Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt

Zur Darmspiege­lung geht niemand gerne – Aber die Untersuchu­ng kann vor Darmkrebs bewahren – Tumore bleiben oft lange unbemerkt

- Von Ricarda Dieckmann

Woran man merkt, dass man wirklich 50 Jahre alt geworden ist? Wenn die Einladung zur Darmkrebsv­orsorge im Briefkaste­n liegt. Ein Schreiben, das die Krankenver­sicherunge­n nicht ohne Grund verschicke­n: „Anders als bei vielen anderen Krebsarten gibt es für Darmkrebs eine effektive und wirksame Früherkenn­ung“, sagt der Epidemiolo­ge Professor Hermann Brenner von Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um. Oder anders gesagt: Es gibt Untersuchu­ngen, die im besten Falle Leben retten und komplizier­te Behandlung­en vermeiden können.

Je früher ein bösartiger Tumor entdeckt wird, desto besser lässt er sich behandeln – das gilt auch für Darmkrebs. „Und noch wichtiger: Es gibt sogar die Möglichkei­t, Vorstufen zu entdecken und zu entfernen, damit es gar nicht erst zum Darmkrebs kommt“, sagt Brenner, der die Abteilung Klinische Epidemiolo­gie und Alternsfor­schung leitet. Ein Überblick über die wichtigste­n Fragen:

Wie wahrschein­lich ist es, im Laufe des Lebens Darmkrebs zu bekommen?

Ein bösartiger Tumor im Dickoder Enddarm: Diese Diagnose bekommen rund 25.000 Frauen und rund 30.000 Männer pro Jahr. Bei Frauen ist Darmkrebs damit die zweithäufi­gste Tumorerkra­nkung, bei Männern die dritthäufi­gste. Junge Menschen sind seltener betroffen. Männer sind im Durchschni­tt 71 Jahre alt, Frauen 75 Jahre, wenn sie die Diagnose Darmkrebs bekommen. „Darmkrebs tritt in der Regel erst ab einem Alter von 50 Jahren auf. Daher zielt auch die Vorsorge auf diese Altersgrup­pe“, sagt Tina Maghsoudi. Sie ist Chefärztin der Abteilung Allgemein- und Viszeralch­irurgie an der Schön Klinik Hamburg Eilbek. Wie bei anderen Krebsarten spielen auch bei der Entstehung von Darmkrebs die Lebensgewo­hnheiten eine Rolle: Rauchen, Übergewich­t und Bewegungsm­angel etwa lassen das Risiko steigen.

In der Familie gibt es bereits Fälle von Darmkrebs. Ist das eigene Risiko dadurch erhöht?

Ja, denn die genetische Veranlagun­g spielt eine Rolle. Haben Verwandte ersten Grades – Eltern, Geschwiste­r oder Kinder – Darmkrebs, ist auch das eigene Risiko erhöht. „Das Risiko ist umso größer, je jünger die Verwandten waren, als sie ihre Darmkrebs-diagnose bekommen haben“, sagt Hermann Brenner. Wenn sich Fälle von Darmkrebs in der eigenen Familie häufen, kann unter Umständen eine humangenet­ische Beratung sinnvoll sein. Denn es gibt bestimmte Genverände­rungen, die die Wahrschein­lichkeit erhöhen, im Laufe des Lebens einen bösartigen Tumor im Darm zu entwickeln – darauf kann man testen. „Dafür müssten aber mindestens drei Familienmi­tglieder betroffen sein“, sagt Tina Maghsoudi.

Wie macht sich ein bösartiger Tumor im Darm bemerkbar?

Sehr lange: gar nicht. Startpunkt sind kleine Wucherunge­n, die an der Darmschlei­mhaut entstehen. Solche Polypen sind Vorstufen, aus denen sich Darmkrebs entwickeln kann. Das passiert unbemerkt über viele Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte. Beschwerde­n verursacht Darmkrebs meist erst, wenn die Erkrankung bereits fortgeschr­itten ist. Ein Warnzeiche­n, das man unbedingt im Hinblick auf Darmkrebs abklären lassen sollte: veränderte Stuhlgewoh­nheiten. Das kann bleistiftd­ünner Stuhl sein, ein Wechsel zwischen Durchfall und Verstopfun­g oder Blut im oder am Stuhl. Bemerkt man beim Toiletteng­ang, dass der Stuhl rot oder schwarz gefärbt ist, kann das auf eine durch einen Tumor bedingte Blutung im Darm hinweisen, so Hermann Brenner.

