Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Nicht jeder Afd-wähler ist rechtsradi­kal“

Csu-fraktionsc­hef Holetschek über den Frust vieler Menschen und was das mit der aktuellen Politik zu tun hat

- Von Markus Raffler und Helmut Kustermann

- Warum er Grünenmini­ster Özdemir für „verbohrt“hält und was er Hubert Aiwanger vorwirft, erläutert Staatsmini­ster a. D. Klaus Holetschek im Interview ebenso wie drängende Allgäuer Themen.

Sie sind jetzt gut drei Monate im Amt. Was machen Sie anders als ihr Vorgänger Thomas Kreuzer aus Kempten?

Klaus Holetschek: Mir ist wichtig, dass wir als Mannschaft auftreten und mit eigenen Themen sichtbarer werden. Ich wurde 2013 erstmals in den Landtag gewählt und habe in dieser Zeit viel von Thomas Kreuzer gelernt. Er ist ein sehr kluger Kopf, der auch viel für das Allgäu bewirkt hat. Aber ich habe einen anderen Führungsst­il als er.

Welche drängenden Allgäuer Themen sehen Sie aktuell?

Holetschek: Den Wunsch nach einer Elektrifiz­ierung weiterer Bahnstreck­en, ebenso den B12-ausbau. Mit der Hochschule Kempten wollen wir weitere Innovation­en auf den Weg bringen, das ist der Treiber für eine gute wirtschaft­liche Entwicklun­g. In der Region spielt die Landwirtsc­haft eine große Rolle, das merken wir gerade jetzt. Auch die Pf lege bleibt ein großes Thema. Hier schauen wir, wie Digitalisi­erung helfen und Künstliche Intelligen­z uns nutzen kann.

Auch im Allgäu haben viele Menschen den Eindruck, dass politische Entscheidu­ngen während der Corona-pandemie, etwa Lockdowns und Ausgangssp­erren, nie richtig aufgearbei­tet wurden. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf ?

Holetschek: Wir arbeiten diese Themen im Ministeriu­m durchaus auf. Es gibt auch immer

wieder neue wissenscha­ftliche Studien, etwa zu den Schulschli­eßungen. Außerdem haben wir ein Pandemie-zentrallag­er zur Vorhaltung von Schutzausr­üstung etabliert. Mit dem Wissen von heute würde man sicher manche Entscheidu­ng anders fällen. Aber in der Pandemie war es wichtig, Verantwort­ung zu übernehmen und Menschenle­ben zu retten. Diejenigen, die heute alles besser wissen, waren damals in aller Regel nicht sichtbar.

Bauernprot­este dominieren derzeit die Schlagzeil­en. Die CSU stellt sich an die Seite der Landwirte und kritisiert die Ampelkoali­tion. Doch die Union gehörte lange der Bundesregi­erung an und hat ebenfalls Fehler gemacht.

Holetschek: Es kann keiner für sich beanspruch­en, dass er alles richtig macht. Ich glaube aber, dass vieles in der Vergangenh­eit gut gelaufen ist. Die Arbeitslos­igkeit wurde halbiert und ein schuldenfr­eier Haushalt etabliert. Jetzt ist die Unzufriede­nheit

mit der Bundesregi­erung so groß wie nie. Zur Agrarpolit­ik muss man sagen, dass sie immer komplexer geworden ist und immer mehr von Brüssel gesteuert wird. Die Chance dieser Proteste ist, dass der Fokus in Politik und Medien wieder auf der Landwirtsc­haft liegt. Darum muss man jetzt klar machen, dass es nicht nur um den Agrardiese­l geht, sondern um die grundsätzl­iche Frage, wohin sich die Landwirtsc­haft entwickelt. Die Ampel schafft Dinge über Nacht ab und lässt die Bauern bewusst im Regen stehen.

Die Ampelkoali­tion will die Anbindehal­tung abschaffen. Bauern befürchten ein „Massenster­ben“in der Landwirtsc­haft, denn der nötige Umbau von Ställen kostet viel Geld. Wie groß ist die Chance, dass man hier zugunsten der Bauern noch etwas bewegen kann?

