Der große Traum vom Giro d’italia
Radprofi Georg Steinhauser aus Scheidegg startet voller Elan in die neue Saison – Pech bei der UAE-TOUR
- Den 4. Mai 2024 hat Georg Steinhauser jetzt schon fest im Kopf. An diesem Tag will er in Topform sein. Dann beginnt der Giro d’italia. Und wenn alles nach Plan läuft, dürfte der 22 Jahre alte Radprofi aus Scheidegg dann am Start sein. „Es ist eines der größten Rennen, die es gibt“, sagt er über die Italien-rundfahrt, die in einem Atemzug mit der Tour de France und der spanischen Vuelta zu nennen ist – den sogenannten Grand Tours.
Bei der Vuelta hätte Steinhauser im Vorjahr bereits starten sollen – doch eine Corona-infektion verhinderte dies in letzter Minute. Umso mehr geht der Fokus nun in Richtung Giro. Das dreiwöchige Straßenrennen umfasst 21 Etappen mit mehr als 3300 Kilometern. Das Ziel ist Rom – die Ewige Stadt.
Seit zwei Jahren – und noch bis 2026 – steht Steinhauser beim Usprofiteam EF Education-easypost unter Vertrag. Zunächst hatte er parallel die Ausbildung zum Metallbauer im familieneigenen Betrieb abgeschlossen. 2023 war sein „erstes richtiges Jahr als Profi“, sagt er. Er konnte sich voll auf den Sport konzentrieren, wurde unter anderem als bester Deutscher Sechster beim Klassiker Eschborn–frankfurt und gewann die Nachwuchswertung der Route d’occitanie in Südfrankreich.
„Man gewöhnt sich schnell an das Leben als Profi“, sagt Steinhauser. Auch wenn das bedeutet, viel auf Achse zu sein und die meiste Zeit aus dem Koffer zu leben. Spaßeshalber hat er zu Beginn der Vorsaison mal mitgezählt: Von Januar bis März 2023 hat er nur 23 Nächte zu Hause verbracht – aber 67 unterwegs. Er hat allein in dieser Zeit fünf verschiedene Länder besucht und sieben Flüge absolviert. Hinzu kamen 19 Renntage.
Diese Buchführung, die er mit seinen knapp 3200 Followern auf Instagram geteilt hat, hat er längst wieder aufgehört. Zahlen und Statistiken hat er aber dennoch einige im Kopf. Zum Beispiel, dass er 2023 trotz diverser Krankheitstage rund 27.000 Kilometer
auf dem Fahrrad abgespult hat. Oder dass er und seine Teamkollegen während eines fünfstündigen Rennens umgerechnet etwa ein halbes Kilogramm Zucker zu sich nehmen. Natürlich nicht pur, sondern vor allem durch Gels und Riegel, die für Energienachschub sorgen.
Überhaupt spielt die Ernährung im Leben eines Radprofis eine wichtige Rolle. „Man muss lernen, die richtigen Sachen zum richtigen Zeitpunkt zu essen“, sagt Steinhauser – und ergänzt mit Blick auf die genannte Zuckermenge: „Man muss dem Körper beibringen, dass er diese Energie aufnehmen und auch richtig verwerten kann.“Das sei auch eine Form des Trainings.
Apropos Training: Dem hat der 22-Jährige seinen Alltag längst angepasst. „Ich habe als Profi jetzt mehr Zeit – aber die muss ich auch nutzen“, sagt Steinhauser. Ein typischer Tag für ihn beginnt um 7 Uhr. Spätestens um 10 Uhr sitzt er auf dem Rad – und fährt in der Regel zwischen drei und sechs
Stunden. Selbst an Ruhetagen sitzt er ein bis zwei Stunden im Sattel. Stabilisations- und Dehnübungen dürfen nicht fehlen.
Seine Stärken ausbauen, an den Schwächen arbeiten – so lautet das Motto. „Ich komme die Berge ganz gut hoch. Auch Rundfahrten und Zeitfahren liegen mir. Ich bin allerdings kein Sprinter“, sagt Steinhauser, der einst beim SC Scheidegg als Mountainbiker angefangen hat und später für die Rad-union Wangen gefahren ist.
Auch privat hat er ein neues Kapitel aufgeschlagen. Kürzlich ist er aus seinem Elternhaus ausgezogen. Mit 22 sei das an der Zeit, findet er. Steinhauser wohnt jetzt jenseits der Landesgrenze – im 15 Kilometer entfernten Lochau. Dort ist er in bester Gesellschaft. Etliche Radprofis leben in der kleinen Vorarlberger Gemeinde. Emanuel Buchmann von Borahansgrohe zum Beispiel, Rüdiger Selig vom Astana Qazaqstan Team, Michael Schwarzmann von Israel-premier Tech – und dessen
Teamkollege Pascal Ackermann, der übrigens 2019 als erster Deutscher in der Geschichte des Giro d’italia die Punktewertung gewonnen hatte.
Obwohl die Profis für unterschiedliche Teams fahren und verschiedene Fahrertypen sind, trainieren sie häufig miteinander. Vor allem im Winter, wenn die Grundlagen gelegt werden. Dazu gibt es eine eigene Whatsapp-gruppe. Als Treffpunkt dient meist ein Radgeschäft in Bregenz. Gemeinsame Kaffeepause inklusive. Auch diese geballte Radsport-power war ein Grund für Steinhauser, nach Lochau zu ziehen. Er fühlt sich wohl in den eigenen vier Wänden. „Das Trainingsgebiet ist perfekt“, sagt Steinhauser. Abwechslungsreich, anspruchsvoll. Der Pfänder und der Bregenzerwald sind gleich ums Eck, um ordentlich Höhenmeter zu sammeln. Zugleich gibt es am malerischen Bodensee etliche kilometerlange Flachstücke wie den Rheindamm.
Apropos Schweiz: Seine Freundin
stammt von dort – insofern hat sich Lochau als Mittelpunkt zwischen Scheidegg und deren Wohnort angeboten. Nicht zuletzt ist er von hier aus in nur eineinhalb Stunden am Flughafen in Zürich. Pech hatte Steinhauser zu Beginn dieser Woche bei der UAETOUR in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Nach einem technischen Defekt musste der Allgäuer schon nach der ersten Etappe aussteigen. Die kommenden Wochen und Monate sind durchgetaktet: Von der Katalonien-rundfahrt im März geht es ins Höhentrainingslager nach Isola 2000 (französische Seealpen), dann zur Tour of the Alps. Möglicherweise nimmt er wieder Eschborn–frankfurt mit – und dann hoffentlich als Saisonhöhepunkt den Giro d’italia. „Es können zwar viele Faktoren zusammenkommen, aber der grobe Plan steht“, sagt der 1,88 Meter große Scheidegger. Im zweiten Halbjahr könnten die deutsche Meisterschaft, die WM und die Deutschlandtour dazukommen.