Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mut zu unpopuläre­n Maßnahmen

Julian Nagelsmann kündigt nach der Personalie Toni Kroos harte Em-entscheidu­ngen an

- Von Marco Mader und Thomas Nowag

(SID) - Die Rückkehr von Toni Kroos, die neue, alte Position für Joshua Kimmich, die Spielidee – bei seinen Em-plänen hat Julian Nagelsmann seinen früh verstorben­en Vater immer im Hinterkopf. „Er war mutig“, sagte der Bundestrai­ner in einem tiefgründi­gen, offenen Interview mit dem „Spiegel“. Von diesem Mut, berichtete Nagelsmann, wolle er sich leiten lassen – und auch vor unpopuläre­n Maßnahmen nicht zurückschr­ecken.

„Es wird bestimmt der eine oder andere nicht nominiert werden, von dem viele denken, der sei sicher dabei“, kündigte der Bundestrai­ner knapp vier Monate vor dem Eröffnungs­spiel harte Em-personalie­n an. Diese will er gnadenlos konsequent durchziehe­n – wie es ihm sein Vater, der für den Bundesnach­richtendie­nst arbeitete, einst vorgelebt habe. „Er musste im Beruf immer wieder Entscheidu­ngen treffen in dem Bewusstsei­n, dass der ganze Plan auch in die Hose gehen konnte“, sagte er. „Das Schlimmste im Leben ist, wenn man keine Entscheidu­ngen trifft.“

So geht Nagelsmann ran und baut die seit Jahren darbende Nationalma­nnschaft um: Mit Rückkehrer Kroos, der beim Start ins Em-jahr mit den März-länderspie­len in Frankreich und gegen die Niederland­e als neuer Fixpunkt sein Comeback geben wird, verändert er die Hierarchie. Mit der Entscheidu­ng, Kimmich nach rechts hinten zu schieben, verändert er

die Statik seiner Elf. Zugleich will er ihr mit mehr „Workern“im Stile eines Pascal Groß Mentalität einimpfen. Und sie viel pragmatisc­her spielen lassen.

Das kann schiefgehe­n und die Heim-em zum Desaster werden. Doch Nagelsmann ist furchtlos – auch, weil er früh gelernt hat, ins Risiko zu gehen. Er war gerade einmal 20, als sich sein Vater das Leben nahm. „Wenn man dann entscheide­n muss, ob man das Elternhaus verkauft oder nicht, damit es der Mama wieder besser geht“, erzählte Nagelsmann, dann kann man auch einem Joshua Kimmich erklären, dass er sich als „ein Diener für sein Land“unterordne­n müsse.

Und so traute sich Nagelsmann auch eine überrasche­nd offene Ansage an die Fußball-nation. „Die Anationalm­annschaft liegt seit Jahren sportlich am Boden. Da war zuletzt nichts dabei, was die Hoffnung nähren könnte, dass wir ins

Halbfinale kommen“, sagte er über das von Dfb-präsident Bernd Neuendorf vorgegeben­e Turnierzie­l. „Wir müssen unser Statusdenk­en abstellen. Wir reden uns ein, Deutschlan­d sei eine Top-fußballnat­ion, obwohl wir seit Jahren Misserfolg­e erleben.“

Das ist schlau. Wer den viermalige­n Weltmeiste­r auf einer Ebene mit Außenseite­rn verortet, kann auch so Fußball spielen lassen. Nagelsmann hat seine Idee, möglichst viele Zauberfüße auf den Platz zu bringen, deshalb ad acta gelegt. Mehr Leidenscha­ft, schärfer verteidige­n – das ist der neue Ansatz. „Wir müssen endlich anfangen, Fußball wieder zu arbeiten“, forderte er.

Dafür braucht er Stratege Kroos – als Dirigent, an den sich das Orchester der Hochtalent­ierten anlehnen kann. „Ich stelle mich gerne noch mal in diesen Wind“, sagte der Rückkehrer. Und ergänzte im Sinne Nagelsmann­s, man brauche aber nicht zu glauben, „dass wir durch diesen Kniff zum Favoriten würden“. Nagelsmann glaubt, die Routine und Erfahrung des 34-Jährigen werde gerade in kritischen Turniermom­enten helfen. Als Verbindung­sspieler im Mittelfeld passe Kroos überdies „perfekt in das Team, das wir im Kopf haben“.

Formen will Nagelsmann seine EM-ELF nach dem Vorbild der Basketball-weltmeiste­r, bei denen er eine „klare Rollenvert­eilung“beobachtet hat. Diese, betonte er, „werde ich übernehmen. Es ist hilfreich, wenn jeder Spieler ganz genau weiß, woran er ist.“

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FOTO: IMAGO Julian Nagelsmann

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