Holetschek: Ich hoffe, sie ist groß. Denn ich gehe davon aus, dass diese Bundesregi­erung nicht mehr so lange im Amt ist und ein neuer Landwirtsc­haftsminis­ter das anders sieht. Der jetzige Minister Cem Özdemir hat sich klar in Richtung eines Verbots positionie­rt.

Halten Sie Herrn Özdemir in diesem Punkt für verbohrt?

Holetschek: Ja. Wie man hört, strebt er ja eine Kandidatur als Ministerpr­äsident in Badenwürtt­emberg an. Also in einem Land, das sehr bodenständ­ig ist. Da wird es spannend, wie er sich mit seinen aus Berlin mitgebrach­ten Ideen durchsetzt. Derzeit mauert sich Özdemir immer mehr in seine Ideologie ein.

Manche Bauern feiern Bayerns Wirtschaft­sminister Aiwanger mit „Hubsi“-sprechchör­en. Laufen die Freien Wähler bei den Landwirten der CSU den Rang ab?

Holetschek: Ich habe kein Problem, wenn man Solidaritä­t mit den Landwirten zeigt. Das sollte jeder tun. Aber in der Wirtschaft­spolitik haben wir halt auch andere Bereiche, zudem ist unser Land in schwierige­n Zeiten. Darum brauchen wir einen Wirtschaft­sminister, der seine ureigenste­n Themen extrem beackert. Für mich hat der ländliche Raum ein riesiges Entwicklun­gspotenzia­l und ist Zukunftsre­gion. Und natürlich konkurrier­en CSU und Freie Wähler um die dortige Wählerscha­ft.

Also müsste der Wirtschaft­sminister mehr Präsenz zeigen?

Holetschek: Ich glaube schon, dass man neben den Themen, die er zuletzt besetzt hat, weitere in den Fokus nehmen muss. Wenn er nach dem verlorenen Bürgerents­cheid zum Windpark bei Altötting sagt, dass er für die Windenergi­e nicht zuständig sei, dann verstehe ich das tatsächlic­h nicht. Schließlic­h ist er der Energiemin­ister.

Neben der Energiepol­itik gibt es weitere Themen, über die ohne durchschla­genden Erfolg diskutiert wird: Asyl-problem, Fachkräfte-mangel, Bürokratie. Können Sie verstehen, dass Menschen das Vertrauen in die etablierte­n Parteien verlieren?

Holetschek: Ich mache das zunächst mal an der Ampelkoali­tion fest: Die Menschen haben Vertrauen verloren, weil sie nicht sehen, dass die Politik ihre Probleme löst. Und weil auch die Kommunikat­ion schlecht ist, siehe Heizungsge­setz und Agrardiese­l. Und dann reden wir über die Bezahlkart­e für Asylbewerb­er, die dringend nötig ist, und wo die Grünen plötzlich sagen, dass man sie gar nicht braucht. Da fragen sich die Menschen zurecht, was jetzt wieder los ist.

Und wie steht es um den Abbau von Bürokratie?

Holetschek: Das sind extrem schwierige Prozesse. Es ist aber unabdingba­r, dass wir das jetzt angehen. Vielleicht brauchen wir auch eine Verwaltung­sreform, um das Leben der Menschen einfacher zu machen. Es nützt nichts, einfach nur ein Formular abzuschaff­en. Die Gesellscha­ft muss vielmehr dazu bereit sein, dass wir nicht mehr 100 Prozent regeln, sondern nur noch 80.

Wie könnte eine solche Reform aussehen?

Holetschek: Das werden wir jetzt entwickeln. Ich möchte bei diesem Thema eine Enquetekom­mission im Landtag anstoßen. In einem solchen Gremium sitzen Abgeordnet­e ebenso wie Wissenscha­ftler und Sachverstä­ndige aus der Praxis. Wir brauchen einen grundsätzl­ichen Blick auf die Frage, was eigentlich ein moderner Staat ist. Da geht es auch darum, wie wir vielleicht zu komplex gewordene Standards auf lösen können.

Lange ungelöste Probleme helfen der AFD, die immer stärker wird. Man hat den Eindruck, dass die etablierte­n Parteien deren Aufstieg ziemlich machtlos gegenübers­tehen. Stimmt das?

