„Träumen verboten“
Heidenheims Vorstandsvorsitzender Holger Sanwald über das Spiel gegen Leverkusen und unvorstellbare Szenarien
- Seit 1995 ist Holger Sanwald der starke Mann beim Fußballclub aus Heidenheim. Unter seiner Führung schaffte es der Verein aus den Niederungen der Landesliga ins Mittelfeld der Bundesliga. Vor dem Spiel gegen den Spitzenreiter Bayer Leverkusen (15.30/Sky) hat der Vorstandsvorsitzende mit der „Schwäbischen Zeitung“über den wilden Ritt und „verbotene Träume“geredet.
Herr Sanwald, eine schöne Reise nach Italien oder doch ins Mutterland des Fußballs nach England, welchen Ausflug würden Sie für den Spätsommer denn bevorzugen?
Hm, worauf wollen Sie hinaus?
Es geht natürlich um das internationale Geschäft und Europacup-reisen. Als Neuntplatzierter hat der FCH derzeit nur einen Punkt Rückstand auf einen Conference-league-rang.
Für uns zählt einzig und allein der Klassenerhalt. Das ist noch ein sehr weiter Weg und anstrengend. Das ist auch kein Understatement. In der Bundesliga geht alles so schnell, und so schnell man in eine gute Serie hineingeraten kann, genauso fix kann es auch gegenteilig laufen. Ich bin heilfroh, wenn wir den Klassenerhalt schaffen sollten. Natürlich sieht es aktuell sehr gut aus, aber bei uns macht keiner den Fehler, den Fokus zu verlieren.
Als Aufsteiger 27 Punkte nach 21 Spieltagen – ist da nicht etwas Träumen erlaubt?
Träumen verboten! Wenn wir jetzt mit dem Träumen anfangen, machen wir den ersten Fehler. Wir können das alles schon ganz genau einordnen, freuen uns über jeden Punkt auf der Habenseite, aber wissen auch, dass wir noch nichts erreicht haben. Dessen sind wir uns als Verein bewusst. Unsere Fans dürfen aber natürlich von allem träumen. (lacht)
Am Samstag steht an der Brenz das Fußballfest gegen den Tabellenführer aus Leverkusen an. Gelingt den Heidenheimern nun das, was der FC Bayern München nicht zustande brachte, etwas Zählbares aus dem Duell mitzunehmen?
Bayer Leverkusen spielt wahrscheinlich die beste Saison ihrer Vereinsgeschichte. Sie haben bisher kein einziges Spiel verloren.
Alles andere als ein Leverkusener Sieg ist fast nicht vorstellbar. Aber es ist uns bisher auch durch unsere ganz spezielle DNA, der Art und Weise, wie wir Fußball spielen, und der Atmosphäre in der Voith-arena gelungen, einiges schier Unvorstellbares zu schaffen. Wir haben wie Bayer eine breite Brust und seit acht Spielen in der Bundesliga nicht verloren. Natürlich kommt da eine Übermannschaft, aber man darf so ein Spiel nur dann angehen, wenn man glaubt, dass man auch da etwas holen kann – auch wenn wir krasser Außenseiter sind.
So krass nun auch wieder nicht. Ist es für Sie surreal, dass die Menschen sich schon so schnell an Heidenheim als veritablen Erstligisten gewöhnt haben?
Es freut mich, dass es so ist. Anderen Aufsteigern ist es ja schon öfter so gegangen, dass die Öffentlichkeit sich nach so vielen Spieltagen gefragt hat, was die überhaupt in der Bundesliga wollen. Dass uns aktuell so viel zugetraut wird, motiviert einen total. Da muss man sich schon manchmal kneifen, wenn man das alles sieht.
Die Mannschaft knüpft nahtlos da an, wo sie in der 2. Liga aufgehört hat, spielt nach vorne und hat mit Tim Kleindienst, Eren Dinkci oder Jan-niklas Beste Spieler, die Begehrlichkeiten wecken. Das konnten Sie doch unmöglich so planen, oder?
