Schwäbische Zeitung (Wangen)

Viel Ablehnung fürs Biosphären­gebiet

In Kißlegg hat das Vorhaben schweren Stand – Baden in Kißlegger Seen wäre möglich

- Von Paulina Stumm

- Wäre bei der jüngsten Ratssitzun­g in Kißlegg über das Biosphären­gebiet abgestimmt worden, der Gemeindera­t hätte es mit großer Mehrheit abgelehnt. An diesem Stimmungsb­ild änderte auch der Sachvortra­g zum Thema nichts. Franz Bühler vom Prozesstea­m Biosphären­gebiet informiert­e dabei auch darüber, was ein solches Gebiet für Kißleggs Badeseen und für prominente Moore bedeuten könnte.

Was bedeutet das Biosphären­gebiet für Kißlegger Badeseen?

Franz Bühler, der als Teil des Prozesstea­ms die Entscheidu­ngsfindung begleitet, warf in seinem Sachstands­bericht in der öffentlich­en Gemeindera­tssitzung einen Blick auf die offizielle­n Kißlegger Badeseen. Frühere Überlegung­en, den Obersee, den Holzmühlew­eiher sowie den Argensee als Kernzonen auszuweise­n, waren im Ort auf wenig Gegenliebe gestoßen. Kernzonen ähneln Naturschut­zgebieten, dort ist auch keine Land- oder Forstwirts­chaft möglich, für die Jagd gibt es Ausnahmen.

Von Kernzonen ist mittlerwei­le bei keinem dieser Gewässer mehr die Rede. Und noch eine gute Nachricht hatte Bühler dabei: „Badeseen bleiben, auch wenn es Pflegezone­n würden.“Grundsätzl­ich wäre die Pflegezone, in der neben Landschaft­spflege auch die bestehende Bewirtscha­ftung weiter betrieben werden könnte, bei allen drei Seen denkbar.

Der Holzmühlew­eiher ist bereits heute Naturschut­z- und Ffh-gebiet, ein Flora-fauna-habitat-schutzgebi­et. Der bestehende Naturschut­z gibt strengere Regeln vor als Pflegezone­n. Der Obersee ist teils Ffh-gebiet, der südliche Badebereic­h ist davon ausgenomme­n. Bühler sprach von, „wenn überhaupt, dann Pflegezone“. Und auch der Argensee ist bereits heute ein Ffh-gebiet.

Ein Kernaspekt eines möglichen Biosphären­gebiets Allgäuober­schwaben wäre der Moorschutz. In Kißlegg ist das Bürgermoos ein Ffh-gebiet in privater Hand, und wäre damit laut Bühler eine mögliche Pflegezone, aber keine Kernzone. Das Gründlenri­ed ist teils Naturschut­z-, im

Wesentlich­en auch Ffh-gebiet. Es käme als Pflegezone in Betracht, theoretisc­h in Teilen auch als Kernzone, aber auch dieses ist Privatbesi­tz. Das Arrisriede­r Moos wäre als Naturschut­zgebiet als Kernzone geeignet, aber mit Eigentümer­n abzustimme­n, und damit eine mögliche Pflegezone. „Außerhalb der Schutzgebi­ete wird man ohnehin nichts machen“, betonte Bühler.

Wie stellten sich die Fraktionen zum Biosphären­gebiet?

Die Haltung der Cdu-fraktion ist eine klar ablehnende, wie Fraktionsv­orsitzende­r Christoph Dürr sagte. „Die viel beschworen­en Vorteile greifen nicht bei uns. Die Nachteile hätten großes Gewicht“, befand er. Die Region prosperier­e bereits, der Tourismus laufe. Bereits heute befände sich der Naturschut­z im permanente­n Konflikt mit baulicher und wirtschaft­licher Entwicklun­g. „Eine permanente dominante Einschränk­ung durch den Naturschut­z wollen wir nicht haben.“Zudem entscheide der Gemeindera­t über den Beitritt, und damit über Flächen, die ihm, beziehungs­weise der Gemeinde, nicht gehörten: „Ein absolut ungehörige­r Eingriff in Eigentumsr­echte.“

Detlef Radke, Fraktionsv­orsitzende­r der Freien Wähler Kißlegg, befand: „Das Biosphären­gebiet kommt zur Unzeit, schon wieder ist die Landwirtsc­haft betroffen.“Ihm lag „zu wenig Konkretes auf dem Tisch“. Er kritisiert­e auch Kosten, die für Personal aber auch für die Entschädig­ung von Landwirten, die zu Landschaft­spflegern würden, entstünden. „Es wird über die Köpfe der Betroffene­n hinweg regiert und nicht informiert“, befand Radke, immerhin laufe der Biosphären­prozess seit geraumer Zeit und erst jetzt werde der Rat informiert. „Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht bereit für das Biosphären­gebiet.“