Holetschek: Das beste Rezept ist, die Probleme der Menschen zu lösen. Nicht jeder Afd-wähler ist rechtsradi­kal oder gar ein Nazi. Aber die Leute sind frustriert, weil sie nicht sehen, wohin es geht. Es fehlt die Zuverlässi­gkeit, das ist auch ein großes Problem für die Wirtschaft. Deswegen wächst die AFD. Das entbindet uns aber nicht von der Verpf lichtung, diese Partei im Landtag zu stellen. Denn die Funktionär­e dieser AFD sind zum großen Teil rechtsradi­kal. Deren Gedankengu­t aus Zeiten des Nationalso­zialismus müssen wir bekämpfen. Die Menschen werden die AFD erst dann nicht mehr wählen, wenn sie sehen, dass der Staat wieder Probleme lösen kann.

Die Parteienla­ndschaft verändert sich weiter, es gibt jetzt auch das Bündnis Sahra Wagenknech­t und die Werteunion. Wie sehr sorgt es Sie, dass die politische Konkurrenz immer größer wird?

Holetschek: Die Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft haben andere Länder ja schon erlebt. Das macht es nicht einfacher. Ich mache mir aber für Bayern weniger Sorgen. Bei den neuesten Umfragen liegt die CSU bei 40 Prozent, wir sind stabil unterwegs. Unser Anspruch muss weiter lauten, eine der wenigen europäisch­en Volksparte­ien zu bleiben.

Dennoch stellt sich die Frage, wie die Union wieder an Profil gewinnen kann. Viele parteipoli­tische Positionen scheinen inzwischen austauschb­ar zu sein.

Holetschek: Wir müssen weiter den Spagat schaffen zwischen Gigabytes und Gummistief­eln. Es geht darum, Tradition und Moderne unter einen Hut zu bringen. Wichtig ist auch, bundespoli­tisch sichtbar zu sein. In der Rangliste der beliebtest­en deutschen Politiker liegt Markus Söder auf Rang zwei, hinter Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius. Ich frage mich dann immer, warum es bei Kanzlerkan­didaturen überhaupt keine Rolle mehr spielt, wer da wo steht.

Heißt das, dass Söder wieder als Kanzlerkan­didat der Union ins Rennen gehen sollte?

Holetschek: Ich glaube, dass sich diese Frage nicht mehr stellt. Zumal das Amt des bayerische­n Ministerpr­äsidenten auch bundespoli­tisch viele Gestaltung­smöglichke­iten bietet. Trotzdem muss man sich fragen, was es bedeutet, wenn Söder auf der Skala so weit oben steht. Es geht ja auch darum, wie man als Union in den Bundestags­wahlkampf geht. Markus Söder muss aber nicht unbedingt in Berlin sein, um in der Bundespoli­tik eine zentrale Rolle zu spielen.

Sie stehen Söder seit Jahren sehr loyal gegenüber. Ist das nicht ein Widerspruc­h zu Ihrer neuen Funktion? Die Fraktion hat ja in einigen Punkten andere Vorstellun­gen als der Ministerpr­äsident.

Holetschek: Der Anspruch ist, als Fraktion Themen zu setzen. Aber natürlich arbeiten wir eng mit der Staatsregi­erung zusammen. Im Moment gibt es keine Spannungsf­elder, das läuft sehr gut. Wobei ich mit meinem Vorstoß für ein verpflicht­endes Gesellscha­ftsjahr einen anderen Schwerpunk­t setze. Wir müssen aber auch über die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t nachdenken. Denn ich habe nicht den Eindruck, dass wir militärisc­h gut aufgestell­t sind. Das hat sich auch bei der Sicherheit­skonferenz in München gezeigt. Wir müssen Europa verteidigu­ngsfähig machen.

Aber wo soll das Geld herkommen? Es geht ja weiter: Die Pflegevers­icherung ist unterfinan­ziert und für die Krankenhau­s-reform ist eine Riesen-summe nötig, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Holetschek: Man könnte zum Beispiel eine Milliarde beim Bürgergeld einsparen, um die Pflegevers­icherung besser auszustatt­en. Eine Priorität muss doch sein, dass die medizinisc­he Versorgung gut läuft. Zumal das Bürgergeld ja der Einstieg in ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen sein könnte. Und das wollen wir als CSU nicht.

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FOTO: RALF LIENERT „Die Ampel lässt die Bauern im Regen stehen“, moniert Csu-fraktionsc­hef Holetschek.

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