Die Faszination der Flammen
Warum Menschen so gerne am Feuer zusammenkommen – Das Lodern der Flammen steht für ein archaisches Gefühl von Geborgenheit und Gemeinschaft
Es knistert und lodert, spendet wohlige Wärme und sieht jeden Moment anders aus – viele Menschen genießen es, am offenen Feuer beieinander zu stehen oder zu sitzen und den tanzenden Flammen zuzusehen. Manch einen erinnert es vielleicht an die Lagerfeuer, an denen man zu Gitarrenklängen bei Jugendfreizeiten zusammenhockte oder an die Gemeinschaft beim Martinsfest mit bunten Laternen.
Ein paar Nummern größer sind die Feuer beim traditionellen Funkensonntag, dem ersten Sonntag nach Aschermittwoch, in diesem Jahr der 18. Februar. Der Funkensonntag ist auch der erste von sechs Fastensonntagen der katholischen Kirche. Vor allem im süddeutschen Raum und in Vorarlberg werden dann aufgeschichtete Holzhaufen in Brand gesteckt. Dann lodern die Flammen meterhoch und die Menschen versammeln sich in Scharen drum herum, um zu schauen, ob der Funken, in dem nicht selten auch noch vertrocknete Christbäume stecken, richtig brennt. Das Feuer als reinigendes und rituelles Element.
Der Funken geht auf einen uralten Brauch zurück, demzufolge die Strohhexe, die oben auf der Spitze thront, den kalten Winter darstellt, der nun ausgetrieben wird. Die Varianten dieses Fests sind regional verschieden – im Allgäu und in Oberschwaben gibt’s dazu Funkenküchle oder Funkenbrezeln, in ganz Österreich werden Feuerwerke entzündet und mancherorts wird die Funkenhexe mit Schießpulver gefüllt, damit sie lautstark explodiert. In Norddeutschland gibt es die Tradition des Biikebrennens am 21. Februar. Das Volksfest gilt als einer der ältesten friesischen Bräuche und wird jedes Jahr am Vorabend des Petri-tages an der Nordseeküste und auf den Inseln gefeiert.
Aber auch abseits der festgelegten Anlässe, die im Zeichen des Feuers stehen, zünden die Menschen gerne ein paar Holzscheite an – und sei’s auf der eigenen kleinen Terrasse. An fehlender Ausstattung sollte es nicht liegen. Feuerschalen und -körbe sowie Schwedenfeuer liegen im Trend, wie ein Blick auf das zunehmende Angebot bei Baumärkten und Gartencentern zeigt. Gerade in hektischen Zeiten scheint es eine große Sehnsucht nach diesem Urelement zu geben, schließlich entsteht um ein Feuer schnell und ganz nebenbei ein Gemeinschaftsgefühl.
Einst hätten sich die Menschen zum Schutz vor Dunkelheit und wilden Tieren am Feuer zusammengefunden, erklärt Volkskundler Thomas Leßmann vom Lvr-institut für Landeskunde und Regionalgeschichte. Sie wärmten sich dort, kochten, aßen, tauschten sich aus. Heute, in mobilen und digitalen Zeiten, sei das Feuer eine Art Gegenpol, „es weckt etwas Archaisches in uns“. Auch im digitalen Zeitalter kann sich kaum jemand dem analogen Zauber eines Feuers entziehen. Die lodernden Flammen zu beobachten und dem Knistern des Holzes zuzuhören scheint noch immer etwas Faszinierendes, ja Magisches zu haben.
Ein Gefühl von Geborgenheit macht sich breit, man fühlt sich sicher und beschützt. Am Feuer wird geredet – aber auch geschwiegen. Gedankenverloren wandert der Blick in die sich ständig verändernden Feuerzungen und die f lackernde Glut – ein Sinnbild für Entschleunigung. Naturcoach Andre Lorino verweist auf Erkenntnisse von Neurowissenschaftlern. Demnach führt der Blick in die Flammen zu einer Art Leerlauf im Gehirn. Dabei wird das sogenannte Default Mode Network – ein Ruhestandsnetzwerk – im menschlichen Nervensystem aktiviert. Eine ähnliche Wirkung habe das absichtslose Betrachten von Sternen, Tagträumen oder auch das „Löcher-in-die-luft-starren“.
Dieser Leerlauf trete vor allem dann ein, wenn das Gehirn gerade keine Aufgaben zu erledigen habe oder Probleme lösen müsse. „Das ist nicht nur unglaublich erholsam und selbstregulierend für den ganzen Organismus, sondern fördert auch nachweislich die Kreativität – erfrischt also für neue Einfälle.“Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge habe der Blick ins Feuer bei Steinzeitmenschen auch die Fantasie angeregt. „In den tanzenden Flammen konnten die damaligen Menschen Bilder, Figuren und Bewegungen assoziieren.“So habe das Feuer zu den ersten Geschichten, Sagen und Legenden der Menschheit geführt.
Die ganz besondere „Lightshow“im Dunkel der Nacht sei den Menschen schon immer ein Trost gewesen, denn Dunkelheit bedeute auch Gefahr, und Feuer biete einen sicheren Raum. Noch vor 200 Jahren – und insgesamt rund eine Million Jahre zuvor – seien Menschen weltweit auf das Feuer als Licht- und Wärmequelle angewiesen gewesen. Deshalb nehme das Feuer einen festen Platz im Leben der Menschen ein, der auch im modernen Zeitalter voller Led-leuchten nicht so schnell weichen werde.
Seit einiger Zeit beobachtet der Naturcoach aus dem baden-württembergischen Wolfach zwei Phänomene: auf der einen Seite eine große Sehnsucht nach ursprünglicher, lebendiger Erfahrung – „und dafür ist das gute alte Lagerfeuer wie geschaffen“. Auf der anderen Seite bemerkt er aber auch „eine erstaunliche Naturentfremdung, die bei manchen Leuten eher eine Furcht oder Vorsicht vor allem Natürlichen – und damit oft Unkontrollierbarem – verstärkt“. Einige müssten erst langsam wieder an das offene Feuer gewöhnt werden, damit sie wieder Freude und Sicherheit an diesem Ur-element empfinden könnten.
Zugleich mache der Umgang mit Feuer Menschen ein Stück weit demütig. Wenn er seine Teilnehmer bitte, selbst ein Feuer mit Feuerstein und Schlageisen zu entfachen, spürten sie, wie viel Energie und Sorgfalt sie dafür aufwenden müssen. „Sie entdecken aber dabei auch, dass der entfachende Funke aus ihnen selbst entspringt und dass Feuermachen somit eigentlich ein kleiner wundervoller Schöpfungsakt ist, der eine Gemeinschaft beleben und versammeln kann.“Diese Erfahrungen seien zwar anachronistisch, aber sie stehen für Lorino für „gelebtes Menschsein – authentisch und mit allen Sinnen am Leben teilnehmend. Die Moderne schuldet uns da noch einen gleichwertigen Ersatz.“