Viel Ablehnung fürs Biosphärengebiet
In Kißlegg hat das Vorhaben schweren Stand – Baden in Kißlegger Seen wäre möglich
- Wäre bei der jüngsten Ratssitzung in Kißlegg über das Biosphärengebiet abgestimmt worden, der Gemeinderat hätte es mit großer Mehrheit abgelehnt. An diesem Stimmungsbild änderte auch der Sachvortrag zum Thema nichts. Franz Bühler vom Prozessteam Biosphärengebiet informierte dabei auch darüber, was ein solches Gebiet für Kißleggs Badeseen und für prominente Moore bedeuten könnte.
Was bedeutet das Biosphärengebiet für Kißlegger Badeseen?
Franz Bühler, der als Teil des Prozessteams die Entscheidungsfindung begleitet, warf in seinem Sachstandsbericht in der öffentlichen Gemeinderatssitzung einen Blick auf die offiziellen Kißlegger Badeseen. Frühere Überlegungen, den Obersee, den Holzmühleweiher sowie den Argensee als Kernzonen auszuweisen, waren im Ort auf wenig Gegenliebe gestoßen. Kernzonen ähneln Naturschutzgebieten, dort ist auch keine Land- oder Forstwirtschaft möglich, für die Jagd gibt es Ausnahmen.
Von Kernzonen ist mittlerweile bei keinem dieser Gewässer mehr die Rede. Und noch eine gute Nachricht hatte Bühler dabei: „Badeseen bleiben, auch wenn es Pflegezonen würden.“Grundsätzlich wäre die Pflegezone, in der neben Landschaftspflege auch die bestehende Bewirtschaftung weiter betrieben werden könnte, bei allen drei Seen denkbar.
Der Holzmühleweiher ist bereits heute Naturschutz- und Ffh-gebiet, ein Flora-fauna-habitat-schutzgebiet. Der bestehende Naturschutz gibt strengere Regeln vor als Pflegezonen. Der Obersee ist teils Ffh-gebiet, der südliche Badebereich ist davon ausgenommen. Bühler sprach von, „wenn überhaupt, dann Pflegezone“. Und auch der Argensee ist bereits heute ein Ffh-gebiet.
Ein Kernaspekt eines möglichen Biosphärengebiets Allgäuoberschwaben wäre der Moorschutz. In Kißlegg ist das Bürgermoos ein Ffh-gebiet in privater Hand, und wäre damit laut Bühler eine mögliche Pflegezone, aber keine Kernzone. Das Gründlenried ist teils Naturschutz-, im
Wesentlichen auch Ffh-gebiet. Es käme als Pflegezone in Betracht, theoretisch in Teilen auch als Kernzone, aber auch dieses ist Privatbesitz. Das Arrisrieder Moos wäre als Naturschutzgebiet als Kernzone geeignet, aber mit Eigentümern abzustimmen, und damit eine mögliche Pflegezone. „Außerhalb der Schutzgebiete wird man ohnehin nichts machen“, betonte Bühler.
Wie stellten sich die Fraktionen zum Biosphärengebiet?