Wir haben uns im Sommer schon Gedanken gemacht und überlegt, mit welcher Auffassung wir in der Bundesliga antreten, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir den Weg weitergehen, der uns seit der Landesliga so erfolgreich gemacht hat. Wir haben nach jedem Aufstieg immer auf den Aufstiegskader und unsere Leistungsträger gesetzt und uns nur gezielt verstärkt. Wir hätten im Sommer wohl Transfererlöse im zweistelligen Millionenbereich erzielen können, aber wenn man zum allerersten Mal in die Bundesliga aufsteigt, dann wollten wir es dort auch mit dieser fantastischen Mannschaft versuchen. Wir sind unserer Linie also treu geblieben und, Stand jetzt, geht es auf – aber es geht in dieser Saison noch um 39 Punkte.
Sie selbst sind emotional immer
voll dabei. Hat sich da im Gegensatz zur 2. Liga noch etwas verändert?
Wir sind immer gleich emotional. Kämpfen, rennen, beißen, dem Gegner bis zur letzten Minute auf die Nerven gehen, alles raushauen, das ist Teil unserer Identität. Wir wollen von unseren Spielern, den Mitarbeitern und den Fans Emotionen. Das ist Fußball, da geht es um Emotionen. Wir leben das mit Haut und Haar. Versuchen aber nach dem Motto „Kühler Kopf, heißes Herz“zu handeln.
Dass Sie so mitfiebern, liegt auch an Ihrer persönlichen Geschichte. 1995, also vor 29 Jahren, wurden Sie in einer Kampfabstimmung mit nur 27 Jahren zum Abteilungsleiter der Fußballabteilung des Heidenheimer SB gewählt und stehen seitdem dem Verein vor. Eine unfassbare Reise, oder?
Das ist unglaublich und da muss ich mich ab und zu zwicken. Wir spielen in dieser Saison gegen Clubs, die ich früher nur als Fan aus dem Fernsehen kannte. Als ich angefangen habe, haben wir mit Heidenheim in der Landesliga beispielsweise gegen Großkuchen oder Giengen gespielt. Was für eine weite Reise. Es ist aber doch toll und eine wunderbare Botschaft für den Fußball, dass sich auch in der heutigen Zeit harte Arbeit noch lohnt.
Sie machten Frank Schmidt 2007 zum Trainer in Heidenheim, der Beginn des großen Erfolgsmärchens. War das Ihre größte berufliche Lebens-tat?
Spannende Frage. Es gab einige wichtige Etappenschritte und die Verpflichtung von Frank Schmidt ist ganz sicher eine der wichtigsten. Ebenso bedeutend war aber, dass wir das damalige Albstadion Schritt für Schritt in ein reines Fußballstadion ausbauen durften zur heutigen Voith-arena. Das ist heute Alltag, war damals aber unvorstellbar. Als wir zum ersten Mal Bilder von unserer Vision vorgelegt haben, hätte man uns beinahe für verrückt erklärt.
Der Gipfel ist nun die Bundesliga. Dass ein Aufsteiger die Euphorie mitnehmen kann, ist nicht so selten. Schwieriger wird es oft im zweiten Jahr. Denken Sie daran oder genießen Sie die unbeschwerte Euphoriewelle so lange wie möglich?
Ich wäre ein ganz schlechter Vorstandsvorsitzender, wenn ich nicht auf die kommende Saison schauen würde. Ich beschäftige mich Tag und Nacht mit jedem möglichen Szenario. Momentan sieht es mehr danach aus, dass uns nächstes Jahr die Variante der 1. Bundesliga beschäftigen wird, im Hinterkopf bleibt aber auch die 2. Bundesliga oder die Relegation. Das sind alles Dinge, zu denen wir Pläne schmieden und worüber wir uns Gedanken machen. Denn so etwas geht alles ganz schnell und dann muss man vorbereitet sein.
Ebenso aufs internationale Geschäft. Wenn Sie sagen, dass Sie sich mit jedem Szenario beschäftigen, sollte ein guter Vorstandsvorsitzender auch das einplanen, oder?
Das war nun ein guter Konter (lacht), aber damit haben wir uns wirklich noch nicht beschäftigt. Da warten wir nun erst einmal die nächsten Spiele ab. Wir betrachten es einfach nicht als realistisches Szenario. Wenn die Fans auch träumen, wir tun es nicht. Ich bin ein vorsichtiger Mensch. Wenn das aber passiert, dann finden wir schnell eine Lösung.