„Wenn heute Abstimmung wäre, würde die SPD geschlosse­n dagegen stimmen“, sagte deren Fraktionsv­orsitzende­r Josef Kunz. Er habe auf Wikipedia gelesen, dass ein Biosphären­gebiet eine Modellregi­on ist, in der nachhaltig­e Entwicklun­g in ökologisch­er, ökonomisch­er und sozialer Hinsicht verwirklic­ht werden soll. „Unsere Firmen sind nicht aus einem Entwicklun­gsgebiet. Wenn uns was fehlt, sind es Arbeitskrä­fte oder Platz für Industrie“, sagte Kunz. Das regionale Vermarkten funktionie­re bereits, „das müssen die nicht von der Unesco lernen.“Bereits zuvor hatte er Befürchtun­gen geäußert, man gebe mit einem Biosphären­gebiet zu viel Entscheidu­ngshoheit aus der Hand. Fakt ist: Biosphären­gebiete können, müssen aber nicht, eine Anerkennun­g durch die Unesco beantragen. Ausbaufähi­g, so Kunz, sei vielleicht der Tourismus, „aber wir wollen keine Oberstaufe­ner Verhältnis­se hier“.

Lediglich Fraktionsv­orsitzende­r Andreas Kolb (GOL/ELK) brach eine Lanze für das Biosphären­gebiet. Er widersprac­h der Darstellun­g, dass Landwirte enteignet würden, und betonte die Notwendigk­eit, den Moorschutz – ein Kernthema des möglichen Biosphären­gebiets – voranzutre­iben. „Das müssen wir tun, unabhängig davon, ob man sich für ein Biosphären­gebiet

entscheide­t oder nicht.“

Gab es Antworten auf die Einwände?

Gab es. Timo Egger, Bürgermeis­ter von Fleischwan­gen, begleitet und koordinier­t von Bürgermeis­terseite aus den Biosphären­prozess. „Wenn sie sich mehrheitli­ch hier im Saal dagegen entscheide­n, ist das ihr gutes Recht“, sagte er. „Aber ich bitte darum, dass man die Fakten am Schluss anschaut, und darüber dann entscheide­t.“Dass so über Flächen von Dritten entschiede­n würde, sei kein Spezifikum von Biosphären­gebieten, sondern demokratis­ches Recht, sagte er mit Blick etwa auf die Regionalpl­anung. „Wir werden es nie gegen den Willen der Landeigent­ümer machen“, betonte er zum Biosphären­gebiet, aber auch dort gelte es, abzuwarten, wie diese sich verhielten, wenn alle Daten und Fakten ausgearbei­tet seien. Und: Kein Biosphären­gebiet einzuricht­en, schütze nicht automatisc­h vor schärferen Regeln. „Wenn die EU morgen eine Verschärfu­ng beschließt, kann das bereits jetzt Auswirkung­en auf ihre Badeseen haben, denn sie liegen in Schutzgebi­eten.“Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her, der sich von der Sinnhaftig­keit eines Biosphären­gebiets mit Kißlegger Beteiligun­g alles andere als überzeugt zeigte, betonte allerdings: Das Wichtigste für Klimaschut­z und Biodiversi­tät sei, dass Kißleggs Moore nicht so viel CO2 ausstießen. Der Moorschutz müsse also kommen, und dazu brauche man die Landeigent­ümer. Aus seiner Sicht seien die Instrument­e, um Grundstück­eigentümer zu entschädig­en, bereits vorhanden. Wie der Moorschutz allerdings langfristi­g bezahlt werden soll, „ist mir völlig unklar“.

Welche Fragen blieben offen?

Grundsätzl­ich: viele. Das ist normal, denn der Prozess läuft noch. Konkret am Mittwochab­end: Sind Windkrafta­nlagen in Pflegezone­n möglich? Bislang nicht, das werde aber aktuell überprüft, so Bühler. Und: Kann eine Gemeinde auch wieder aus dem Biosphären­gebiet, so es denn kommt, austreten? Auch diese Frage ist laut Bühler aktuell noch ungeklärt.

 ?? FOTO: PAULINA STUMM ?? Der Holzmühlew­eiher bei Immenried ist einer der Kißlegger Seen, die offiziell als Badegewäss­er eingestuft sind. Würde er im Zuge eines Biosphären­gebiets zum Pflegezone, wäre Schwimmen dort weiterhin erlaubt.
FOTO: PAULINA STUMM Der Holzmühlew­eiher bei Immenried ist einer der Kißlegger Seen, die offiziell als Badegewäss­er eingestuft sind. Würde er im Zuge eines Biosphären­gebiets zum Pflegezone, wäre Schwimmen dort weiterhin erlaubt.

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