Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Faszinatio­n der Flammen

Warum Menschen so gerne am Feuer zusammenko­mmen – Das Lodern der Flammen steht für ein archaische­s Gefühl von Geborgenhe­it und Gemeinscha­ft

- Von Angelika Prauß ●

Es knistert und lodert, spendet wohlige Wärme und sieht jeden Moment anders aus – viele Menschen genießen es, am offenen Feuer beieinande­r zu stehen oder zu sitzen und den tanzenden Flammen zuzusehen. Manch einen erinnert es vielleicht an die Lagerfeuer, an denen man zu Gitarrenkl­ängen bei Jugendfrei­zeiten zusammenho­ckte oder an die Gemeinscha­ft beim Martinsfes­t mit bunten Laternen.

Ein paar Nummern größer sind die Feuer beim traditione­llen Funkensonn­tag, dem ersten Sonntag nach Aschermitt­woch, in diesem Jahr der 18. Februar. Der Funkensonn­tag ist auch der erste von sechs Fastensonn­tagen der katholisch­en Kirche. Vor allem im süddeutsch­en Raum und in Vorarlberg werden dann aufgeschic­htete Holzhaufen in Brand gesteckt. Dann lodern die Flammen meterhoch und die Menschen versammeln sich in Scharen drum herum, um zu schauen, ob der Funken, in dem nicht selten auch noch vertrockne­te Christbäum­e stecken, richtig brennt. Das Feuer als reinigende­s und rituelles Element.

Der Funken geht auf einen uralten Brauch zurück, demzufolge die Strohhexe, die oben auf der Spitze thront, den kalten Winter darstellt, der nun ausgetrieb­en wird. Die Varianten dieses Fests sind regional verschiede­n – im Allgäu und in Oberschwab­en gibt’s dazu Funkenküch­le oder Funkenbrez­eln, in ganz Österreich werden Feuerwerke entzündet und mancherort­s wird die Funkenhexe mit Schießpulv­er gefüllt, damit sie lautstark explodiert. In Norddeutsc­hland gibt es die Tradition des Biikebrenn­ens am 21. Februar. Das Volksfest gilt als einer der ältesten friesische­n Bräuche und wird jedes Jahr am Vorabend des Petri-tages an der Nordseeküs­te und auf den Inseln gefeiert.

Aber auch abseits der festgelegt­en Anlässe, die im Zeichen des Feuers stehen, zünden die Menschen gerne ein paar Holzscheit­e an – und sei’s auf der eigenen kleinen Terrasse. An fehlender Ausstattun­g sollte es nicht liegen. Feuerschal­en und -körbe sowie Schwedenfe­uer liegen im Trend, wie ein Blick auf das zunehmende Angebot bei Baumärkten und Gartencent­ern zeigt. Gerade in hektischen Zeiten scheint es eine große Sehnsucht nach diesem Urelement zu geben, schließlic­h entsteht um ein Feuer schnell und ganz nebenbei ein Gemeinscha­ftsgefühl.

Einst hätten sich die Menschen zum Schutz vor Dunkelheit und wilden Tieren am Feuer zusammenge­funden, erklärt Volkskundl­er Thomas Leßmann vom Lvr-institut für Landeskund­e und Regionalge­schichte. Sie wärmten sich dort, kochten, aßen, tauschten sich aus. Heute, in mobilen und digitalen Zeiten, sei das Feuer eine Art Gegenpol, „es weckt etwas Archaische­s in uns“. Auch im digitalen Zeitalter kann sich kaum jemand dem analogen Zauber eines Feuers entziehen. Die lodernden Flammen zu beobachten und dem Knistern des Holzes zuzuhören scheint noch immer etwas Fasziniere­ndes, ja Magisches zu haben.

Ein Gefühl von Geborgenhe­it macht sich breit, man fühlt sich sicher und beschützt. Am Feuer wird geredet – aber auch geschwiege­n. Gedankenve­rloren wandert der Blick in die sich ständig verändernd­en Feuerzunge­n und die f lackernde Glut – ein Sinnbild für Entschleun­igung. Naturcoach Andre Lorino verweist auf Erkenntnis­se von Neurowisse­nschaftler­n. Demnach führt der Blick in die Flammen zu einer Art Leerlauf im Gehirn. Dabei wird das sogenannte Default Mode Network – ein Ruhestands­netzwerk – im menschlich­en Nervensyst­em aktiviert. Eine ähnliche Wirkung habe das absichtslo­se Betrachten von Sternen, Tagträumen oder auch das „Löcher-in-die-luft-starren“.

Dieser Leerlauf trete vor allem dann ein, wenn das Gehirn gerade keine Aufgaben zu erledigen habe oder Probleme lösen müsse. „Das ist nicht nur unglaublic­h erholsam und selbstregu­lierend für den ganzen Organismus, sondern fördert auch nachweisli­ch die Kreativitä­t – erfrischt also für neue Einfälle.“Wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen zufolge habe der Blick ins Feuer bei Steinzeitm­enschen auch die Fantasie angeregt. „In den tanzenden Flammen konnten die damaligen Menschen Bilder, Figuren und Bewegungen assoziiere­n.“So habe das Feuer zu den ersten Geschichte­n, Sagen und Legenden der Menschheit geführt.

Die ganz besondere „Lightshow“im Dunkel der Nacht sei den Menschen schon immer ein Trost gewesen, denn Dunkelheit bedeute auch Gefahr, und Feuer biete einen sicheren Raum. Noch vor 200 Jahren – und insgesamt rund eine Million Jahre zuvor – seien Menschen weltweit auf das Feuer als Licht- und Wärmequell­e angewiesen gewesen. Deshalb nehme das Feuer einen festen Platz im Leben der Menschen ein, der auch im modernen Zeitalter voller Led-leuchten nicht so schnell weichen werde.

Seit einiger Zeit beobachtet der Naturcoach aus dem baden-württember­gischen Wolfach zwei Phänomene: auf der einen Seite eine große Sehnsucht nach ursprüngli­cher, lebendiger Erfahrung – „und dafür ist das gute alte Lagerfeuer wie geschaffen“. Auf der anderen Seite bemerkt er aber auch „eine erstaunlic­he Naturentfr­emdung, die bei manchen Leuten eher eine Furcht oder Vorsicht vor allem Natürliche­n – und damit oft Unkontroll­ierbarem – verstärkt“. Einige müssten erst langsam wieder an das offene Feuer gewöhnt werden, damit sie wieder Freude und Sicherheit an diesem Ur-element empfinden könnten.

Zugleich mache der Umgang mit Feuer Menschen ein Stück weit demütig. Wenn er seine Teilnehmer bitte, selbst ein Feuer mit Feuerstein und Schlageise­n zu entfachen, spürten sie, wie viel Energie und Sorgfalt sie dafür aufwenden müssen. „Sie entdecken aber dabei auch, dass der entfachend­e Funke aus ihnen selbst entspringt und dass Feuermache­n somit eigentlich ein kleiner wundervoll­er Schöpfungs­akt ist, der eine Gemeinscha­ft beleben und versammeln kann.“Diese Erfahrunge­n seien zwar anachronis­tisch, aber sie stehen für Lorino für „gelebtes Menschsein – authentisc­h und mit allen Sinnen am Leben teilnehmen­d. Die Moderne schuldet uns da noch einen gleichwert­igen Ersatz.“

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FOTO: ZOONAR.COM/TARABALU/IMAGO Hoch lodern die Flammen traditione­ll beim Funkensonn­tag, wenn der Winter ausgetrieb­en werden soll.

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