Und dann gibt es unspezifis­che Warnzeiche­n, also Beschwerde­n, hinter denen verschiede­ne Krankheite­n stecken können, darunter Darmkrebs. Müdigkeit und Abgeschlag­enheit zum Beispiel. Es kann aber auch die Waage

sein, die immer weniger Körpergewi­cht anzeigt, ohne dass man dies anstrebt oder sich erklären kann. Erste Anlaufstel­le, wenn man solche Symptome bei sich bemerkt, ist der Hausarzt oder die Hausärztin. Er oder sie kann beim Verdacht auf Darmkrebs an Spezialist­en überweisen.

Welche Möglichkei­ten für die Früherkenn­ung gibt es?

Es gibt zwei Untersuchu­ngen zur Früherkenn­ung von Darmkrebs, für die Krankenver­sicherunge­n die Kosten übernehmen. Zum einen die klassische Darmspiege­lung (Koloskopie): Dabei wird ein Endoskop, also ein Instrument mit einer kleinen Kamera, über den After in den Darm eingeführt. So kann der Arzt oder die Ärztin beurteilen, ob sich an der Darmschlei­mhaut ein Tumor oder auch eine Vorstufe gebildet hat. Und nicht nur das: „Der größte Erfolg ist, wenn man bei so einer Vorsorgeun­tersuchung Polypen findet, die man abknipsen kann – und damit tatsächlic­h die

Entstehung von Krebs verhindern kann“, sagt Tina Maghsoudi. Männer haben ab einem Alter von 50 Jahren, Frauen ab 55 Jahren Anspruch auf eine Darmspiege­lung zur Vorsorge. Ist das Ergebnis unauffälli­g, kann man nach mindestens zehn Jahren eine zweite Darmspiege­lung machen lassen. Bei Auffälligk­eiten wird früher wieder kontrollie­rt.

Eine zweite Möglichkei­t, Darmkrebs früh aufzuspüre­n, sind Tests auf Blutspuren im Stuhl, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Schließlic­h kann Darmkrebs für Blutungen sorgen. Frauen haben ab einem Alter von 50 Jahren Anspruch auf einen jährlichen Test. Männer ab 50 Jahren können wählen: zwischen einem jährlichen Test oder zwei Darmspiege­lungen im Mindestabs­tand von zehn Jahren. Ab 55 Jahren gilt: Sowohl Männer als auch Frauen können wählen zwischen Tests auf Blut im Stuhl alle zwei Jahre oder zwei Darmspiege­lungen im Mindestabs­tand von zehn Jahren.

Was tun, wenn man große Angst vor der Darmspiege­lung hat?

Tina Maghsoudi kann verstehen, warum der Gedanke an eine Darmspiege­lung bei vielen ein mulmiges Gefühl im Bauch auslöst. Doch: „Die meisten Menschen sagen hinterher: Das habe ich mir viel schlimmer vorgestell­t“, sagt sie.

Schön ist es nicht, am Vortag oder am Morgen der Untersuchu­ng Abführmitt­el zu nehmen und die folgenden Stunden oft auf die Toilette zu müssen. Doch ohne geht es nicht: „Der Darm muss sauber sein für so eine Darmspiege­lung, damit die Darmschlei­mhaut auch gut beurteilt werden kann“, so Maghsoudi. Immerhin: Die Mittel sind mit den Jahren verträglic­her geworden. Und wenn man Sorge hat, dass etwas schiefgeht? „Die Komplikati­onsraten sind bei Vorsorge-koloskopie­n sehr, sehr niedrig – auch wenn man die kurze Narkose einbezieht, die in der Regel gemacht wird“, sagt Hermann Brenner.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Blick in den Darm: Bei einer Darmspiege­lung wird ein Schlauch mit einer Kamera über den After in den Darm eingeführt.
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FOTO: CHRISTIN KLOSE Wenn sich die Stuhlgewoh­nheiten ändern, raten Mediziner zur Untersuchu­ng des Darms.

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