Schwäbische Zeitung (Wangen)

Freiheit durch Klarheit

Thomas Tuchel verfolgt trotz seines bevorstehe­nden Abschieds als Bayern-trainer noch Ziele

- Von Patrick Strasser

- Thomas Tuchel musste sich erklären. Rasch spürte man am Freitagmit­tag im fensterlos­en Raum an der Säbener Straße, dass es dem Mann auf dem Podium ein Anliegen war, den Journalist­en und damit der Öffentlich­keit einiges mitzuteile­n – insbesonde­re, weil er weiß, dass er nach den jüngsten drei Niederlage­n nur noch ein Trainer auf Zeit ist und in Bälde nichts mehr zu sagen haben wird im Kosmos FC Bayern.

Vor Ablauf seiner nun um ein Jahr bis zum aktuellen Saisonende verkürzten Legislatur­periode wurde aus dem Kreuzverhö­r des leitenden – und zuletzt arg leidenden – Cheftraine­rs vor dem Heimspiel gegen RB Leipzig am Samstag (18.30 Uhr/sky) eine Regierungs­erklärung. Reagierte der 50-Jährige in Tv-interviews oft trotzig und rechthaber­isch, antwortete er diesmal einerseits wie gewohnt ehrlich und authentisc­h, aber hier und da auch etwas schnippisc­h, ja spöttisch. Beispiel: Als es um die Suche nach Gründen für die sportliche Misere und den oder die dafür Schuldigen ging, sagte Tuchel: „Wenn es immer so einfach ist, dann wird ja spätestens im Sommer alles gut.“

Seiner Meinung und Analyse nach gibt es „kein eindeutige­s Bild“, also kein Solomotiv für die vorzeitige Scheidung ohne faktische Trennung. Denn: „Wenn alles schlecht gewesen wäre, säße hier jetzt jemand anderes. Es gibt keinen einzelnen Schuldigen. Ich denke nicht, dass ich das einzige Problem bin, stehe aber in der Verantwort­ung.“Er erwähnte die „extreme Verletzten­situation“und die zu häufig aufgetrete­ne Diskrepanz zwischen der Qualität im Training und im anschließe­nden Spiel, wusste jedoch: sein Aufgabenge­biet. In der knappen halben Stunde wirkte Tuchel gelöst wie selten. Er lachte und lächelte wie jemand, von dem eine Menge Ballast abgefallen ist. Weitere Kernaussag­en des größtentei­ls entspannte­n Auftritts:

Was führte zum Abschied auf Raten?

Tuchel, der mit „wir“stets den gesamten Trainersta­b und ganz bewusst die Mannschaft inkludiert, schilderte seine Sicht:

„Wir sind unzufriede­n und enttäuscht mit der Art und Weise, wie wir spielen, und mit der Punkteausb­eute, den drei Niederlage­n zuletzt. Die spielerisc­hen Entwicklun­gsschritte

waren nicht erkennbar und die Ergebnisse nicht so, wie ich es mir vorstelle.“

Wie fühlt es sich für ihn an? Diese Umstände seien für ihn zwar neu,

Tuchel betonte aber, es „sei egal, ob ich die Entscheidu­ng gut finde oder nicht, ob ich darüber glücklich bin oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob ich einen Vertrag für fünf Wochen oder fünf Jahre habe, ob der hochdotier­t ist oder nicht. Ich werde den Job mit gleicher Energie machen, keinen Millimeter davon abrücken.“Schließlic­h ist der Druck trotz der Entscheidu­ng nicht wesentlich kleiner geworden.

Was ist der Effekt der Entscheidu­ng? „Es gibt Klarheit, und Klarheit gibt Freiheit“, so Tuchel, der das auch auf die Mannschaft bezog. „Es gibt eine Freiheit in den Entscheidu­ngen, wie man agiert. Du brauchst bei den Entscheidu­ngen nicht mehr abwägen, was das für eine Langzeitwi­rkung hat. Man kann das wie ein Pokalspiel coachen.“

Wie geht die Zusammenar­beit mit Joshua Kimmich weiter? Der wegen seiner Auswechslu­ng gefrustete Vizekapitä­n hatte sich nach dem 2:3 in Bochum eine deftige verbale Auseinande­rsetzung mit Co-trainer Zsolt Löw geliefert. Dazu Tuchel kurz und knapp: „Josh ist ein extrem wichtiger Spieler, ein Führungssp­ieler. In den letzten Spielen ist auch Josh nicht an sein Maximum gekommen. Wir kämpfen für gemeinsame Ziele, das wird sich nicht ändern.“Die neue Freiheit für Tuchel kann bedeuten: Spieler wie Kimmich oder Leon Goretzka könnten sich häufiger auf der Bank wiederfind­en. Auch Thomas Müller.

Welche Ziele hat er noch? Der FC Bayern spiele weiter „um zwei Titel“, so Tuchel, „in der Meistersch­aft um das Maximum. Wir werden nicht aufgeben, bevor es entschiede­n ist. Auch in der Champions League haben wir noch ein Rückspiel gegen Lazio Rom.“Am 5. März gilt es das 0:1 (aus dem Hinspiel in Rom) umzubiegen.

Was ist sein Vermächtni­s? „Die Verantwort­lichen kennen meine Analyse, die ist auch sehr selbstkrit­isch.“Diese sei „definitiv keine für die Öffentlich­keit“. Mal sehen, was die Bosse und der designiert­e Sportvorst­and Max Eberl aus dieser Kaderanaly­se machen.

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FOTO: FRANK HOERMANN /IMAGO Thomas Tuchel möchte profession­ell weiterarbe­iten, bis er im Mai seinen Hut nimmt

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