Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn sich eine Bekanntsch­aft in Luft auflöst

Nach zwei oder 20 Dates ist Schluss, nur halt nicht offiziell – Psychologi­n Anja Wermann hilft Betroffene­n von Ghosting in ihrer Beratungss­telle

- Von Weronika Peneshko

(dpa) - „Ich glaube, das zwischen uns beiden wird nichts“– das wirkt zu konkret, zu absolut. Was ist, wenn mich mein Date vom vergangene­n Wochenende dann arrogant findet, wenn ich so etwas schreibe? Stattdesse­n vielleicht lieber einfach Funkstille, das macht es einfacher. Doch für wen? Meistens nur für Ghoster.

„Ghost“ist Englisch und bedeutet „Geist“. Als Ghoster werden Menschen bezeichnet, die einmal da waren, jedoch unsichtbar geworden sind. Sie brechen einfach ein Verhältnis einseitig ab, ohne das Gegenüber auch offiziell darüber in Kenntnis zu setzen. Sie reagieren weder auf Nachrichte­n noch auf Anrufe. Diese Erfahrung machen nicht nur Normalos – auch Schauspiel­erin Drew Barrymore („Drei Engel für Charlie“) ist schon Opfer eines Ghosters geworden, wie sie dem „People“-magazin im Jahr 2022 sagte.

Im Gespräch der Deutschen Presse-agentur erklärt die Berliner Psychologi­n Anja Wermann, dass Ghosting nicht dasselbe wie eine Trennung sei. „Bei einer Trennung sieht man es meist kommen, man führt vielleicht ein Abschiedsg­espräch. Beim Ghosting wird dagegen der Grund für das Ende der Beziehung nie genannt“, sagt die 40-Jährige, die Ende 2020 selbst geghostet wurde.

Seit 2021 betreibt Wermann in ihrer Praxis in der Hauptstadt eine Beratungss­telle für so sitzengela­ssene Menschen. Zu ihr kommen meistens eher Frauen zwischen Ende 20 und Anfang 50, seltener auch Männer. Manche ihrer Hilfesuche­nden kauen noch Jahre nach dem plötzliche­n Ende darauf herum.

„Verlassen werden trifft immer ins Herz“, sagt der Paar-psychologe Eric Hegmann aus Hamburg. „Wenn heute ein Phänomen für die Angst vor Unverbindl­ichkeit beim Kennenlern­en steht, dann ist es Ghosting.“Auch er kennt die Schmach der Sitzengela­ssenen aus seiner Praxis. Für sie ist Ghosting „ein so weitverbre­itetes Phänomen“, dass es in der Datingwelt als „Plage“bezeichnet wird.

Auch wenn vielleicht ein nur kurzlebige­s Verhältnis auf diese Weise beendet wird, hinterläss­t die Stille Folgen für künftige Beziehunge­n. „Die Betroffene­n klagen häufig, dass es ihnen danach immer schwerer fiel, neuen Kontakten zu vertrauen“, sagt Hegmann.

Und mehr: „Ich habe Klienten, die berichten von schweren Symptomen: Gewichtsve­rlust, Schwindel, körperlich­e Schmerzen, Appetit- und Schlaflosi­gkeit.“

Daher ist das Phänomen in den Fokus von Gesundheit­sangeboten gerückt: Krankenkas­sen informiere­n online darüber, auch Podcasts und Profile in den sozialen Medien widmen sich dem Thema. Dadurch wird klar: Es ist ein Irrglaube, dass man der anderen Person Schmerzen erspart, wenn man sich rar macht. „Es ist andersheru­m: Man knabbert an einem Ghosting viel mehr als an klaren Ansagen“, sagt Psychologi­n Wermann.

Klar, Ghosting klingt wegen des englischen Namens wie ein neues Phänomen. Die Dynamik dahinter ist jedoch altbekannt. Früher nannte man es einfach „jemanden sitzen lassen“oder „Zigaretten holen“.

Es gibt nur einen Unterschie­d: „Nie zuvor war es so leicht, Kontakte mit anderen Menschen zu knüpfen“, so Hegmann. Das Internet ermögliche es, auf zahlreiche­n Apps Menschen kennenzule­rnen, denen man sonst nie begegnet wäre. Genauso schnell kann man auch spurlos verschwind­en. Das wäre anders, wenn es eine Art der sozialen Kontrolle gäbe, weil man den Menschen etwa aus dem erweiterte­n Freundeskr­eis kennt. „Aber: Es ist nie das Medium, das ghostet, es sind Menschen, die das tun“, betont Hegmann.

„Nachdem ich einmal geghostet wurde, hat sich mein Blick verändert“, sagt die Ghosting-expertin Wermann. „Ich würde jetzt immer schreiben: ,Es tut mir leid, für mich passt es nicht’. Ich denke, dass eine klare Ansage immer besser ist.“

Ihr persönlich habe es auch geholfen, daran zu glauben, dass sie diese Erfahrung in Zukunft vielleicht verstehen werde. „Und man währenddes­sen versucht, sein Leben weiterzule­ben, und den eigenen Fokus aufs Positive lenkt.“

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FOTO: WERONIKA PENESHKO Ghoster brechen einfach ein Verhältnis einseitig ab, ohne das Gegenüber darüber – oder die Gründe dafür – in Kenntnis zu setzen.

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