Die Haltung der Cdu-fraktion ist eine klar ablehnende, wie Fraktionsvorsitzender Christoph Dürr sagte. „Die viel beschworenen Vorteile greifen nicht bei uns. Die Nachteile hätten großes Gewicht“, befand er. Die Region prosperiere bereits, der Tourismus laufe. Bereits heute befände sich der Naturschutz im permanenten Konflikt mit baulicher und wirtschaftlicher Entwicklung. „Eine permanente dominante Einschränkung durch den Naturschutz wollen wir nicht haben.“Zudem entscheide der Gemeinderat über den Beitritt, und damit über Flächen, die ihm, beziehungsweise der Gemeinde, nicht gehörten: „Ein absolut ungehöriger Eingriff in Eigentumsrechte.“
Detlef Radke, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Kißlegg, befand: „Das Biosphärengebiet kommt zur Unzeit, schon wieder ist die Landwirtschaft betroffen.“Ihm lag „zu wenig Konkretes auf dem Tisch“. Er kritisierte auch Kosten, die für Personal aber auch für die Entschädigung von Landwirten, die zu Landschaftspflegern würden, entstünden. „Es wird über die Köpfe der Betroffenen hinweg regiert und nicht informiert“, befand Radke, immerhin laufe der Biosphärenprozess seit geraumer Zeit und erst jetzt werde der Rat informiert. „Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht bereit für das Biosphärengebiet.“
„Wenn heute Abstimmung wäre, würde die SPD geschlossen dagegen stimmen“, sagte deren Fraktionsvorsitzender Josef Kunz. Er habe auf Wikipedia gelesen, dass ein Biosphärengebiet eine Modellregion ist, in der nachhaltige Entwicklung in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht verwirklicht werden soll. „Unsere Firmen sind nicht aus einem Entwicklungsgebiet. Wenn uns was fehlt, sind es Arbeitskräfte oder Platz für Industrie“, sagte Kunz. Das regionale Vermarkten funktioniere bereits, „das müssen die nicht von der Unesco lernen.“Bereits zuvor hatte er Befürchtungen geäußert, man gebe mit einem Biosphärengebiet zu viel Entscheidungshoheit aus der Hand. Fakt ist: Biosphärengebiete können, müssen aber nicht, eine Anerkennung durch die Unesco beantragen. Ausbaufähig, so Kunz, sei vielleicht der Tourismus, „aber wir wollen keine Oberstaufener Verhältnisse hier“.
Lediglich Fraktionsvorsitzender Andreas Kolb (GOL/ELK) brach eine Lanze für das Biosphärengebiet. Er widersprach der Darstellung, dass Landwirte enteignet würden, und betonte die Notwendigkeit, den Moorschutz – ein Kernthema des möglichen Biosphärengebiets – voranzutreiben. „Das müssen wir tun, unabhängig davon, ob man sich für ein Biosphärengebiet
entscheidet oder nicht.“
Gab es Antworten auf die Einwände?
Gab es. Timo Egger, Bürgermeister von Fleischwangen, begleitet und koordiniert von Bürgermeisterseite aus den Biosphärenprozess. „Wenn sie sich mehrheitlich hier im Saal dagegen entscheiden, ist das ihr gutes Recht“, sagte er. „Aber ich bitte darum, dass man die Fakten am Schluss anschaut, und darüber dann entscheidet.“Dass so über Flächen von Dritten entschieden würde, sei kein Spezifikum von Biosphärengebieten, sondern demokratisches Recht, sagte er mit Blick etwa auf die Regionalplanung. „Wir werden es nie gegen den Willen der Landeigentümer machen“, betonte er zum Biosphärengebiet, aber auch dort gelte es, abzuwarten, wie diese sich verhielten, wenn alle Daten und Fakten ausgearbeitet seien. Und: Kein Biosphärengebiet einzurichten, schütze nicht automatisch vor schärferen Regeln. „Wenn die EU morgen eine Verschärfung beschließt, kann das bereits jetzt Auswirkungen auf ihre Badeseen haben, denn sie liegen in Schutzgebieten.“Bürgermeister Dieter Krattenmacher, der sich von der Sinnhaftigkeit eines Biosphärengebiets mit Kißlegger Beteiligung alles andere als überzeugt zeigte, betonte allerdings: Das Wichtigste für Klimaschutz und Biodiversität sei, dass Kißleggs Moore nicht so viel CO2 ausstießen. Der Moorschutz müsse also kommen, und dazu brauche man die Landeigentümer. Aus seiner Sicht seien die Instrumente, um Grundstückeigentümer zu entschädigen, bereits vorhanden. Wie der Moorschutz allerdings langfristig bezahlt werden soll, „ist mir völlig unklar“.
Welche Fragen blieben offen?
Grundsätzlich: viele. Das ist normal, denn der Prozess läuft noch. Konkret am Mittwochabend: Sind Windkraftanlagen in Pflegezonen möglich? Bislang nicht, das werde aber aktuell überprüft, so Bühler. Und: Kann eine Gemeinde auch wieder aus dem Biosphärengebiet, so es denn kommt, austreten? Auch diese Frage ist laut Bühler aktuell noch ungeklärt.