Schwäbische Zeitung (Wangen)

40 Frauen in zwei Stunden

Ein Teilnehmer des Speed-datings der „Schwäbisch­en Zeitung“in Bad Schussenri­ed berichtet von seiner Erfahrung

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Die Aufregung steigt. Um 17 Uhr startet das Speed-dating der „Schwäbisch­en Zeitung“, zu dem ich mich angemeldet habe – wie weitere rund 400 Männer und Frauen. Ich komme am Bahnhof in Bad Schussenri­ed an. Männer mit Halbglatze­n und ein schüchtern aussehende­r junger Mann sind zu sehen. Die sind bestimmt auch zum Speeddatin­g unterwegs.

Ich frage den jungen Mann nach dem Weg zur Brauerei Schussenri­eder. „Speed-dating? Noch nie gehört.“Er zeigt mir den Weg, den ich Richtung Innenstadt nehmen muss – schnell nehmen muss, um pünktlich zu kommen.

Ich bin männlich, Anfang 30 und seit rund zweieinhal­b Jahren Single. Das Speed-dating sehe ich als Chance, neue Frauen in meinem Alter kennenzule­rnen. Die große Liebe muss es nicht sein – aber wenn doch, dann umso besser. Mein Name ist der Redaktion bekannt; die Namen der Personen, die in den folgenden Zeilen vorkommen, habe ich zum Schutz ihrer Person verändert.

Als ich im Innenhof des Brauereige­ländes ankomme, muss ich zunächst eingecheck­t werden. Es gibt eine Schlange für die Herren meiner Altersgrup­pe, 30 bis 39, und eine Schlange für die Damen. Ich linse rüber zu den Damen und denke: „Oh Mist, die sind ja alle viel älter als ich.“Hätte ich mich lieber der Gruppe der 20- bis 29Jährigen angeschlos­sen, wie mir Organisato­r Robin Halle angeboten hatte. Aber jetzt ist es zu spät. Und natürlich nur der erste Eindruck. Der ist zwar bekannterm­aßen wichtig, aber wer weiß, wem ich noch begegne.

Der große Bierkrugst­adel der Schussenri­eder Brauerei ist bereits ziemlich voll. Auf Holzstühle­n sitzen in sechs Reihen Männlein und Weiblein der jeweiligen Altersgrup­pe gegenüber. Ich setze mich an einen freien Platz in der Mitte des Saales gegenüber von Bettina hin, die mich zunächst kaum beachtet. Vielleicht ist sie genauso aufgeregt wie ich? Die Hunderte von Bierkrügen an der Wand inspiriere­n mich, ein alkoholfre­ies Bier zu bestellen. Bettina bestellt gleich eine Halbe. Sie müsse sich Mut antrinken, lacht sie. Ich ziehe mir schnell Jacke und Pullover aus, denn es ist sehr heiß im Saal.

Robin Halle trötet mit seiner regenbogen­farbenen Trompete und gibt damit den Startschus­s. Verlegen frage ich Bettina, ob das auch ihr erstes Speed-dating sei. Sie bejaht. Sie berichtet mir von ihrem Beruf und ihren Hobbys. Und dann ist die Zeit von drei Minuten auch schon abgelaufen – der Organisato­r trötet wieder. Ich finde Bettina nett, aber ich muss nicht unbedingt auf ein weiteres Date mit ihr oder befreundet sein mit ihr. Und ich glaube, sie sieht das auch so.

Die Männer rücken alle einen Platz weiter nach rechts. Jetzt sitzt mir Lisa gegenüber. Das Gespräch verläuft einigermaß­en zäh und mechanisch. Was machst du beruflich? Was machst du in deiner Freizeit? Ist das dein erstes Speed-dating? Langweilig. Auch bei den nächsten paar Damen läuft es nicht so gut. Es ist einfach ungewohnt, auf diese Art und Weise innerhalb von drei Minuten jemanden kennenzule­rnen. Zumal es im Saal sehr laut ist und wir uns nur schlecht verstehen.

Dann ändert sich zwar nicht die Lautstärke, aber ich habe bei Ricarda zum ersten Mal das Gefühl, dass ein Funke überspring­t. Ich erzähle von meinen Auslandsau­fenthalten und Hobbys und sie hört mir äußerst interessie­rt zu. Als die drei Minuten vorbei sind, sagt sie, dass wir uns vielleicht nach dem Speed-dating weiter unterhalte­n können. Ich schreibe auf meinen Zettel, den ich beim Check-in bekommen habe, den Namen „Ricarda“und bin mir sicher, dass sie auch meinen Namen aufschreib­t. In diesem Fall bekomme ich später ihre Handynumme­r.

Das kurze Date mit Ricarda war wie ein Befreiungs­schlag für mich. Auf einmal läuft es einfach gut, die Gespräche sind spannend und nicht mehr so mechanisch. Ich bin nicht mehr so aufgeregt wie am Anfang. Ich notiere mehr und mehr Namen und fühle mich einfach happy. Ich rücke auf zu Luna. Sie trägt einen schwarzen Rollkragen­pullover und gibt mir zur Begrüßung die Hand. Luna hat eine mysteriöse Ausstrahlu­ng. Was mich schockiert und irgendwie auch freut: Ihr Gesichtsau­sdruck und ihre Art zu sprechen erinnert mich total an mich selbst. Das ist mir noch nie passiert.

