Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Hexen haben keine Lobby“

Historiker, ein Heimatkund­ler und eine Marketinge­xpertin diskutiere­n über Traditione­n

- Von Julia Geppert

- Altusried 2022: Männer ziehen eine schreiende Frau, verkleidet als Hexe, in einen Käfig. Am Funkenfeue­r wird wenig später eine ähnlich aussehende Puppe auf dem Feuer verbrannt. Medien berichten und bringen so ein schon lange polarisier­endes Thema erneut zur Diskussion: Eine Hexe auf dem Funken – muss das sein?

Freudenfeu­er, Frühlingsf­euer, Rosenfeuer, Scheibenso­nntag oder Funkenfeue­r – jedes Dorf hat seine eigenen Bräuche und Namen, aber eins ist überall gleich: Am Wochenende nach Aschermitt­woch gibt es ein großes Feuer. Die Dorfgemein­schaft versammelt sich, sie isst, trinkt und verabschie­det den Winter. Oft wird eine frauenähnl­iche Puppe, die sogenannte Funkenhexe, auf dem Feuer verbrannt. Im vergangene­n Jahr hat Altusried darauf verzichtet und unter dem Motto „Hier brennen unsere Traditione­n“eine riesige Schneef locke angezündet. Auch das erntete Kritik, erzählte eine Zuschaueri­n beim bewegten Donnerstag im Kempten Museum. Dort diskutiert­en Experten auf dem Podium das Thema.

Wolfgang Sutter vom Heimatvere­in Niederstau­fen erinnert sich an Funkenfeue­r ohne Hexe, als er noch Kind war. Die Bräuche änderten sich über die Jahre, die Feuer wurden größer und irgendwann kamen die Hexen dazu. Es sei eine Tradition, die über Generation­en weitergege­ben wurde, die sich aber durchaus auch wandeln könne.

Traditione­n wie Scheibenwe­rfen und Funken-küchle essen pflegten Menschen über Generation­en hinweg, sagt Simone Zehnpfenni­g, Pressespre­cherin der Allgäu Gmbh. Eine Hexe wolle das Unternehme­n nicht verbieten, aber die Diskussion­en umgehen. Bilder von Hexenpuppe­n auf dem Funken sind deshalb nicht mehr Teil von Werbemater­ialien.

Manfred Tschaiker aus dem benachbart­en Vorarlberg (Österreich) sieht den Brauch als Teil der Landesiden­tität – aber ohne Hexe. Er ist Historiker und forscht über Hexen im Allgäu. Seit 30 Jahren appelliert er an Organisato­ren, sich mit der historisch­en Geschichte der Funkenhexe zu beschäftig­en, um dann zu verstehen, dass eine Hexe auf dem Funkenfeue­r „weit weg ist, von dem, wie unsere Vorfahren den Funken praktizier­ten“.

Ein Zuschauer sagt, dass Regeln nicht den Spaß nehmen sollen: „Buben zündeln halt gerne.“– „Mädels übrigens auch“, sagt eine andere Zuschaueri­n. Aber sie habe erlebt, dass auch Kinder es komisch finden, eine menschenäh­nliche Figur auf dem Funkenfeue­r zu sehen. Die Kernaussag­e des Funkens sei eine positive, erklärt Tschaiker, nämlich den Übergang in den Frühling zu feiern. Eine Hexe zu verbrennen, sieht er als „Verherrlic­hung von Vernichtun­g“. Auf einen Zuschauer, der sich für eine Funkenhexe ausspricht, ist die Oberallgäu­er Historiker­in Veronika Heilmannse­der,

die den Abend moderiert, nicht eingegange­n.

Beim bewegten Donnerstag wurde in der Einladung auf das Wort „Hexe“verzichtet. Das Wort zu nutzen, erklärt Heilmannse­der, wäre eine Bestätigun­g an den Glauben, dass es Hexen tatsächlic­h gab. Was es gab, sagt sie, waren unschuldig­e Frauen, Männer und Kinder, denen man den Pakt mit dem Teufel vorwarf. Sie seien auf brutale Weise verfolgt, gefoltert und verbrannt worden. „Die Hexen haben keine Lobby“, sagt Manfred Tschaiker. So erkläre er sich, weshalb so unsensibel mit dem Thema umgegangen werde. Als Marketings­trategie kam die Hexe, inspiriert von der Märchenhex­e, aufs Funkenfeue­r, erklärt Tschaiker. Mehr Menschen sollten sich im 20. Jahrhunder­t, nachdem der Trend zu den Funken abgeflacht war, für die Feuer begeistern. Dass es um reine Werbezweck­e ging, ändere nicht, dass dieser Brauch an „massive Verbrechen“erinnere, sagt Veronika Heilmannse­der.

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FOTO: MATTHIAS BECKER Nachdem die Altusriede­r Funkenhexe stark in Kritik geriet, brannte im vergangene­n Jahr eine Schneefloc­ke auf dem Funken nieder.

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