schlimm, dass Leydolph ins Koma gelegt wurde. Noch an dem Tag stand seine Frau am Krankenbett. „Das ist ein Anblick, den man einfach nicht mehr vergisst“. Dem Besuch sollten unzählige folgen. Fast jeden Tag fuhr die junge Mutter, die in der Zeit von der Familie unterstützt wurde, nach Murnau. So war sie auch dabei, als Ärzte nach vier Wochen beschlossen haben, ihren Mann zu wecken – und er nicht gleich zurückkam. Aus dem Koma aufzuwachen, ist ein schleichender Prozess. Zwei
Wochen habe es bei Leydolph gedauert. Zuerst konnte er auf Kommando die Hand drücken, beim Besuch ihres Großvaters habe er erstmals wieder die Augen geöffnet. Das erste Sprechen sei einer der emotionalsten Momente gewesen. Beim Gedanken daran bekommt das Paar, das seit zwölf Jahren zusammen ist, noch immer Gänsehaut. „Er wusste, wer ich bin“, sagt Johanna Leydolph.
Von der Intensivstation ging es auf Reha. „Ich musste alles neu lernen“, sagt der junge Mann, der in Murnau seinen 30. Geburtstag verbrachte. Atmen, schlucken, essen, trinken, sitzen, laufen. Die erste „Mahlzeit“– ein Meilenstein: Quasi zeitgleich mit seiner Tochter habe er erstmals Brei gegessen.
Beim Laufenlernen hatte der Vater die Nase vorn, auch wenn es noch nicht frei geht und er die meiste Zeit im Rollstuhl sitzt. Nach sechs Monaten Reha kam er im Oktober zurück nach Hause. Nun kämpft sich Leydolph zurück in die Vaterrolle. Die Tochter hochheben, die Kinder anziehen – dafür hat er Taktiken entwickelt: „Ich kann alles selbst, es dauert halt nur.“
Dennoch ist das Familienleben eine Herausforderung. Immerhin muss Johanna Leydolph sich um drei Leute kümmern, ihren Mann ständig zur Physio und zum Logopäden fahren. „Ich bin ein privates Taxiunternehmen“, sagt sie. Da der Rollstuhl nicht ordentlich ins Auto passe – mit Kinderwagen erst recht nicht –, sammelt die Familie über „Gofundme“Spenden für einen Minivan. Denn sie wollen als Familie wieder Ausflüge machen – ein bisschen Normalität zurück, die der Unfall ihnen vor einem Jahr genommen hat.