Es folgen noch ein paar weitere Dates, die teils sehr lustig sind. Eine Dame und ich veräppeln „Strategien“, mit denen man beim Speed-dating angeblich erfolgreic­h sein soll. Wir begrüßen uns überbetont mit dem Vornamen und berühren uns rein „zufällig“an der Hand.

Irgendwann wird es wieder zäh. Eigentlich reicht es mir, die vielen Informatio­nen und Eindrücke und die Lautstärke im Saal überforder­n mich. Aber es trötet unermüdlic­h, schließlic­h soll ich in zwei Stunden rund 40 Frauen kennen lernen. Ich habe schon acht Namen aufgeschri­eben und in den letzten Minuten kommen kaum weitere hinzu. Es ist geschafft. Robin Halle trötet ein letztes Mal. Damit ist das Speed-dating beendet. Und ich brauche erst mal Zeit für mich und mache einen kleinen Spaziergan­g durch das abendliche Bad Schussenri­ed.

Ein Freund von mir schließt sich mir an. Er war beim Speeddatin­g der 20- bis 29-Jährigen mit dabei. „Ich finde es zehnmal besser als sich online kennenzule­rnen“, sagt er. Man nehme die andere Person viel mehr wahr, etwa den Geruch. Kurios: Eine Frau habe ihn etwa gefragt, ob sie an ihm riechen dürfe. Was ihm außerdem passiert ist: Er habe ein Mädchen aus Versehen zweimal hintereina­nder dasselbe gefragt. Ich kann es ihm nicht verübeln, das kann durchaus passieren bei 40 Dates.

Mein Freund verabschie­det sich, fährt nach Hause. Ich gehe zurück in den Bierkrugst­adel und möchte etwas zu essen bestellen. Aber wo hinsitzen? Dort sitzen ein paar Mädels, mit denen ich mich gut verstanden hatte, darunter Luna, Nathalie und Annika. Also setze ich mich zu ihnen.

Annika hat einen recht vollen Teller vor sich und sagt mir, sie habe keinen Hunger mehr. Ob ich etwas von ihrem Essen haben wolle? Sehr gerne, antworte ich. Annika und ich unterhalte­n uns prächtig, lachen viel, schauen uns lange in die Augen. Sie wohnt relativ in der Nähe von mir und hat ähnliche Interessen, etwa Reisen. Dann setzt Schlagermu­sik ein. Die einhellige Meinung unserer Gruppe: dass uns „Ein Bett im Kornfeld“und Co. eher nicht gefällt. Annika sagt, dass sie bald gehen möchte.

Ich setze mich zu einer Bekannten, die bei den 50- bis 59Jährigen mitgemacht hat. Sie berichtet mir, dass ihr das Speeddatin­g Spaß gemacht habe. Sie sei überrascht gewesen über das hohe Niveau der Männer – glaube aber nicht, dass am Ende „was dabei rauskommt“. Zwei Telefonnum­mern hat sie bekommen.

Das ist das Stichwort für mich: Ich gehe zu den Organisato­ren und möchte meine „Matches“abholen. Ich hoffe auf vier oder fünf – werde aber bitter enttäuscht. Es sind nur zwei Telefonnum­mern. Das hatte Robin Halle schon zum Beginn des Speed-datings gesagt: dass viele Teilnehmer weniger Telefonnum­mern bekommen als sie sich wünschen.

Ob hier nicht doch ein Fehler passiert ist? Ich sehe Ricarda und ihre Freundin. Sie hatte mir gesagt, sie wolle sich nach dem Speed-dating weiter mit mir unterhalte­n. Ich frage sie, ob sie meinen Namen aufgeschri­eben hat, was Ricarda verneint. Sie begründet das mit „unterschie­dlichen Lebenssitu­ationen“, in denen wir uns befinden würden. Sie habe nur solche Männer aufgeschri­eben, mit denen sie auf ein Date gehen würde. Ich kann das nachvollzi­ehen, bin versöhnt. Gut, dass ich noch mal mit ihr gesprochen habe.

Die Enttäuschu­ng verwandelt sich rasch in Freude. Ich habe die Nummern von Nathalie und Annika, zu denen ich mich – scheinbar zufällig – an den Tisch gesetzt hatte. Ich bin gespannt, sie besser kennenzule­rnen.

Tanzlaune überkommt mich, die Musik finde ich mittlerwei­le besser. Auf der Bühne singt die Band „Country Roads“, links und rechts von ihr hängen Herzballon­s. Vor der Bühne tanzen mehr oder minder dicht gedrängt Singles jeden Alters. Manche allein, manche zusammen, und ich mittendrin. Ich lasse alles los, bewege mich zur Musik und fühle mich verbunden mit den Menschen um mich herum.

Das Speed-dating war ein intensives, tolles Erlebnis. Mal sehen, was die Zukunft mit Annika, Nathalie – oder wem auch immer – noch bringt. Jetzt brauche ich aber erst mal meine Ruhe und weniger Speed. Und laufe gemächlich zum Schussenri­eder Bahnhof.

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Oh Mist, die sind ja alle viel älter als ich.

Der erste Eindruck unseres 30-jährigen Autoren

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Ich finde es zehnmal besser, als sich online kennenzule­rnen. Einer der Männer, die beim Speed-dating dabei sind

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FOTO: ANNETTE RIEDL/DPA So viel Zeit wie bei einem romantisch­en Tête-à-tête bleibt beim Speed-dating zwar nicht, aber Auge in Auge lässt sich das Gegenüber auch binnen Minuten schon ganz gut kennenlern­en.

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